Die zwei Seiten des Liebens

Liebe bedeutet im Habenmodus etwas anderes als im Seinsmodus. Wird sie im Habenmodus erlebt, bedeutet das Besitzanspruch ausüben und kontrollieren wollen.

„Wir haben Liebe gehabt!“, hört man die Glücklichen oftmals tönen. Schön, wenn jemand Liebe gehabt hat. Doch kann man Liebe haben? Wenn man das könnte, wäre Liebe ein Ding, eine Substanz, etwas also, das man besitzen kann. Ein solches Ding namens „Liebe“ gibt es nicht. „Liebe“ ist eine Abstraktion. Was es gibt, ist der Akt des Liebens. Lieben als produktive Aktivität. Es schließt ein, für jemanden zu sorgen, ihn zu kennen, auf ihn einzugehen, ihn zu bestätigen, sich an ihm erfreuen – sei es ein Mensch, ein Gegenstand, eine Idee. Wird Liebe im Habenmodus erlebt, bedeutet das Besitzansprüche geltend machen, aber auch kontrollieren wollen. Liebe im Habenmodus ist lähmend, erstickend, tötend statt belebend. In diesem Modus ist Liebe zum Scheitern verurteilt.

Das Wort Liebe wird allzu gern missbraucht

Was als Liebe bezeichnet wird, ist nur allzu oft ein Missbrauch des Wortes, um die Wahrheit des Nichtliebens zu verbergen. Ob eine Ehe oder Partnerschaft auf Liebe beruht oder, wie traditionelle Ehen, auf gesellschaftlicher Konvention oder Brauch – Paare, die einander wirklich lieben, scheinen die Ausnahme zu sein. Zweckmäßigkeit, wirtschaftliche Abhängigkeit, gemeinsame Fürsorge für die Kinder, Furcht vor dem Alleinsein, ja sogar gegenseitiger Hass werden bewusst als „Liebe“ gelebt. Bis der Augenblick kommt, in dem beide erkennen, dass sie einander nicht lieben und nie geliebt haben.

Heute sind Paare, was Liebe angeht, realistischer und nüchterner geworden. Man kann es als eine positive Entwicklung sehen, die auch darauf zurückzuführen ist, dass Paare wirtschaftlich heute nicht mehr so stark voneinander abhängig sind, wie dies vor einigen Jahrzehnten noch war. Sexuelle Anziehung wird nicht mehr mit Liebe gleichgesetzt, und eine freundschaftliche, aber distanzierte Beziehung ist kein Äquivalent von Liebe. Diese realistische Einstellung hat zu größerer Ehrlichkeit geführt. Andererseits aber auch zu häufigerem Partnerwechsel. Sie hat aber keine größere Häufigkeit des Liebens bewirkt.

Wie die Liebe sich wandelt

Die Wandlung von Liebe – vom Beginn des „Verliebtseins“ bis zur Illusion, Liebe zu haben – kann anhand der Geschichte von Paaren verfolgt werden. Nachdem die Zeit des Werbens um die Liebe des jeweils anderen erfolgreich abgeschlossen ist, ändert sich häufig die Situation grundlegend. Der Status „Ehe“ gibt beiden das exklusive Besitzrecht auf den Körper, die Gefühle, die Zuwendung des anderen. Niemand muss mehr gewonnen werden, denn die Liebe ist zu etwas geworden, das man besitzt – ein Eigentum. Die beiden lassen in ihrem Bemühen nach, liebenwert zu sein und Liebe zu erwecken. Sie langweilen sich gegenseitig, die Schönheit lässt nach oder wird nicht mehr wahrgenommen. Sie sind enttäuscht und ratlos. Sind sie zu einer anderen Person mutiert? Haben sie von Anfang an Fehler gemacht?

In der Regel wird die Ursache der Veränderung in dem jeweils anderen gesucht. Was das Paar nicht begreift, ist, dass sie beide nicht mehr die Menschen sind, als die sie sich ineinander verliebten. Der Irrtum, man könne Liebe haben, bewirkte, dass sie aufhörten zu lieben. Sie arrangieren sich im Alltag statt einander zu lieben. Sie besitzen gemeinsam, was sie haben: Geld, gesellschaftliche Stellung, ein Zuhause, Kinder. Die mit Liebe begonnene Ehe verwandelt sich in eine Eigentümergemeinschaft, in der zwei Egoismen sich vereinen. In einigen Fällen sehnen sich die Beteiligten weiterhin nach dem Wiedererwachen ihrer früheren Gefühle, und der eine oder andere gibt sich der Illusion hin, ein neuer Partner werde seine Sehnsucht erfüllen.

Liebe ist ein Kind der Freiheit

Die Gescheiterten glauben, nichts weiter als Liebe zu wollen. Nur ist für sie Liebe ein Idol, vielleicht sowas wie eine Göttin, der sie sich unterwerfen wollen – nicht aber ein Ausdruck des Seins. Sie werden zwangsläufig scheitern, denn Liebe ist ein Kind der Freiheit. Die Anbeter der Göttin Liebe versinken früher oder später in Passivität und verlieren den letzten Rest ihrer früheren Anziehungskraft. Oder sie versuchen ihre Schwierigkeiten in der Liebe zu umgehen, indem sie die Langeweile und innere Leere mit ständig neuen Stimuli bekämpfen und die Partner häufig wechseln, statt einen wirklich zu lieben.

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