Genuss ohne Fleisch – der Vegetarismus wird salonfähig

Der Vegetarismus bekommt endlich seinen verdienten Platz in Öffentlichkeit und Medien. Es ist hip und gesund und frei von Schuld, Vegetarier zu sein.

Vorbei sind die Zeiten, in denen vegetarisch essende Menschen wegen ihrer Vorliebe für Grünes auf dem Teller belächelt wurden. Nicht, dass es nicht schon immer genug Argumente und Aspekte für eine vegetarische Ernährung gegeben hätte, aber sie wurden bisher nicht ernst genug genommen.

Nach Gammelfleisch und Dioxin-Skandal und Vogelgrippe sollten es eigentlich auch die überzeugten Fleischesser verstanden haben, dass etwas nicht richtig sein kann mit dem unangemessenen und überzogenen Fleischgenuss. Gerade dann, wenn das Fleisch aus der Massentierhaltung stammt. Was beim Huhn und beim Schwein zu 98 Prozent der Fall ist. Etwas scheint nicht zu funktionieren in der herkömmlichen Fleischindustrie. Für die Tiere sowieso noch nie, aber für den Verbraucher auch nicht mehr.

Der Vegetarismus kommt in die Medien

In der letzten Woche berichteten in Deutschland drei weit verbreitete Printmedien sehr ausführlich und sehr positiv über den Vegetarismus. Der „Stern“, der „Spiegel“ und die „Bildzeitung“ sind sich einig. Die Redakteure greifen den Tenor der Zeit auf und sprechen endlich denen, die aus ethischen und gesundheitlichen Gründen von einer vegetarischen Ernährung überzeugt sind, aus dem Herzen. „Unser Fleisch ist ein Skandal“, schreibt der Stern. „Jeder weiß, warum Billigfleisch nur so billig sein kann.“

Der Stern bringt es auf den Punkt. Jeder deutsche Verbraucher weiß mittlerweile mehr oder weniger, aber auf jeden Fall genug, was die moderne Fleischproduktion so billig macht. Was dem toten Stück Fleisch angetan wurde, als es noch ein Stück lebendes Tier war.

Jeder der Billigfleisch genießt, macht sich mitschuldig

Es ist bekannt, dass die Tiere auf engstem Raum unter schlechtesten Bedingungen gehalten werden. Dass den Küken schon kurz nach der Geburt elektrisch der Schnabel gekürzt wird und Ferkeln die Schwänze abgeschnitten, damit sie sich in der qualvollen, dunklen Enge, die in den Mastbetrieben herrscht, aus Verzweiflung und Langeweile nicht gegenseitig anpicken oder anfressen. Dass Ziegen und Schafen die Hoden abgeschnitten oder heraus gerissen werden, damit das Fleisch für den Verbraucher später lieblicher auf der Zunge zergeht. Dass Kälber bis zur Schlachtung am Kopf fixiert werden, damit sie sich nicht bewegen können und ihr weißes, junges Fleisch dann so viel zarter mundet.

Und dass all das natürlich ohne Betäubung geschieht, das weiß man auch oder man kann es wissen.

Die Tiere werden im Akkord geschlachtet. Die Schlächter im Akkord bezahlt. Dabei kommt es viel zu oft vor, dass Rinder bei vollem Bewusstsein zerlegt und Schweine lebendig ins Brühbad gefahren werden. Hühner werden unter Zeitdruck für den Schlachthof in Kisten gestopft. Die Gelenk- und Knochenbrüche der Vögel interessieren dabei niemanden.

Der Spiegel drückt es so aus: “Wer ein Stück vom Schweinenacken grillt oder in einen knusprigen Hähnchenschenkel beißt, ist zweifellos ein Nutznießer dieser Grausamkeiten. Immer mehr Menschen möchten diese Schuld nicht auf sich laden und lehnen den Verzehr von Fleisch und Fisch ab“

Und die Bildzeitung klärt über die gesundheitlichen Vorteile eines Vegetariers auf: „Durch den Verzicht auf Fleisch kann Krankheiten wie Gicht, Diabetes Arteriosklerose, Bluthochdruck, Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorgebeugt werden. Außerdem soll sich durch den Fleischverzicht die Haut verbessern.“

Der bewusste Verbraucher hat genug

Rund 20.000 Menschen haben nach Angaben der Veranstalter an dem Protestmarsch in Berlin zu Beginn der „Grünen Woche“ teilgenommen. Sie fordern eine neue Agrarpolitik ohne Massentierhaltung und Gentechnik. Die frühere Agrarministerin Renate Künast, forderte ein klares „Nein“ zur Massentierhaltung.

Die heile Welt der Fleischindustrie gerät angesichts Dioxin-Unfall und Verbraucherunmut ein wenig in Panik. Es wird überlegt, ein sieben- bis achtstelliges Budget zur Verfügung zu stellen, um den Ruf des Schnitzels zu retten. Die millionenschwere Medienkampagne, die wieder „Lust auf Fleisch“ machen soll, könnte über eine Abgabe pro geschlachtetem Schwein von 20 Cent finanziert werden.

Die „Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt“ schlägt der Fleischbranche vor: „Investieren Sie lieber in die Weiterentwicklung von pflanzlichen Fleischalternativen. Ein Markt, der in den nächsten Jahren und Jahrzehnten massiv wachsen und zukünftige Umsatzverluste des Geschäfts mit dem toten Tier auffangen wird.“

Ein Blick hinter die Kulissen

Wie wäre es mit einem Tag der offenen Tür für den verunsicherten Verbraucher? Dann kann sich der sensible Fleischesser, dem die Lust aufs tote Tier auf dem Teller gerade ein wenig abhanden gekommen ist, in den so „sauberen, hellen, und vor allem so tierfreundlichen“ Massentierhaltungsbetrieben bestätigen lassen, warum er diese Art der Fleischproduktion mit gutem Gewissen nicht länger unterstützen kann. Und beim Familienausflug am Sonntag in die Legehennenbatterie oder die Schweinemastanlage, könnten die Kinder von heute als Erwachsene von morgen, schon mal das gesunde Gefühl dafür entwickeln, dass ihre Hot Dogs und Chicken Wings nicht aus solch einem Tierelend heraus produziert werden dürfen.

Fleisch muss vom täglichen Speisezettel herunter

Fleisch darf nicht zum Fast Food verkommen und Lebensmittel sein, das billiger ist als Gemüse. Fleisch muss wieder ein Luxusartikel werden, wenn es denn überhaupt noch, aber ganz bestimmt kaum noch auf unserem Speiseplan stehen soll. Und auf jeden Fall nur noch aus artgerechter Haltung stammen, in der Tiere wie lebende, fühlende Wesen behandelt wurden.

Der Vegetarismus ist auf dem Weg endlich gesellschaftsfähig zu werden und bekommt den Platz in der Politik, der Öffentlichkeit, den Medien und beim Verbraucher privat, den er verdient.

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