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Röslers Kopfpauschale notwendig oder unsozial?

Gesundheitsprämie und Reformbedarf im deutschen Gesundheitssystem. Der Millionär soll künftig dieselbe Gesundheitsprämie wie seine Putzfrau zahlen. Ist das gerecht? Reformbedarf im deutschen Gesundheitssystems besteht dennoch.

Der Vorstandsvorsitzende zahlt künftig eine Gesundheitsprämie in gleicher Höhe wie die Sekretärin in seiner Empfangslobby – zumindest laut den Plänen der Bundesregierung und insbesondere der FDP in Gestalt von Gesundheitsminister Phillipp Rösler. Ist das gerecht? Passt das noch zur sozialen Ausrichtung der deutschen Krankenversicherung als Teil unseres eigentlich solidarischen Sozialversicherungssystems, um das uns fast die ganze Welt beneidet, weil hier niemand durch die Maschen fällt, wenn ihm (gesundheitliches) Unbill widerfährt?

Gesundheitsprämie aufgrund Alterung und Pillenknick notwendig?

Dennoch kann es nicht ewig im selben, typisch deutschen bräsigen Trott mit der gesetzlichen Krankenversicherung weitergehen. Das sehen selbst scharfe Kritiker der FDP-Pläne ein, zumindest hinter vorgehaltener Hand. Die allermeisten Insider sehen Reformbedarf allein schon aufgrund der fortschreitenden Alterung der deutschen Bevölkerung („demographische Entwicklung“). Seit Ende der 1960er Jahre bis heute erblicken immer weniger Kinder in Deutschland das Licht der Welt („Pillenknick“), und das bei einer immer weiter steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung – das kann systemtechnisch nicht gut gehen, zumindest nicht mit demselben ebenfalls typisch deutschen Reformschneckentempo wie bislang.

Flickschusterei durch angebliche Gesundheitsreformen

Allen Bundesgesundheitsministern spätestens seit Seehofer fiel nur eine Maßnahme ein, die sie so lange mit dem eigentlich wertvollen und positiven Wort „Reform“ verschleiernd belegten, bis die deutsche Bevölkerung es nicht mehr hören konnte: Kostendämpfung, oft auf Kosten der Versicherten. Das ist „Flickschusterei“, wie Rösler zu recht betont. Natürlich freuen wir uns über jeden Menschen, der aufgrund des immensen medizintechnischen Fortschritts, einer immer weitergehenden medizinischen Forschung und immer besserer Medikamente länger lebt – selbst bei schweren und schwersten Krankheiten.

Man muss dazu aber auch wissen, das der Löwenteil der Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung für den einzelnen Versicherten durchschnittlich in seinen allerletzten Lebensjahren auf das System zukommt. Grundsätzlich ist das in Ordnung, da der Versicherte ja in der Regel sein Leben lang in die Kassen eingezahlt hat und spätestens in seinen letzten Lebensjahren etwas davon hat. Die Diskussionen über den Sinn von jahrelangem kostenintensiven Koma, riskanten und teuren Operationen bei sehr alten und sehr kranken Menschen und ähnlichen Grenzfällen sind ethischer Natur und sehr komplex, auch aufgrund der deutschen Erfahrungen bis 1945. Aber man muss sie führen – wie auch immer.

Keine Tabus mehr im Gesundheitssystem

Tabus kann es nicht mehr geben, wenn dieselbe Gesundheitsprämie für den Millionär und seine Putzfrau vor der Tür steht – die zuständige Regierungskommission jedenfalls scharrt schon mit den Hufen. Eckpfeiler der künftigen Reformdiskussion sollten sein: Menschenwürde und Solidarität, aber auch sparsames Wirtschaften, Eindämmung von Missbrauch und die Setzung richtiger Prioritäten.

Beinharte Lobbyisten, Korruption und Betrug

Dazu existieren noch teure Scheininnovationen der Pharmaindustrie (Arzneimittel ohne Zusatznutzen zu bestehenden), beinharte Lobbyistenvereinigungen aller Gesundheitsberufe, die ihre Pfründe verteidigen, indem sie stets den Teufel an die Wand malen, Versickern von Geldern der Beitrags- und Steuerzahler an vielen Ecken und Enden, oft durch Korruption (siehe diverse Pharmaskandale), Betrug, Verschwendung (im sozialen Bereich), zu wenig Konkurrenz im Gesundheitssystem und Missmanagement. Daran muss sich die Politik und an der Spitze Gesundheitsminister Rösler trotz allen Bedenkenträgern heranwagen, besser heute als morgen.

Werden Millionen Krankenversicherte zu Bittstellern?

Weiterhin ist bei Röslers Plänen für eine Kopfpauschale der „steuerfinanzierte Solidarausgleich“ umstritten. Von ihm als Allheilmittel gepriesen, bemängelten Sprecher der Opposition im Bundestag in der Haushaltsdebatte vom 19.03.2010, dass mit diesem Sozialausgleich „Millionen von Versicherten zu Bittstellern gemacht werden“. Es wird bislang angenommen, dass weite, nicht gut verdienende Teile der Bevölkerung Anträge bei Sozialämtern oder anderen Behörden stellen müssen. Rösler bestreitet dies zwar stets, aber wie sonst ein gerechter Ausgleich funktionieren soll, sagt er nicht transparent. Zudem sei laut Opposition nicht erkennbar, woher das Geld für den Solidarausgleich ohne Steuererhöhung kommen solle. Minister Rösler wisse bislang auch hier keine Antworten auf diese wichtigen Details zu berichten.