Wandern – die Renaissance eines alten Volkssports

Sportliches Marschieren liegt wieder voll im Trend. Die bevorzugten Wanderreviere liegen in heimischen Mittelgebirgen oder in den Alpen.

Wandern hat in Deutschland eine lange Tradition als Freizeitaktivität. Dem Ruf hinaus in die freie Natur folgten viele. Besonders Bewohner der einst durch Schmutz und Lärm ungesunder Industriestädte suchten Stunden der Erholung in natürlicher Umgebung. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts geriet dieser Volkssport in eine Imagekrise. Es galt als altbacken und bieder, sich auf den eigenen Beinen die Welt zu erschließen.

Renaissance der Wanderlust

Seit einigen Jahren wächst allerdings wieder das Interesse am sportlichen Spaziergang. Der Gedanke, die Natur zu erleben und zu genießen, steht hierbei im Vordergrund. Kilometer zu fressen und Wanderplaketten zu erwerben ist wenig populär, ebenso wenig wie das Wandern in Rudeln. Sich allein oder zu zweit auf individuell geplante Routen zu begeben wird bevorzugt. Beliebt sind sowohl die Mittelgebirge als auch die Alpen. Trendforscher und Soziologen sehen in dem Komiker und Buchautoren Hape Kerkeling den Auslöser und Vorreiter für diesen Boom. Sein 2001 erschienener Bestseller „Ich bin dann mal weg“, welcher seinen Marsch auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela beschreibt, löste einen wahren Boom aus. Einstige Pilgerwege wurden erforscht und wieder ausgewiesen, Pilgerherbergen öffneten ihre Pforten. Das spirituelle Erleben gepaart mit körperlicher Herausforderung mag wohl der Antrieb für diese Massenbewegung sein.

Wirtschaftliche Auswirkungen

Nutznießer dieses Trends ist die Outdoor-Branche. Die Nachfrage nach Wanderschuhen, Funktionsbekleidung und Zelten wächst. Führte dieser Zweig einst ein Nischendasein im Sportartikelhandel, so ist mittlerweile Outdoor längst zum Lifestyle geworden.

Wie alles begann

Bereits im 18. Jahrhundert kristallisierten sich die Alpen als Sehnsuchtsziel heraus. Goethes „Schweizer Reisen“, Schillers „Wilhelm Tell“, Rousseaus „Juli ou la Nouvelle Héloïse“ und Hallers Lehrgedicht „Die Alpen“ (1729) waren Wegbereiter des Alpensinns und es begann ein Sturm auf die Gipfel der Berge, der solchermaßen an Umfang gewann, dass alpine Vereinigungen entstanden wie der 1857 gegründete britische Alpine Club, der Österreichische Alpenverein von 1862 und der Deutsche Alpenverein, welcher aus dem 1869 gegründeten Bildungsbürgerlichen Bergsteigerverein hervorging. Ziel der Alpenvereine war die Förderung des Bergsteigens, die wissenschaftliche Erforschung der Bergwelt, Bau und Unterhaltung von Wegen und Hütten sowie die Herausgabe von Zeitschriften.

Der Alpenverein

Der Deutsche Alpenverein erwies sich als Erfolgsmodell. Selbst weitab vom Gebirge entstanden Sektionen mit zahlreichen Mitgliedern. Es dauerte allerdings nicht lange, bis derartige Vereinigungen politisch instrumentalisiert wurden. Starke antisemitische Tendenzen wurden bereits im Kaiserreich sichtbar. Beispielsweise war die 1899 gegründete Sektion Mark Brandenburg nur für „christlich getaufte, deutsche Staatsbürger“ zugänglich. Trotz aller politischer Vereinnahmungen und zweier Weltkriege hat der Deutsche Alpenverein bis heute überlebt.

Wandervögel

Zunächst ohne politische oder gesellschaftliche Ambitionen, begleitet von Liedern, war die Jugendbewegung der Wandervögel. Ausgehend 1896 von einem Gymnasium in Berlin/Steglitz verbreitete sich die Kultur des Jugendwanderns rasch über ganz Deutschland. Ziel dieser jungen Menschen war ein von Erwachsenen ungestörtes Erleben von Natur und Heimat. Man wanderte, besuchte Gruppenabende, musizierte und sang. Das 1909 erschienene Wandervogel-Liederbuch „Der Zupfgeigenhansel“ wurde zum Bestseller und wird noch heute verlegt. Neben reinen Männerbünden traten 1905 die Wanderschwestern auf, daneben gab es auch gemischte Gruppen. Im Laufe der Zeit stand nicht nur das gemeinsame Naturerleben im Vordergrund, sondern gesellschaftspolitische Themen wie die Rolle der Frau, Emanzipationskonzepte, eine gesunde Lebensführung ohne Nikotin und Alkohol, wurden heftig diskutiert, was zu Spaltungen und Neugruppierungen führte. Im Jahr 1911 gab es 412 Wandervogel-Ortsgruppen mit einer Zahl von etwa 35.000 Mitgliedern. Im Juni 1933 wurden alle Wandervogelbünde aufgelöst.

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