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Wie lernt man Charisma?

Die charismatischen Persönlichkeit beherrscht die minimalistische Kommunikation, die Kunst des Schweigens und die selbsbewusste Pause.
Wie lernt man Charisma? Wer charismatisches Verhalten einüben möchte, muss zunächst wissen, was anticharismatisches Verhalten ist, was er tunlichst unterlassen sollte. Charisma kann man lernen.

Ein Lernprogramm des Vermeidens

Die Negativliste:

  • Man ist immer modisch auf dem Laufenden. Das ist uncharismatisch. Man darf modische Strömungen zwar nicht altfränkisch ignorieren, es muss aber genug Raum für eigene Akzente bleiben.
  • Man lässt sich bei jedem Event sehen. Das ist uncharismatisch. Man folge nicht jeder Einladung, man nehme nur gelegentlich an gesellschaftlichen Ereignissen teil. Nie bleibe man bis zum Ende der Veranstaltung, man verabschiede sich vorher, auch wenn das die Gastgeber bedauern.
  • Man lacht über Witze, die nicht witzig sind. Das ist in höchsten Maße uncharismatisch. Auch schwache Witze des Vorgesetzten dürfen nicht mit einem Lächeln belohnt werden.
  • Man reagiert spontan auf Kritik. Das ist uncharismatisch. Man sollte immer erst nach einer Pause reagieren.

Die Geschwätzigkeit der Normalität meiden

Alle Verhaltensweisen auf der Negativliste haben etwas gemeinsam; sie sind Ausdruck eines Eingebundenseins in die Geschwätzigkeit des banalen Alltags, sind Vorsichtsreflexe auf die normativen Erwartungen der Umwelt. Ein charismatischer Mensch bewahrt sich ein beträchtliches Maß an Autonomie, er sitzt nicht absprungbereit auf der Vorderkante des Stuhls, er hat keine schwitzigen Hände, er ruht in sich selbst. Ein Beweis dafür sind Schauspieler ohne Charisma-Gen in der DNA, die geradezu beeindruckende charimatische Rollen spielen.

Ein Italo-Western demonstriert Charisma mit dem Mittel der Übertreibung

„Für eine Hand voll Dollar“ – der Protagonist, gespielt von Clint Eastwood, reitet auf einem Maulesel in ein verschlafenes Wild-West-Dorf, das von brutalen Banditen terrorisiert wird. Eine johlende Gruppe verspottet den Esel-Reiter und schießt dem Muli vor die Hufe. Clint Eastwod gleitet vom scheuenden Esel und stellt sich der barbarischen Meute, die sich mit gezogenen Waffen nähert. Minimalistisch ist seine Reaktion auf die drohende Gefahr: Der Zigarillo wippt kaum merklich im Mundwinkel, die Augen verengen sich geringfügig. Er schiebt seinen Poncho zur Seite, zieht den Colt mit Lichtgeschwindigkeit und erlegt die Banditen wie Tontauben. Er verschwendete kein Wort. Sein Wortanteil im gesamten Drehbuch füllt kein halbes DIN-A4-Blatt.

Der charismatische Politiker

Der real-charismatische Altbundeskanzler Helmut Schmidt, von einem Journalisten wortreich interviewt, antwortet nicht gleich. Nach einer Pause schnippt er Asche von seiner Zigarette, setzt die Pause fort – und antwortet dann mit einem kurzen Satz, der jede Widerrede ausschließt. Der Minimalismus, die Pause, ist das Instrument des Charismas.

Können wir dieses Instrument im Alltag nutzen? „Show down“ im Beruf

Da wir nicht im Wilden Westen leben, verlegen wir den Schauplatz eines „Duells“ in den Konferenzraum eines Bürogebäudes. Sie sind Teilnehmer einer Abteilungsleiter-Konferenz. Punkt 2 der Tagesordnung ist ihre umstrittene Verkaufsstrategie. Ihr Rivale, der es schon lange auf ihren Posten abgesehen hat, schaut Sie an, hebt mit aggressiver Geste ein Dokument in die Höhe und sagt spöttisch: “Diese Zahlen sprechen für sich, wir erwarten eine Erklärung.“

Ihre charismatische Reaktion: Sie schauen drei lange Sekunden mit Weitwinkelblick in die Unendlichkeit – wenden sich dann langsam in Richtung des Rivalen, schauen ihm in die Augen und führen, ohne den Blick abzuwenden, ihre Argumente ins Feld. Bildlich sind Sie in der Rolle des Toreros, der sich, die schützende rote Manta hinter seinen Rücken ziehend, den gesenkten Hörner des wütenden Stiers aussetzt, um ihn wenig später mit präzisem Degenstich ins Jenseits zu befördern.