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Bundesregierung knickt vor Pharmalobby ein

Von Gesundheitsminister Röslers Ankündigung, die Pharmaindustrie bezüglich ihrer hohen Medikamentenpreise hart anzugehen, ist nicht viel übrig geblieben.

„Ich habe immer gesagt, dass ich hart an die Pharmaindustrie und deren Preise herangehen werde“, sagte Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) vor einem halben Jahr noch. Von dieser Ankündigung ist nach jetzigem Stand nicht viel übrig geblieben. «So breche ich das Preismonopol der Pharmaindustrie», hatte er vollmündig verkündet und damit sein Gesetz gegen die hohen Preise patentgeschützter neuer Arzneimittel, die im internationalen Vergleich in Deutschland besonderes teuer sind, angekündigt. Bei der Ausarbeitung des Gesetzes folgt die Bundesregierung laut einer zunehmenden Anzahl von Kritikern jedoch immer mehr dem Willen der Industrie.

Kontrolleure: Koalition lässt der Pharmaindustrie entgegen Ankündigungen freie Hand

Die Koalition lässt den Pharmaunternehmen nach Meinung der obersten Pharmakontrolleure entgegen den eigenen Ankündigungen weitgehend freie Hand, bei neuen Arzneimitteln Rekordpreise („Mondpreise“) festzulegen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) kritisierten am 27.09.2010 in Berlin einen entsprechenden Antrag der Koalitionsfraktionen zur geplanten Neuordnung des Arzneimarkts. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist das wichtigste Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen und u.a. dafür zuständig, den Leistungskatalog festzulegen, d.h. welche Leistungen den Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet werden und vor allem welche nicht. Dabei bedient er sich oft der Hilfe des IQWiG, insbesondere beauftragt er dort zu seiner Entscheidungshilfe Gutachten.

Entscheidet erwiesene Unzweckmäßigkeit oder fehlender Zusatznutzen der neuen Medikamente?

Nach dem jetzt vorliegenden Antrag soll der G-BA neue Medikamente nur dann von der Erstattung ausschließen können, «wenn deren Unzweckmäßigkeit erwiesen ist». Bislang genügt die begründete Feststellung der Kontrolleure, dass ein Zusatznutzen für die Patienten nicht belegt ist. Künftig sollen sie beweisen, dass ein Arzneimittel keinen Zusatznutzen hat. Es handelt sich demnach, juristisch gesprochen, um einen überraschenden Fall der Beweislastumkehr – diese geht von den eigentlich verantwortlichen Pharmaunternehmen, die das Medikament produziert haben, auf die Pharmakontrolleure über. Ob dies ein Schildbürgerstreich der Bundesregierung in Unkenntnis der Folgen oder ein geplantes Einknicken gegenüber der einflussreichen Pharmalobby mit ihren Milliardenumsätzen und zahlreichen Arbeitsplätzen ist, ist unklar.

«Das geht nicht», kommentierte der Leiter des IQWiG, Jürgen Windeler, der dpa. «Man kann prinzipiell nicht beweisen, dass etwas nicht da ist.» Verlange man einen solchen Beweis, könne der Gemeinsame Bundesausschuss gar keine Ausschlüsse wegen Unzweckmäßigkeit mehr vornehmen. Windeler will die Hoffnung auf Änderungen der Pläne noch nicht aufgeben. «Ich frage mich ernsthaft, ob diejenigen, die einen solchen Vorschlag gemacht haben, die Konsequenzen wirklich bedacht haben.»

Vertrag des pharmakritischen IQWiG-Leiters Peter Sawicki nicht verlängert

In diesem Zusammenhang muss man wissen, dass der Vertrag seines Vorgängers, Peter Sawicki, auf Druck der Pharmalobby und der ihr meist wohlgesonnenen Bundesregierung aus CDU und FDP ab dem  nicht weiter verlängert wurde. Sawickis Gegner begründeten dies mit finanziellen Unregelmäßigkeiten bezüglich Spesenabrechnungen seinerseits, seine Unterstützer führten dies darauf zurück, dass seine umfassende und kritische Kontrolltätigkeit der Pharmalobby und ihren politischen Unterstützern zu unbequem geworden war. Falls die letztere Einschätzung korrekt ist, scheint der Plan bislang nicht aufgegangen zu sein, weil Windeler in den Äußerungen seiner ersten Wochen im Amt nicht eben als besonders pharmafreundlich aufgefallen ist.

Der G-BA moniert in seiner Stellungnahme für eine aktuelle Anhörung des Bundestages, da er eine Unzweckmäßigkeit nie nachweisen könne, «hätte der Hersteller es selbst in der Hand, durch Unterlassen weiterer Studien Verordnungseinschränkungen (…) zu verhindern».

Der Arzneimittelexperte beim Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen, Wolfgang Kaesbach, sagte daher dem «Spiegel»: «Das heißt im Umkehrschluss, dass der Nutzen eines Präparats künftig schon durch die Zulassung bewiesen sein soll. Das ist der Wahnsinn.» Die Industrie habe die Politik hier eingeleimt.

Grundsätzlich wird ein Medikament in Deutschland bereits zugelassen, wenn es wirkt. Ob es tatsächlich dauerhaft dem Patienten hilft bzw. einen echten Zusatznutzen oder signifikant weniger starke Nebenwirkungen als bestehende Arzneimittel hat, ist damit noch lange nicht erwiesen. Dies ist aktuell bei extrem teuren Krebsmitteln besonders umstritten.

Finanzschwache Versicherte müssen hohe Medikamentenpreise ausbaden

Die extrem hohen Ausgaben für diese und andere neue patentgeschützte Medikamente belasten das deutsche Gesundheitssystem stark. Auch deshalb wurden aktuell die Krankenkassenbeiträge wieder erhöht, was insbesondere finanzschwache Versicherte (auch durch die erwartete Erhebung von Zusatzbeiträgen) bereits spüren bzw. künftig spüren werden, wie insbesondere die Opposition bemängelt. Das Geld, das die Pharmalobby mithilfe wohlgesonnener Politiker aus dem Säckel nimmt, müssen andere Schwächere bezahlen – das darf nicht verschwiegen werden.

Röslers geplantes Gesetz, dessen überraschende neue Details jetzt kritisiert werden, sollte nach ursprünglicher Zielrichtung verhindern, dass die Pharmaunternehmen wie bisher oft neue Medikamente zu Mondpreisen auf den Markt bringen, die keinen echten Zusatznutzen im Vergleich zu bisherigen Arzneimitteln haben. Eine schnellere Nutzenbewertung als bisher soll künftig Basis dafür sein, dass die Kassen neue Mittel ohne Mehrwert ihren Versicherten nur bis zur Erstattungshöhe bisheriger Medikamente zahlen müssen („Festzuschuss“).

Gemeinsamer Bundesausschuss fürchtet steigende Einflussnahme des Gesundheitsministeriums

Im G-BA fürchtet man nun aufgrund mehrerer aktueller Fälle eine steigende Einflussnahme des Bundesgesundheitsministeriums. Bisher kann der G-BA teure, neue Medikamente ausschließen, wenn ihr Zusatznutzen nicht erwiesen ist, wie zuletzt Glinide gegen Diabetes. Das Ministerium übte gegen den Beschluss Kritik – bereits seit Wochen ist der Fall im Schwebezustand. Als Begründung äußerte das Ministerium, bezüglich anderer Antidiabetika lägen auch keine Studien zum Langzeitnutzen vor.

Es ist nicht der erste Vorwurf von Wissenschaftlern und Opposition an die Bundesregierung, der Pharmalobby gefolgt zu sein. So soll auf einmal überraschend das Gesundheitsministerium die Kriterien für die Nutzenbewertung festlegen und nicht, wie eigentlich geplant, der unabhängige G-BA, der wirtschaftlich und politisch-taktisch weniger beeinflussbar ist, da dies angeblich schneller gehe. Und an weiteren neuen Vorschriften üben die Verbraucherzentralen in einer Stellungnahme Kritik: «Es erscheint wenig einleuchtend, gerade bei seltenen Erkrankungen auf eine Nutzenbewertung zu verzichten».

Das Schlusswort gebührt der Techniker Krankenkasse, nach deren Angaben der Arzneimittelumsatz in den vergangenen fünf Jahren um fast 20 Prozent anstieg: «Es werden immer noch zu viele und auch zu teure Medikamente verordnet.»