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Die ArbeitsplatzPhobie

Die Arbeit hat in unserer Gesellschaft einen sehr hohen Stellenwert. Die meisten müssen ihre Existenz und eventuell die ihrer Familie absichern, indem sie ihre Arbeitsleistung verkaufen, wodurch sie fast täglich gezwungen sind, die Leistungs- und Verhaltensanforderungen an ihrem Arbeitsplatz zu erfüllen. Durch die Arbeit erhält ein Mensch und sogar seine ganze Familie einen bestimmten gesellschaftlichen Status. Immer mehr Menschen definieren sich hauptsächlich über ihre berufliche Tätigkeit.

Welchen Stellenwert die berufliche Tätigkeit hat, kann man schon an alltäglichen Gesprächen mit Bekannten oder Nachbarn feststellen, in denen oft an zweiter Stelle die Frage kommt: ,,Wie läuft es an der Arbeit?“ Auch wenn man jemanden neu kennenlernt, wird meistens die Frage gestellt: ,,Und was machen Sie/ machst Du beruflich?“ Jemand, der keine Arbeit hat, erhält schnell den Stempel ,,faul“, ,,Schmarotzer“ oder ,,asozial“, was sich sogar auf die ganze Familie des von Arbeitslosigkeit Betroffenen auswirken kann. Hinzu kommt, dass wir am Arbeitsplatz oft mehr Zeit verbringen als zu Hause mit der Familie oder Freunden. Konflikte mit Kollegen oder Vorgesetzten wirken sich somit ziemlich heftig aus, da man diesen am Arbeitsplatz auch schlecht ausweichen kann.

Was versteht man unter einer ArbeitsplatzPhobie?

Das Wort Phobie stammt aus dem Griechischen und bedeutet, dass man vor etwas flüchtet. Das heißt, der Betroffene meidet ein angstauslösendes Objekt oder eine angstauslösende Situation. Die Arbeitsplatzphobie hat im Vergleich zu anderen Phobien jedoch keinen abgrenzbaren Auslöser so wie zum Beispiel eine Phobie vor Spinnen. Außer dem Arbeitsplatz selbst meiden die Betroffenen oft auch Orte oder Menschen, die mit dem Arbeitsplatz in Verbindung gebracht werden, zum Beispiel die Straße, in der das Bürogebäude steht, in dem sie gearbeitet haben oder Orte, an denen die Wahrscheinlichkeit groß ist, Kollegen zu treffen. Der Kontakt mit der Arbeitsstelle oder auch nur bestimmter Stimuli, die mit dem Arbeitsplatz assoziiert werden, lösen Panikreaktionen mit Symptomen wie zum Beispiel Herzrasen, Zittern, Schwitzen, Übelkeit oder Schwindelgefühle aus. Dies kann sogar den beruflich genutzten Laptop betreffen oder das Firmenhandy. Manche Betroffene trauen sich nicht einmal mehr, den Laptop einzuschalten, weil sie sich vor geschäftlichen E-Mails fürchten.

Die ArbeitsplatzPhobie zählt zu den verschiedenen arbeitsplatzbezogenen Ängsten und hängt oft mit diesen zusammen, wobei die ArbeitsplatzPhobie die schlimmste Ausprägung dieser Ängste ist, da sie unmittelbare erhebliche negative sozial-medizinische Folgen nach sich zieht. In der Regel führt sie zu einer lang andauernden Arbeitsunfähigkeit und nicht selten zur vollen Erwerbsunfähigkeit. Bisher streiten sich die Experten noch darüber, ob die ArbeitsplatzPhobie als eigenständiges Krankheitsbild oder als Symptom anderer psychischer Erkrankungen betrachtet werden soll.

Wie viele Betroffene gibt es?

Bisher gibt es noch keine Untersuchungen, die belegen, wie hoch der Anteil der Betroffenen in der Bevölkerung ist, die unter einer ArbeitsplatzPhobie leiden. Doch sie scheint nicht selten zu sein, worauf vorhandene Daten hinweisen. Die Hälfte der Patienten, die sich in psychosomatischen Rehakliniken befinden, leidet unter Beschwerden, die hauptsächlich durch berufliche Belastungen verursacht werden. Auch die Zahlen der Begründungen für Frühberentungen deuten daraufhin, dass die ArbeitsplatzPhobie gar nicht so selten vorkommt. In 25 Prozent der Fälle in der Altersklasse unter 50 Jahren erfolgt die Frühberentung aufgrund von psychischen Erkrankungen.

Die protestantische Arbeitsethik und die ArbeitsplatzPhobie

Außer der Gefahr des relativen Existenzverlustes und der Frühberentung, besteht bei der ArbeitsplatzPhobie, vielleicht noch mehr als bei anderen psychischen Erkrankungen, auch noch das Problem, gesellschaftlich ausgestoßen oder zumindest wegen dieser psychischen Erkrankung belächelt werden und zwar aus dem Grund, da die Vermeidung des Arbeitsplatzes des unter einer ArbeitsplatzPhobie Leidenden gegen unsere protestantische Arbeitsethik verstößt. Obwohl sie die meisten wahrscheinlich nicht kennen, richten sie doch unbewusst ihr Leben danach aus. Nach der protestantischen Arbeitsethik wird die Arbeit als Pflicht betrachtet, die nicht in Frage gestellt werden darf. Die Arbeit bildet den Mittelpunkt des Lebens, nach der man das übrige Leben ausrichten muss. Die Freizeit und selbst die eigene Familie spielen eine untergeordnete Rolle.

Unter diesen Umständen versuchen die Betroffenen von arbeitsplatzbezogenen Ängsten in der Regel durchzuhalten, so lange es geht und flüchten sich, wenn die Ängste und die Belastungen unerträglich werden, nicht selten zunächst in Krankschreibungen wegen anderer psychischer oder vorgegebener körperlicher Leiden. Dadurch wird die ArbeitsplatzPhobie oft viel zu spät erkannt, was zur Folge hat, dass eine Wiedereingliederung nicht mehr möglich ist, der Verlust des Arbeitsplatzes und eventuell sogar die Erwerbsunfähigkeit des Betroffenen nicht mehr vermieden werden kann.

Wodurch kann eine ArbeitsplatzPhobie entstehen?

Es gibt verschiedene Faktoren, die eine ArbeitsplatzPhobie verursachen können. Weitere psychische Erkrankungen wie eine Angststörung, eine Depression oder auch eine schizophrene Erkrankung können zu der Entstehung einer ArbeitsplatzPhobie beitragen. Meistens kommen zur ArbeitsplatzPhobie noch andere psychische Störungen hinzu. Angst vor aggressiven Kunden, Schülern oder auch vor Vorgesetzten oder mobbenden Kollegen führen häufig zu dieser Erkrankung. Manchmal entsteht sie durch eine arbeitsplatzbezogene posttraumatische Belastungsstörung, zum Beispiel, wenn ein Lehrer von einem Schüler mit einem Messer bedroht wird. Oft wird sie auch durch ein Kompetenzdefizit verursacht oder der Angst, den Leistungs- und Verhaltensanforderungen, die man täglich erfüllen muss, nicht mehr gewachsen zu sein.

Umstände wie hohe Arbeitslosigkeit und dadurch Angst vor Arbeitslosigkeit, Umstrukturierungen und dadurch bedingte Änderungen und Verdichtungen der Arbeitsabläufe oder die Bedrohung durch Entlassungen tragen zum Entstehen einer Arbeitsplatzphobie bei. Da die Arbeitsplatzunsicherheit steigt und gleichzeitig die Anforderungen an den einzelnen Arbeitnehmer immer mehr zunehmen und sich oft noch in immer kürzeren Zeitabständen verändern, kann man davon ausgehen, dass die Zahl der Betroffenen dieser Phobie in Zukunft noch ansteigen wird.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Zur Behandlung von Phobien wird heute hauptsächlich die Verhaltenstherapie eingesetzt. In der Regel behandelt man Phobien, indem man den Patienten mit dem Objekt oder der Situation konfrontiert, die die Phobie auslöst. Dieses therapeutische Vorgehen ist jedoch bei der Arbeitsplatzphobie nur sehr eingeschränkt möglich. Zur Behandlung eignen sich unter anderem ergotherapeutisches Leistungstraining, Gruppentherapie mit Rollenspielen, in denen Konfliktsituationen am Arbeitsplatz nachgestellt werden oder ,,berufliche Belastungserprobung“ an einem geschützten Arbeitsplatz. Es sollte dabei auch beachtet werden, welche psychischen Störungen noch zusätzlich vorliegen.