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Liebe als Tauschgeschäft: Warum wahre Liebe selten ist

Wer von Liebe spricht, meint oft nur Verliebtheit oder körperliche Anziehungskraft. Was unterscheidet diese Gefühle von der wahren Liebe?

Das Wort „Liebe“ wird oft verwendet, um sehr unterschiedliche zwischenmenschliche Beziehungen zu charakterisieren. Da ist die Geschwisterliebe ebenso gemeint wie die Liebe der Eltern zu ihren Kindern. Auch ein Haustier oder etwas Dingliches wie seinen Computer, ein Parfüm oder ein Dessert kann man „lieben“. Wer von der Liebe spricht, meint jedoch meist die romantisch verklärte Variante, die im 19. Jahrhundert entstand. Warum tun wir uns mit dem Liebesbegriff generell so schwer? Rankt sich vielleicht um den Begriff der „wahren Liebe“ ein großes und bis heute selten thematisiertes Missverständnis?

Verliebtheit und erotische Anziehungskraft sind nicht mit Liebe zu verwechseln

Fast jeder hat in seinem Leben schon einmal von Liebe gesprochen. Angeblich hören romantisch veranlagte Frauen nichts lieber als die drei magischen Worte „Ich liebe dich“. Jeder zweite Hollywoodfilm dreht sich um nichts anderes als um dieses schier unerschöpfliche Thema und allerhand romantische Verwicklungen, die per Happy End mit einem glücklichen Paar gekrönt werden. Der Liebesbegriff ist dermaßen romantisch verklärt, dass es fast unmöglich ist, sich auf eine einheitliche Definition zu einigen.

Das wohl größte Missverständnis beim inflationären Gebrauch des Wortes Liebe: Wer von ihr spricht, meint meistens bloße Verliebtheit, die auf körperlicher Anziehungskraft und erotischer Faszination basiert. Sicher ist das ein sehr angenehmes Gefühl, das mit echter Liebe allerdings wenig zu tun hat. Wer „ver-liebt“ ist, sieht den anderen verzerrt. Er sieht ihn so, wie er ihn gern haben möchte und interpretiert alle Eigenschaften in ihn hinein, die ihn als den idealen Partner erscheinen lassen. Diese höchst einseitige Sichtweise ist auf den Hormoncocktail zurückzuführen, den jeder schwer Verliebte im Blut hat. Wenn das angenehme Hochgefühl des Verliebtseins nach spätestens zwei Jahren des Zusammenseins abflaut, wird das seiner rosa Brille beraubte Paar mit den Realitäten der Partnerschaft konfrontiert. „Plötzlich“ erkennt man, dass der bis dahin idealisierte Partner Charaktereigenschaften, Schwächen, Defizite und Marotten hat, die ihn weit weniger liebenswert als zu Beginn der Beziehung erscheinen lassen. Der unweigerlich stattfindende Prozess der Ernüchterung und Enttäuschung setzt ein.

Und so ist das Ende der Verliebtheit oft auch das Ende einer Liebe, die in Wirklichkeit nie eine war. Die häufigste Folge: Man trennt sich, sucht sich einen neuen Partner und der ewige Kreislauf von Verliebtheit, Idealisierung, Enttäuschung und Trennung beginnt von neuem. Kein Wunder, dass sich so mancher reifere Mensch gar nicht mehr verlieben mag, ahnt er doch bereits zu Beginn einer Beziehung, wie das amouröse Spiel auch diesmal wieder enden wird. So mancher zieht inzwischen auch eine „Beziehung light“ mit weniger Verbindlichkeit und emotionaler Nähe vor.

Zwischenmenschliche Beziehungen sind komplex: Wahre Liebe findet man im Leben nur selten

Wer von „wahrer Liebe“ spricht, meint oft unausgesprochen die „Ware Liebe“. Eine solche Beziehung funktioniert ganz klar nach dem Prinzip der wechselseitigen Bedürfnisbefriedigung. Solange jeder der beiden Beteiligten vom anderen bekommt, was seinen Wünschen und Bedürfnissen entspricht, funktioniert die Beziehung gut. Ist das nicht mehr der Fall, wird der Partner schnell ausgetauscht. So erklärt sich, warum in Deutschland inzwischen jede dritte Ehe geschieden wird. In den Großstädten landet sogar jede zweite Ehe vor dem Familienrichter. Noch nie waren die Erwartungen an eine glückliche Partnerschaft so hoch wie heute. Werden sie nicht mehr erfüllt, ist das Ende einer Beziehung fast schon vorprogrammiert. Liebe als Geschäftsmodell… Das Problem: Prinzipien, die im Berufs- und Geschäftsleben mehr oder weniger gut funktionieren, lassen sich in der Regel nicht auf intime zwischenmenschliche Beziehungen übertragen. Oft sind sie geradezu kontraproduktiv. Konkurrenzdenken, übertriebener Ehrgeiz und egoistisches Verhalten lassen früher oder später jede Beziehung scheitern, vor allem wenn der Wandel zur „wahren Liebe“ nicht geglückt ist.

Echte Liebe erfordert ein hohes Maß an emotionaler Intelligenz

Liebe als Gegenpol zu bloßer Verliebtheit sieht den anderen, wie er wirklich ist und ist imstande, ihn als individuellen Menschen mit einzigartigem Charakter anzunehmen. Die echte Liebe fordert nichts. Sie ist bereit, vorbehaltlos zu geben, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Sie ist respektvoll, zugewandt und von tiefer Zuneigung geprägt. Sie erträgt schlechte Zeiten und Krisen, wie sie in jeder langjährigen Partnerschaft früher oder später auftauchen, und sieht sie als Chance zur gemeinsamen Weiterentwicklung. Wahre Liebe fördert den anderen, indem sie das Beste aus ihm herausholt. Sie ermutigt und unterstützt ihn in seinem Bemühen, sein inhärentes Potential auszuschöpfen. Zu dieser Form von Liebe sind nur Menschen mit großer sozialer und emotionaler Intelligenz fähig. Vielleicht ist das der Grund, warum die wahre Liebe so selten ist.