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Poesietherapie – Wie Kreatives Schreiben hilft?

Poesietherapie

Die Heilwirkung der Sprache war bereits in der Antike bekannt. Das Kreative Schreiben als Poesietherapie hat eine lange Tradition.

„Schmerz, der nicht spricht, erstickt das volle Herz und macht es brechen.“ (Shakespeare, Macebeth)

Die National Association of Poetry Therapist’s, kurz NAPT definiert den Begriff der Poesietherapie als „die wissenschaftliche Anwendung der Poesie für therapeutische Zwecke“. Es wird unterschieden in die produktive Nutzung der Poesie durch das Schreiben und die rezeptive, das Lesen. Hier soll es um die aktive Anwendung gehen; die Selbstanalyse durch das Schreiben.

Heilung durch Dichtung – die Anfänge des therapeutischen Schreibens

Apoll galt in der römischen und griechischen Mythologie nicht nur als Gott der Dichtung, sondern gleichzeitig als Gott der Heilkunst. Marc Aurel und Augustinus hinterließen Zeugnisse ihrer poetischen Selbstanalyse, die noch heute ihre Leserschaft haben. Im 18. und 19. Jahrhundert etablierte sich die Literaturpsychologie. Im „Magazin zur Erfahrungsseelenkunde“, das in den Jahren 1783 bis 1793 erschien, erkannte Philipp Moritz die Bedeutung der Kindheitsbiographie zur Erklärung und Heilung späterer geistiger Krankheiten.

Theorie und Praxis – die Verbreitung der Poesietherapie

Eine wissenschaftliche Ebene erreichte die Poesietherapie mit dem Traumtagebuch von Sigmund Freud, Alfred Adler und seinen Zugang zur Lebensgeschichte sowie C. G. Jung, der sich eingehend mit dem Erzählen von Mythen beschäftigte. In den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts waren die selbstanalytischen Arbeiten von K. Horney, E. Fromm, E. P. Farrow wichtige Zeugnisse einer wissenschaftlichen Betrachtung des Schreibens für sich und andere.

In den USA wurden erstmals Poesietherapien in Krankenhäusern, der Psychiatrie und in der Praxis des niedergelassenen Therapeuten eingeführt. Seit Anfang der 1980er Jahre ist die Poesietherapie auch in der Bundesrepublik bekannt. Im deutschsprachigen Raum haben vor allem Hilarion Petzold und Ilse Orth, seinerzeit am Fritz Pearls Institut, der Integrativen Poesie- und Bibliotherapie zur Beachtung verholfen.

1985 wurde die Deutsche Gesellschaft für Poesie und Bibliotherapie gegründet, 1986 das Institut für Kreatives Schreiben Berlin e.V., kurz IKS. Der Verein unter dem Vorsitz des bekannten Dozenten Lutz von Werder widmet sich der Verbreitung des Kreativen Schreibens und bietet gezielte Ausbildungen an.

Ausdrücken, was bedrückt – der Wunsch nach Glück

Laut Sigmund Freud hat der Schreibwunsch etwas mit dem Wunsch nach Glück zu tun – der Sehnsucht, innerlich Balance zu halten. Er erkannte die Kraft der Worte bei seelischen Problemen und räumte ein: „Nicht ich, sondern die Poeten entdeckten das Unterbewusste.“ Ähnlich wie das Sprechen in der Psychotherapie ist Schreiben eine Form von Selbstausdruck, und es kann hilfreich sein, sich dabei professionell begleiten zu lassen (Birgit Weidt in Psychologie Heute 7/2006, S. 64).

Der amerikanische Psychologe Prof. James W. Pennebaker veröffentlichte in den 1980er Jahren die Ergebnisse seiner Untersuchungen mit Collegestudenten: Studienteilnehmer, die zuvor mehrfach über traumatische Erlebnisse geschrieben hatten, wiesen deutlich mehr aktive Immunzellen im Blut auf als jene Teilnehmer, die nichts geschrieben hatten. Eine mögliche Erklärung: Schreiben stimuliert eine Hirnregion, die die Ausschüttung des Hormons Kortisol kontrolliert. Kortisol wiederum beeinflusst das Immunsystem (Birgit Weidt, ebd.).

Bewahren und loslassen – die Wirkung des Schreibens

Der Schreibende kann eine Distanz zu sich selbst herstellen. Er kann seine Wünsche und Ängste benennen und gestalten. Er kann gleichzeitig loslassen – im Prozess des Schreibens – und bewahren – das Geschriebene auf dem Blatt. Im Schreiben ist er der Regisseur, er kann umdeuten, fortsetzen, abschließen. Das Zusammenspiel von intuitiv arbeitender rechter und abstrakt-logisch arbeitender linker Hirnhälfte ermöglicht das Gestalten eines kreativen Prozesses (Birgit Weidt in Psychologie Heute 7/2006, S. 64).

Die Beschreibung von realen oder visualisierten Erlebnissen steigert die Intensität von Erfahrungen ohne sie direkt zu benennen und kann gerade so Emotionen freisetzen und tiefgreifende Veränderungen hervorrufen. Die Poesietherapie arbeitet mit diesem Prozess, der während des Schreibens und des Vorlesens stattfindet.

Einen Ausdruck finden – Anregungen zum Schreiben

Die Bewegung des Kreativen Schreibens in den USA und jetzt auch in Deutschland hat eine Fülle von Anregungen gesammelt. Dazu gehören beispielsweise das freie Assoziieren, die Inspiration durch Bilder oder Texte oder die Vervollständigung vorgegebener Satzanfänge zu persönlichen Aussagen.

Der Schreibende findet in direkter oder verfremdeter Form einen eigenen sprachlichen Ausdruck für seine inneren Bilder. Besonders die verfremdete Form hilft, eine Überflutung von unbearbeiteten Emotionen zu vermeiden. Beispiele für Schreibanregungen sind Assoziationen zum eigenen Namen, der Dialog mit einem Gefühl oder der Monolog eines besonderen Gegenstandes. Satzanfänge fortzuführen ist ebenfalls ein guter Einstieg in die Selbstanalyse: Ich wollte nie … Ich habe schon immer …

Eine neue Sprache – Heilung durch Schreiben

Indem der Schreibende seine eigene Sprache findet, kann er Eindrücke und Gedanken ordnen, hinterfragen, ergänzen und auf diese Weise eine Entlastung erfahren. Beim Schreiben kann er etwas Neues entstehen lassen, seine Sicht verändern und so einen Schritt in die Richtung der eigenen Gestaltung seines Lebens machen.