X

Wie funktioniert Gähnen – Warum gähnen wir?

Sauerstoffmangel oder Spiegelneuronen – Warum gähnen wir? Alle Menschen und einige Tiere gähnen. Lange sah man den Grund in Sauerstoffmangel – ein Ammenmärchen. Bei ansteckendem Gähnen sind Spiegelneuronen aktiv.

Gähnen ist ein alltäglicher Vorgang. Eine Viertelmillion Mal gähnt der Mensch im Laufe des Lebens. Junge und alte Menschen, Männer und Frauen tun es gleichermaßen. Das Gähnen ist in allen Kulturen zu finden. Schon Föten im Mutterleib gähnen ab der 14. Schwangerschaftswoche. Warum aber gähnen wir?

Gähnen als Sauerstoffmangel ist ein Ammenmärchen

Lange Zeit dachte man, dass Gähnen ein Reflex auf einen Sauerstoffmangel im Blut sei. Auch heute hält sich diese Vermutung hartnäckig. Der US-Amerikaner Robert Provine hat sie bereits vor drei Jahrzehnten widerlegt. Er fand heraus, dass auch bei einer sehr guten Sauerstoff-Sättigung des Blutes gegähnt wird. Auch der Sauerstoffgehalt in der Luft hatte bei Experimenten keinen Einfluss auf die Häufigkeit des Gähnens: Bei Menschen, die ein Luftgemisch mit erhöhter Kohlendioxid-Konzentration atmeten, erhöhte sich zwar die Anzahl der Atemzüge, aber sie gähnten nicht öfter als Probanden, die reinen Sauerstoff atmeten.

Obwohl wir häufiger gähnen, wenn wir müde oder gelangweilt sind, hat Gähnen einen nachweislich belebenden Effekt: Die eingeatmete kühle Luft reguliert den Temperaturhaushalt im Gehirn und führt zu mehr Konzentrationsfähigkeit. Gleichzeitig steigt die Herzfrequenz. Auch bei Stress gähnt der Mensch besonders häufig: Fallschirmspringer kurz vor dem Sprung, Athleten vor dem Startschuss. Abschließend konnte der Grund für das Gähnen bisher nicht geklärt werden.

Spiegelneuronen machen das Gähnen ansteckend

Lächelt uns jemand an, lächeln wir zurück. Erzählt uns jemand von einer Verletzung, lässt uns die bloße Vorstellung zusammenzucken. – Und wenn jemand in unserer Nähe gähnt, gähnen wir mit. Grund für diese nachahmenden Effekte sind spezielle Nervenzellen: die Spiegelneuronen. Sie sind auch dafür verantwortlich, dass wir Mitgefühl für andere Menschen empfinden. Entdeckt wurden die Spiegelneuronen Mitte der 1990-er Jahre von Giacomo Rizzolatti, der an der Universität Parma forschte.

Eine Reihe von Studien zeigte, dass 40 bis 60 Prozent aller Menschen, die anderen beim Gähnen zusehen oder auch nur davon hören, selbst zu gähnen beginnen. Sehr mitfühlende Menschen, bei denen die Spiegelneuronen besonders aktiv sind, gähnen überdurchschnittlich oft. Steven Platek von der Drexel University in Philadelphia konnte mit Videoaufnahmen von gähnenden Menschen den Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsstruktur eines Menschen und seiner Anfälligkeit, sich durch Gähnen anstecken zu lassen, nachweisen. Er vermutet, dass durch das gemeinsame Gähnen unbewusst eine Möglichkeit geschaffen wird, sich mit dem anderen zu identifizieren.

Seelisch kranke Menschen, die sich nicht in andere hineinversetzen können, zum Beispiel Schizophrene, werden von den Gefühlen anderer nicht berührt: Sie lässt das Gähnen kalt. Auch Kinder unter vier Jahren lassen sich von gähnenden Personen nicht anstecken. Das gleiche gilt für autistische Kinder. Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit zu nachahmendem Gähnen umso unwahrscheinlicher je stärker die Krankheit ausgeprägt ist.

Auch Tiere müssen gähnen

Alle Säugetiere und vermutlich auch alle Wirbeltiere gähnen. In erster Linie hat Gähnen im Tierreich eine soziale Funktion: Es übt eine Signalwirkung auf andere aus und steuert das Verhalten einer Gruppe. Gähnt ein Leittier, dann heißt das für alle: Schlafen gehen. Auch Fische gähnen. Es wird vermutet, dass sie dadurch Wasser in den Nasenraum ziehen und so die Umgebung auf Geruchsstoffe prüfen. Nilpferden gähnen übrigens nicht. Bei ihnen handelt es sich beim Öffnen des Mauls um bis zu 150 Grad nur um eine Drohgebärde.

Ansteckend wie beim Menschen ist das Gähnen bei den meisten Tierarten nicht. Nur Schimpansen lassen sich vom Gähnen eines anderen Affen animieren. Neueste Untersuchungen der Forscher des Yerkes National Primate Research Centers der Emory Universität in Atlanta (US-Bundesstaat Georgia) zeigten beim Gähnverhalten der Schimpansen Ähnlichkeiten zum Menschen: Besonders ansteckend ist das Gähnen bei Schimpansen, wenn ihnen ihr Gegenüber sympathisch ist.

Auch auf Hunde wirkt Gähnen ansteckend, so britische Wissenschaftler. Mehr noch: Hunde lassen sich sogar besonders häufig von Menschen zum Gähnen verleiten. Bei einem Experiment stellten die Forscher fest, dass 72 Prozent der Tiere gähnten, wenn ein Mensch ihnen vorgähnte. Zum ersten Mal wurde damit ansteckendes Gähnen zwischen zwei verschiedenen Arten nachgewiesen.