ADHS: Medikamentöse Behandlung ohne Ritalin

Welche Nicht-Stimulanzien können zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) eingesetzt werden?

ADHS ist bei Kindern und Jugendlichen eine der häufigsten psychischen Erkrankungen. Bei einem großen Teil der Betroffenen bestehen die Symptome bis ins Erwachsenenalter und sorgen in allen Lebensbereichen für erhebliche Belastungen. Eine möglichst frühe und effektive Behandlung ist deshalb dringend erforderlich. Bewährt hat sich hier ein multimodaler Therapieansatz aus Medikation mit Methylphenidat (MPH) und Psychotherapie. Viele Menschen sprechen jedoch nicht auf die Behandlung mit Stimulanzien an oder entscheiden sich aus anderen Gründen dagegen. Hier werden einige Substanzen vorgestellt, die eventuell als Alternative in Frage kommen könnten.

Atomoxetin

Die kurz- und langfristige Wirksamkeit von Atomoxetin bei ADHS ist inzwischen klar belegt. Als einziges Nicht-Stimulans erreicht es fast die Wirksamkeit von MPH. Weitere Vorteile sind die Einnahme von nur einer Tagesdosis und das fehlende Missbrauchspotential. Wie für alle anderen Substanzen liegt für Atomoxetin jedoch noch eine deutlich schlechtere Datenbasis als für MPH vor. (Bachmann et al., 2008b)

Trizyklische Antidepressiva (Imipramin, Desipramin)

Die Wirkung der trizyklischen Antidepressiva (TCA) bei hyperaktiv-impulsivem Verhalten konnte in zahlreichen Studien nachgewiesen werden. Laut Spencer und Biederman (2002) stellen sie eine akzeptable Behandlungsalternative dar, wenn Stimulanzien nicht wirken. Das gilt vor allem dann, wenn Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) wie Depressionen oder Angsterkrankungen vorliegen. Darüber hinaus eignet sich Imipramin besonders bei komorbider Enuresis (Einnässen), Desipramin bei komorbiden Tics. Vorteile der TCAs sind vor allem ihre längere Halbwertzeit (die eine Mittagsdosis entbehrlich macht) und das geringe Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential. Ein Nachteil sind relativ viele Nebenwirkungen. (Häßler, F. et al., 2009)

Bupropion

Bupropion hat sowohl einen antidepressiven als auch einen antimanischen Effekt. In Studien zeigte es eine geringere Wirkung als MPH. Bei der Kombination von ADHS und bipolaren Störungen könnte es jedoch eine viel versprechende Alternative sein. Auch bei der Doppeldiagnose ADHS und Substanzmissbrauch hat sich Bupropion als effizient erwiesen. Die auftretenden Nebenwirkungen sprechen eher gegen den Einsatz im Kindesalter. Die zusätzliche Einnahme mancher Substanzen (z.B. SSRIs) kann zu einer gefährlichen Überdosis führen. (Häßler, F. et al., 2009)

Carbamazepin

In älteren Studien profitierten rund 70% der ADHS-Patienten von dem Antiepileptikum Carbamazepin. Die Effektstärke soll mit der von Stimulanzien vergleichbar sein. Eine Reihe von Nebenwirkungen wie Hyponatriämie (zu niedrigen Natriumspiegel im Blut), Schwindel, Doppelbilder, Koordinationsstörungen, Blutbild- und Leberwertveränderungen sprechen eher gegen den Einsatz von Carbamazepin (nicht nur in der Behandlung von ADHS). (Häßler, F. et al., 2009)

Buspiron

Neben dem Einsatz bei Angststörungen und oppositionell auffälligem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen erwies sich Buspiron in einigen Studien als sehr wirksam bei reiner ADHS, ADHS mit einer Störung des Sozialverhaltens und ADHS mit zusätzlicher emotionaler Störung. Zwischen 70 und 90 % der Behandelten sprachen auf die Behandlung an. Wenn überhaupt werden nur geringe Nebenwirkungen beschrieben. Bei Kindern und Jugendlichen ist Buspiron aufgrund mangelnder Erfahrungen nur eingeschränkt empfehlenswert. (Häßler, F. et al., 2009)

Clonidin

Der α2-Agonist Clonidin zählt neben Stimulanzien und Atomoxetin zu den am häufigsten eingesetzten Substanzen bei ADHS in den USA. Clonidin wirkt eher auf hyperaktiv-impulsives sowie aggressives Verhalten und weniger auf Aufmerksamkeitsdefizite. In allen Studien stand Müdigkeit als Nebenwirkung an erster Stelle, gefolgt von Unruhe, Blutdruckabfall, Schlafstörungen, Mundtrockenheit, Schwindel und depressiven Verstimmungen. Kardiale Arrhythmie und Major Depression sind absolute Kontraindikationen. (Häßler, F. et al., 2009)

Beta-Blocker (Pindolol, Propranolol)

Pindolol bewirkte bei Menschen mit geistiger Behinderung, organischen Psychosyndromen und tief greifenden Entwicklungsstörungen eine Abnahme der Hyperaktivität und des aggressiven Verhaltens. Gleichzeitig verstärkt es die Bereitschaft zur sozialen Interaktion. In einer Studie musste die Behandlung trotz guter Wirksamkeit bei Kindern wegen gravierenden Nebenwirkungen abgebrochen werden. Deshalb ist von einem Einsatz im Kindes- und Jugendalter abzuraten. Bei Erwachsenen mit ADHS kam es unter einer relativ hohen Dosis (über 500 mg/Tag) Propranolol zu einer Reduktion von Wutausbrüchen. Über gravierende Nebenwirkungen liegen aus dieser Studie keine Berichte vor. (Häßler, F. et al., 2009)

Atypische Neuroleptika (Risperidon)

Risperidon stellte seine Wirksamkeit auf hyperkinetisches und impulsives Verhalten – insbesondere bei Menschen mit geistiger Behinderung – in mehreren Studien unter Beweis. Häufige Nebenwirkungen in der Eindosierungsphase sind Müdigkeit oder Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Prolaktinanstieg. Im weiteren Behandlungsverlauf kommt es öfter zu Gewichtsanstieg. In Kombination mit Methylphenidat ist es wirksam und nebenwirkungsarm. Risperidon ist für die Behandlung von Verhaltensstörungen bei Kindern mit Intelligenzminderung oder Intelligenz im unteren Normbereich zugelassen. (Häßler, F. et al., 2009)

Zink

Arnold et al. (2005) fanden einen Zusammenhang zwischen einem niedrigem Zinkspiegel und Unaufmerksamkeit. Einen Zusammenhang von Zinkmangel und hyperaktiv-impulsivem Verhalten konnten sie aber nicht nachweisen. In zwei neueren Studien wurde Zink alleine oder in Kombination mit Methylphenidat eingesetzt. Als Zusatz scheint Zink die Effizienz von Methlyphenidat zu verstärken, während es alleine nur einen geringen Effekt auf die ADHS-Symptomatik hat. Als Hauptnebenwirkung wurde der metallische Geschmack von Zink angegeben. Der genaue Wirkmechanismus ist nach wie vor nicht bekannt. (Häßler, F. et al., 2009)

Magnesium

In zwei Studien konnte eine positive Wirkung von Magnesium (alleine oder als Zusatz zu einer Standardtherapie) auf das hyperkinetische Verhalten nachgewiesen werden. Vor Beginn der Einnahme hatten 58% der ADHS-Kinder bei normalem Serumspiegel einen zu geringen Magnesiumspiegel, der sich ebenfalls durch die Behandlung normalisierte. (Häßler, F. et al., 2009)

Mehrfach ungesättigte Fettsäuren

Joshi et al. (2006) erreichten mit täglich 400 mg Alpha-Linolensäure und 50 mg Vitamin C deutliche Verbesserungen von Hyperaktivität, Impulsivität und Unaufmerksamkeit. Stevens et al. (2003) konnten die Wirkung von Efamol bei aggressivem Verhalten und Unaufmerksamkeit nachweisen. In einer Studie von Richardson und Montgomery (2005) wurden über 3 Monate 60 Kinder mit ADHS und LRS untersucht. Die Behandlung bestand aus Kapseln, die Eicosapentaensäure, Docosapentaensäure, Gamma-Linolensäure und Vitamin E enthielten. Nach 3 Monaten verbesserte sich die Gruppe hinsichtlich LRS und Verhaltensauffälligkeiten. Zum Behandlungsende nach drei Monaten waren nur noch 23% der ADHS-Kinder klinisch auffällig.

Homöopathie (Zappelin, individuelle Medikation)

Die besten Effekte traten in der von Frei et al. (2005) durchgeführten Studie in den offenen Phasen auf. Dort wurde eine Verbesserung von 58% festgestellt. In der plazebo-kontrollierten Phase wurde allerdings nur eine Verbesserung des Ausgangswertes um 9% erreicht. Zwei weitere plazebo-kontrollierte Studien zur Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel bei Kindern mit ADHS haben keine oder allenfalls sehr geringe Effekte der Präparate nachgewiesen. (Häßler, F. et al., 2009)

Hinweis

Leider sind in Deutschland nur wenige der oben aufgeführten Substanzen für die Indikation ADHS zugelassen. Sollte der behandelnde Arzt die Anwendung dennoch für sinnvoll halten, kann er das Präparat off-label (zulassungsüberschreitender Einsatz) verordnen.

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