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Bedeutungwandel von Ehe und Familie

Ein Bedeutungsverlust der Ehe fand im Laufe des letzten Jahrhunderts statt. Warum die Menschen seltener und später heiraten.

Seit den 60er Jahren herrscht eine geringe und sinkende Attraktivität der Ehe. Die Heiratsneigung ist stark gesunken und die Scheidungsrate gleichzeitig deutlich gestiegen. Der Anteil an Heiratswilligen von 1970 und 1994 bei Männern von 90 auf 53 Prozent und bei Frauen von 97 auf 60 Prozent ab.

Warum aber heiraten heute immer weniger Menschen?

Das Interessante ist, dass die Zahl der Menschen, die in einer Partnerschaft leben, nicht gesunken ist. Das Problem scheint also nicht in der Partnerfindung zu liegen, sondern in der Entscheidung zur Ehe selbst. Historische und soziale Veränderungen in der Gesellschaft wie beispielsweise die Unabhängigkeit der Frau, die Gleichberechtigung von Mann und Frau oder die veränderte Sexualmoral verursachten einen Wertewandel in der Gesellschaft.

Nichteheliche Partnerschaften – Heiraten ist keine moralische Pflicht mehr

Vom 19. Jahrhundert an ist eine freie Partnerwahl auf der Basis von Liebe immer mehr zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Kirche hat ihre Macht größtenteils verloren, in der Form, dass sie die Gesellschaft nicht mehr durch religiöse Regeln und Sanktionen kontrollieren kann. Sexuelle Beziehungen oder Ausziehen aus dem Elternhaus sind heute nicht mehr nur durch eine Ehe zu erreichen. Die Ehe wird nicht mehr als moralische Pflicht wahrgenommen.

Dies hat zur Folge, dass sexuelle Beziehungen nicht mehr legitimiert und nicht mehr wie noch im 18. Jahrhundert durch die Ehe abgesegnet werden müssen. Seit der ,,sexuellen Revolution“ erfährt unehelicher sexueller Kontakt keine gesellschaftliche Verurteilung oder Ablehnung mehr. Dazu hat auch die Entwicklung besserer Verhütungsmethoden beigetragen. Unverheiratetes Zusammenleben wird zunehmend kulturell akzeptiert. Die nichteheliche Partnerschaft ist eine bevorzugte und beliebte Form des Zusammenlebens.

Die These der Individualisierung

In der Gesellschaft fand nicht nur ein Wandel in Moral und Religion statt. Werte wie Unabhängigkeit, Selbstverwirklichung und die Entfaltung der Persönlichkeit gewannen an Bedeutung. Die Ansprüche der Menschen an ein selbstbestimmtes Leben sind gewachsen. Persönliche Wünsche sind vor allem Freiheit, Unabhängigkeit, ein eigenes individuelles Leben, die Entfaltung der Persönlichkeit und somit auch die Abgrenzung von der Herkunftsfamilie.

Emanzipation – von der Hausfrau zur Karrierefrau

Bis zur Emanzipation der Frau (als Folge der gesellschaftlichen Industrialisierung) hatten die obersten Prioritäten der Frau, die Ehe und Familie zu sein. Die Familiengründung war noch ein selbstverständlicher Bestandteil des Lebens und eine Frau war fast immer auch Ehefrau, Hausfrau und Mutter. Die traditionelle Rollenverteilung hat mehr und mehr an Bedeutung verloren. Aufgrund der immer stärker werdenden Chancengleichheit in Bildung und Beruf sorgen heutzutage Frauen überwiegend selbst für ihren Lebensunterhalt. Sie bauen sich eigene Karrieren auf und investieren viel Zeit. Viele Frauen wollen ihre schwer erkämpfte Selbstständigkeit nicht für eine Familie aufgeben. So liegt der Grund für die Ablehnung der Ehe eines Paares häufiger bei jungen Frauen als bei jungen Männern. Dieses Phänomen lässt sich außerdem mit der hohen Kinderlosigkeit von Paaren in Verbindung bringen.

Kinderwunsch und Kinderlosigkeit

Nicht nur die Ehe, sondern auch die Familiengründung ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Menschen sind sich mehr denn je bewusst, dass ein Kind eine große Herausforderung und Verantwortung bedeutet und in unserer materiellen Gesellschaft insbesondere auch ein beträchtlicher Aufwand an Zeit und Geld. Wenn jedoch ein Kind geplant oder bereits eines unterwegs ist, entscheiden sich die meisten Paare zu dem Schritt in die Ehe. Gründe hierfür sind beispielsweise der Wunsch der Frau nach ökonomischer Absicherung oder der Wunsch des Mannes nach direktem Vater-Recht. Außerdem ist die Familiengründung mit einem Partner eine Bestätigung und Festigung der Beziehung. Die Ehe kann somit heute häufig als eine bewusste Entscheidung zum Kind gesehen werden. Es herrscht heute eine Tendenz zur kindorientierten Eheschließung. Der Rückgang der Kinderzahl geht somit mit dem Rückgang der Eheschließungen einher und der Verzicht auf Kinder führt häufig auch zum Verzicht auf Ehe.

Zusammenfassung der wichtigsten Entwicklungen

Es haben sich vier wichtige Heiratsmotive herauskristallisiert. Die Ehe als

  • kulturelle Selbstverständlichkeit,
  • eine rationale Entscheidung unter dem Gesichtspunkt einer Kosten-Nutzen-Analyse oder als eine gegenseitige Absicherung bei der Entscheidung für ein gemeinsames Kind,
  • eine spontane Entscheidung, die häufig in der jüngeren Altersgruppen getroffen wird,
  • als ambivalente Entscheidung.

Ehe ist „in unserer Gesellschaft eine rechtlich legitimierte, auf Dauer angelegte Beziehung zweier ehemündiger verschiedengeschlechtlicher Personen“. Aber die Ehe ist viel komplexer und die Entscheidung zu heiraten ist inzwischen alles andere als einfach gefällt. Die wichtigsten Heiratsmotive sind nur noch selten religiös, der Wunsch nach Legalisierung der Beziehung oder wirtschaftliche, finanzielle Gründe. Der wesentlichste Grund ist die Familienplanung, also der Kinderwunsch. Zudem ist da der Wunsch nach Sicherheit und Geborgenheit durch die Ehe, die als Stütze für die Familienplanung gesehen werden. Außerdem sehen viele Menschen die Ehe als Ritual zur Bestätigung der Partnerschaft. Liebe wird meist als erste Voraussetzung für die Entscheidung zur Ehe genannt. Allerdings reicht sie alleine nicht mehr als Grund aus. Heute steht die Liebe als Heiratsmotiv im Vordergrund. Da diese Basis labil ist, wird die Beziehung meist erst einmal ,,getestet“.

Abwägung von Vor- und Nachteilen der Ehe

Die Menschen wünschen sich auf der einen Seite Geborgenheit und eine planbare Zukunft. Dies steht aber Wünschen wie Freiheit oder Entfaltung der Persönlichkeit, aber auch äußeren Einflüssen wie Unsicherheiten in der Erwerbsarbeit entgegen. Voraussetzungen für die Ehe sind eine befriedigende und hohe Beziehungsqualität, die besten beruflichen und materiellen Ausgangsbedingungen vor allem, wenn es um das Thema Kinderwunsch geht, und die Absicht zur Familiengründung selbst.