Chatroulette.com und Omegle.com – mit Fremden chatten

Die Chat-Plattformen Chatroulette.com und Omegle.com werden viel diskutiert. Per Zufallsgenerator werden anonyme Chats mit Fremden über Webcam- oder Textchats angeboten. Ein Ereignisprotokoll mit bizarren Begegnungen.

Das Interface von Chatroulette.com ist erschreckend einfach: zwei kleine Fenster mit Bildern der eigenen und fremden Webcam. Per Zufallsgenerator wird man mit einem Nutzer im One-to-one-Chat verbunden und kann mit einem simplen Textchat kommunizieren, bei dem man selbst „Out“ heißt, das Gegenüber „In“. Individuelle Nutzerprofile gibt es nicht. Das Angebot an Chattern ist riesig, aber inhaltlich eingeschränkt. 90 Prozent der Nutzer sind Männer, viele davon unbekleidet und sexuell fixiert.

Chatroulette.com – Exhibitionismus am Fließband

Klickt man sich durch das Angebot an weltweiten Chatpartnern, bekommt man unzählige Penisse in allen Zuständen zu sehen. Der Großteil der „Roulettespieler“ liebt es, seine Geschlechtsteile in Großaufnahme zu präsentieren. Wer auf derartige Freakshows steht, bekommt einiges geboten. Konversationen und Höflichkeiten sind dagegen selten. In einer Minute klicken einen schnell ein Duzend User kommentarlos weg.

Hinüber zu Omegle.com. Die Seite ist ähnlich aufgebaut, aber besser gestaltet und wird mit dem Slogan „Talk to Strangers“ beworben. Hier kann man mit einem Zufallspartner in einem Video- oder Text-Chat sprechen.

Omegle.com – anonyme Chats und schnelle Klicktods

Das Publikum bei Omegle.com ist noch jünger, und man sieht fast nur Teenager, häufig in Gruppen, die ihr Gegenüber gerne beleidigen oder auslachen. Im Text-Chat wird man noch schneller ausgeblendet. Das Gegenüber, „Stranger“ (Fremder) genannt, meldet sich beim Nutzer („You“) mit einem „Hi“, gefolgt von einem „asl“ (age, sex, location). Enthüllt man sich als deutscher Mann mittleren Alters, erfolgt schnell der Chat-Abbruch mit der Meldung „Your conversation has been disconnected.“

Chatroulette.com wurde im November 2009 von dem 17-jährigen Moskauer Andrei Ternowski gelauncht. Die Website wird auf fünf Servern in Frankfurt/Main gehostet und hatte im Februar 2010 über 30 Millionen Besucher. Omegle.com brachte der 18-jährige Student Leif K. Brooks aus Vermont/USA im März 2009 an den Start. Zurzeit hat sie täglich eine halbe Million Besucher.

Fußball, Sex und Superhelden als Diskussionsthemen

Mehr als Weggeklicke, Beleidigungen und Penisse findet kaum statt. Einige französische Teeniegirls fragen höflich, ob man sich für sie ausziehen würde. Die Verneinung führt zum sofortigen Wegklicken. Unterhaltsamer dagegen ein Mexikaner, der auf seiner Gitarre mit schauriger Stimme Folklore-Songs vertont. Etwas Gehör und Applaus sind ihm gewiss.

Endlich mal eine nackte Frau vor der Kamera! Älteres Semester, Britin, voluminös gebaut und mit unbeteiligter Miene riesige Brüste knetend. Nächster Klick! Ein netter Pole mit Bekannten in Wuppertal und Bamberg. Ein polnischer Schüler beschwert sich über seine Schullektüre, Grimms Märchen. Privat bevorzugt er lieber Mangas und Superhelden-Comics.

Next click. Einige norwegische Mädels löffeln Vanille-Joghurt und finden das Lächeln gegenüber „süß“. Eine spanische Studentin drängt eine WM-Diskussion auf. Amerikaner seien arrogant, Holländer zu brutal, aber Thomas Müller ist echt süß!

Beleidigungen und Online-Striptease im Minutentakt

Nun eine junge, hübsche Amerikanerin, Typ Britney Spears, die Online-Striptease spielen möchte. Hierbei ziehen sich die Chatpartner gleichzeitig vor ihren Cams aus. Die Cyber-Britney sucht dazu reife Männer. Ein freundliches Verneinen führt zum sofortigen Klicktod.

Rüber zu Omegle.com. Ein junger Araber zeigt seinen Stinkefinger, eine Gruppe gröhlender deutsch-türkischer Jugendlicher furzt laut ins PC-Mikro, und ein behaarter Nackedei hält seine Füße ins Bild. Der US-Journalist Owen Thomas bringt es auf den Punkt: „It’s the internet-chat version of truckstop bathroom sex: hotter because you don’t know who you’re hooking up with.“

Weiter im Text-Chat. Ein dominanter Brite sucht einen Online-Sklaven für spitzige Cybersex-Spiele. Eine junge Chinesin zeigt ihre Bildergalerie mit Mesut-Özil-Konterfeis, und die US-Studentin Nyssa sucht Musiktipps für europäische Indie-Bands.

Chatroulette.com und Omegle.com – die Abgründe des Internets

Erschreckender dagegen der Chat mit einem jungen Indonesier über den Holocaust. Zuerst die Frage, ob das nicht eine Erfindung trickreicher Juden sei. Dazu wünscht er sich einen neuen Massenmord für Chinesen. Davon gäbe es zu viele, so der Informatikstudent, und sie würden Arbeitsplätze zerstören und Markenprodukte fälschen. Ein schneller Klick beendet den Horror.

Man fragt sich, was Millionen Surfer täglich auf diese Websites zieht. Selbst Paris Hilton hat sich bereits medienwirksam darin eingeklickt. Jugendschutz gibt es nicht wirklich, wie Datenschützer bemängeln.

Bei Chatroulette gibt es immerhin eine Melde-Button für offensive Inhalte; bei dreimaliger Meldung derselben IP wird diese für 40 Minuten gesperrt. Laut des Internet-Analyse-Unternehmens RJMetrics vom März 2010 sind 13 Prozent aller Chatroulette-Nutzer „pervers“. Nackig aber sicherlich noch mehr!

Mobiler Onlinesex statt Bettlektüre

Gerade nachts fällt auf, wie viele User unbekleidet mit ihren Laptops im Bett liegen und sich ermüdet durch das exhibitionistische Angebot klicken. Der mobile Online-Sex hat das „gute Buch“ auf dem Schreibtisch abgelöst.

Zurück ins Chatroulette. Die junge Latina Alexa aus New Jersey arbeitet als Computer-Programmiererin an der New Yorker Wall Street, verdient gut, muss aber ihre Großfamilie ernähren. Zeitgleich bei Omegle: Der gefühlte 100. Stranger meldet sich mit dem obligatorischen „Hi!“.

Erschreckend jedoch eine Meldung, die sich über ihm eröffnet. Der User sei ein in den USA gemeldeter Sexualstraftäter, vor dem man sich in Acht nehmen solle. Der Betreffende würde über seine IP ermittelt und könne diese Warnung nicht sehen. Die Software sei eine Trademark von Omegle.

Sexualstraftäter werden in den USA überwacht

Nun ist man dreifach geschockt. Zum einen, einem verurteilten Sexualstraftäter gegenüber zu sitzen, vielleicht einem Vergewaltiger, Kinderschänder oder Cyberstalker. Zum zweiten, wie im Land der begrenzen Unmöglichkeiten in Ungnade gefallene Personen bei jedem Klick überwacht werden.

Und zum dritten, warum dieser Täter dennoch unbehelligt im Internet surfen kann, womöglich auf der Suche nach neuen Opfern. Angewidert beendet man seine Chats. Nicht viel hat es gebracht außer einigen netten Konversationen.

Beide Websites wurden in den Medien als für Jugendliche ungeeignet eingestuft und wollen vom Schmuddel-Image loskommen. Bei Chatroulette hat man eine Warnung angebracht und will eine Art „Anti-Penis-Filter“ integrieren, der Geschlechtsorgane im Ansatz erkennt und blockiert.

Großes Marketingpotenzial der One-to-One-Chats

Dafür ist es mit der Anonymität der Zufallschats weit her. Programme wie Wireshark und Chatroulettemap können den Herkunftsort aller Chatter mittels der IP-Adresse orten, und bei YouTube kursieren Videos mit den peinlichsten Webcam-Chattern.

Aber die Erfolgsgeschichte der One-to-One-Chats wird sicherlich weitergehen. Finanzkräftige Firmen wollen sich einkaufen, und die Applikationen iChatr und Phoneroulette übertragen die Chatrooms auf das iPhone bzw. Smartphone.

Bald werden weitere Millionen in ihre Handys schauen, um ein weiteres Geschlechtsteil im Thumbnail-Format anzusehen – oder die Meldung „Your conversation has been disconnected“.

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