Depressive werden vom Gesundheitswesen vernachlässigt

Für körperliche Krankheiten gibt es viele Hilfen im Notfall – für seelische Krankheiten leider nicht. Und darunter müssen die Patienten leiden.

In vielen Artikeln, Fernsehberichten und Internetportalen wird darauf hingewiesen, dass Depression DIE neue Volkskrankheit der Deutschen ist. Mindestens vier Millionen Menschen in Deutschland leiden darunter. Die Dunkelziffer dürfte weit höher sein. Und jeder vierte bis fünfte Erwachsene läuft Gefahr, wenigstens einmal in seinem Leben eine depressive Episode zu erleben. Depression ist keine Melancholie oder nur dunkle Gemütsverfassung, sondern eine handfeste Krankheit. Darin scheinen sich Ärzte, Therapeuten und Patienten einig zu sein. Seltsam ist dann aber, dass die Depression im Gesundheitswesen einen vernachlässigten Sonderstatus einnimmt.

Kein Notruf bei schwerer Depression

Wenn jemand einen Herzinfarkt erleidet, wird der Notarzt gerufen. Dieser kommt auch binnen kürzester Zeit mit seinem gesamten Equipment, um das Leben des Patienten zu retten. Mit Blaulicht und Sirene geht es dann in Krankenhaus, wo sich gleich ein ganzes Ärzteteam um den Betroffenen kümmert. Doch hat jemand schon einmal gehört, dass der Notarzt kommt, wenn ein Mensch unter einer schweren Depression leidet? Er sich nicht mehr aus dem Bett erheben kann und seinem Leben am liebsten ein Ende bereiten würde? Wohl kaum. Der Notarzt kommt nur bei körperlichen Symptomen. Zu einem Schwerstdepressiven führt sein Weg nur, wenn dieser einen Suizidversuch begehen will oder schon begangen hat – und dann meist in der Begleitung der Polizei.

In einer Zeit, in der es mittlerweile bekannt sein sollte, dass eine Depression eine potentiell tödliche Krankheit sein kann – denn besonders bei den schweren Formen hängt der Gedanke an Suizid immer in der Luft – mutet diese Handhabe seltsam und, sofern das Wort erlaubt ist, fahrlässig an. Einem Patienten mir Herzinfarkt oder Schlaganfall würde der Notruf am Telefon nie sagen: „Gehen Sie am besten zu Ihrem Hausarzt“.

Kaum Notfalltermine für Depressive

Nehmen wir weiter an, ein Betroffener geht dann wirklich zu seinem Hausarzt. Dieser erkennt das Problem und überweist den Patienten sogleich an einen Fachmann. Bei einer Depression bedeutet dies entweder Psychiater oder Psychotherapeut. Die Wartezeiten bei Psychiatern sind meist lang und liegen mit ein bis zwei Monaten oft schon im nicht mehr erträglichen Rahmen. So lange muss der Patient häufig also warten, bis er zumindest medikamentöse Hilfe bekommen kann. Denn der Psychiater ist Mediziner und als solcher für die Verabreichung von Psychopharmaka zuständig. Gesprächstermine passen meist nicht in seinen engen Terminkalender. Dafür wäre ein Psychotherapeut zuständig. Und bei dem ist die Wartezeit mit drei bis sechs Monaten oft noch länger. Es gibt einfach zu wenige Therapeuten für die weiter steigende Anzahl von Patienten. Notfalltermine gibt es nicht. Denn schließlich befinden sich alle Patienten in einem akuten Krankheitsbild.

Also häufig mindestens einen Monat Wartezeit bis zur medizinischen Behandlung und drei Monate bis zur persönlichen Betreuung. Unschwer vorzustellen, dass dies für jemanden, der in einer schweren Krise steckt, eine schier unendlich lange Zeit ist. Und um noch mal das Bild vom Herzinfarktpatienten zu bemühen: Dieser muss nach seinem Infarkt nicht so lange auf einen Termin warten.

Wozu denn Medikamente?

Gerade bei psychischen Erkrankungen stellt sich immer wieder die Frage: Psychopharmaka ja oder nein? Dabei ist das für Psychiater mittlerweile keine ernstzunehmende Frage mehr. Die meisten befürworten eine medikamentöse Behandlung – meist mit psychotherapeutischer Begleitung. Doch gerade die Krankenkassen führen nicht selten eine Diskussion mit Psychiater und Patient, ob denn dieses oder jenes Medikament wirklich nötig sei. Denn Psychopharmaka sind relativ teuer. Aber bei einem Herzpatienten verweigert die Kasse die nötigen Medikamente nicht.

Obwohl Depressionen also mittlerweile in aller Munde sind und die Gefährlichkeit dieser Erkrankung weithin diskutiert wird, wird sie im Gesundheitswesen doch weiterhin vernachlässigt. Erkrankte haben dann nicht nur mit der Krankheit als solche ihre Last, sondern müssen sich oft auch die nötige Hilfe erkämpfen – ein Kraftaufwand, der für viele Betroffene zu groß ist. Sie warten und warten und warten. Manche halten bis zu ihren ersten Terminen durch und andere landen dann als suizidaler Fall in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie. Dies kann nicht der Sinn des Gesundheitssystems sein.

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