Der Hippocampus der Taxifahrer

Räumliches Gedächtnis: Eine Frage des Trainings

Wie funktioniert Orientierung und wo im Gehirn findet sie statt? Geht eine gute Orientierung zu Lasten anderer Gehirnfunktionen?

Neurologe Neil Burgess vom University College London und seine Kollegin Eleanor Maguire haben schon vor ein paar Jahren bewiesen, dass eine gute Orientierung eine Frage des Trainings ist: In der rechten Hälfte des Hippocampus, der im vorderen Bereich des Gehirns sitzt, werden räumliche Erinnerungen angelegt und er wächst und schrumpft, je nach Anforderungen. Maguire benutzte Londons Taxifahrer als Versuchspersonen und stellte fest, dass diese einen deutlich größeren Hippocampus als Vergleichspersonen besitzen.

„The Knowledge“ – Die schwerste Taxiprüfung der Welt lässt den Hippocampus wachsen

Wie im Schlaf finden Taxifahrer ihren Weg durch ein Gewirr von Einbahnstraßen. Ein Londoner Taxifahrer kennt mindestens 320 Standardstrecken in seiner Stadt, außerdem 25 000 Straßen in einem Neun-Kilometer-Radius um Charing Cross.

Mit Magnetresonanztomografie (kurz MRI) untersuchte Eleanor Maguire die Gehirnwindungen von 16 Londoner Taxifahrern, die liebevoll „Cabbies“ genannt werden. Ein Anwärter, der für eine der begehrten Taxilizenzen trainiert, fährt meist mehr als drei Jahre auf dem Moped durch London, um sich die Straßen einzuprägen. Die Prüfung, die er am Ende bestehen muss, um eines der Black Cabs zu fahren, ist die härteste Taxiprüfung der Welt. Sie heißt gemeinhin „The Knowlege“ und hat sich, seitdem sie 1851 eingeführt wurde, nur marginal verändert.

Maguire stellte auch fest, dass bei Taxifahrern im Ruhestand der Hippocampus wieder schrumpft. Die Neurologin untersucht jetzt, ob der größere Hippocampus, der vor allem im Posterior oder hinteren Bereich wächst, zu Lasten anderer Gehirnregionen bzw. Funktionen geht. Es steht fest, dass bei Cabbies der vordere Bereich des Hippocampus kleiner ist.

Vögel, die für den Winter anhamstern, haben ein besseres Gedächtnis

Studien mit Vögeln scheinen diese Beobachtung zu bestätigen. Wissenschaftler sind sich einig, dass bei den Arten, die Futter für die Wintermonate verstecken, wie z.B. bei Meisen, die Überlebenschancen größer sind, wenn sie ihren Vorrat über ein größeres Gebiet verteilt verstecken. Je anspruchsvoller das Territorium von Meisen ist, desto größer wird bei ihnen der Hippocampus, schreibt Nicky Clayton von der Oxford University, die Sumpfmeisen (Parus palustris) mit in Gefangenschaft aufgewachsenen Blaumeisen (Parus caeruleus) verglich. Sie kam zu dem Schluss, dass bei Sumpfmeisen die Gesamtzahl von Nervenzellen ebenso wächst.

Forscher aus Cambridge bezweifeln diese Theorie, die dennoch nichts von ihrer Popularität verloren hat. Bei Brieftauben (Columba livia) soll der Hippocampus am ausgeprägtesten sein. Denn bei klarer Sicht orientieren sich Brieftauben am Verlauf von Straßen; die Orientierung am Magnetfeld der Erde und an der Sonne spielt dann nur noch eine untergeordnete Rolle. Ornithologen der Universität Oxford kamen zu diesem erstaunlichen Ergebnis, als sie kleine Kameras an den Köpfen der Tiere befestigten. Dass Brieftauben sich an sogenannten Landmarken einprägen, ist an sich nichts Neues – doch nahm man bisher an, dass es sich um Flusstäler oder Gebirgsläufe handelt.

Verirren ist menschlich?

Brieftauben mit lädiertem Hippocampus finden nicht mehr nach Hause. Menschen mit beschädigtem Hippocampus verirren sich ebenso, denn sie können Wendepunkte nicht mehr in Beziehung zu früheren Erinnerungen setzen. Die Auswirkungen der Navigationstechnik sind bisher kaum erforscht, weder in der Psychologie, noch Neurologie. Wird der Hippocampus des Menschen in Zukunft schrumpfen – dank Tomtom? Der ADAC in München hat schon gewarnt, dass ein großer Teil von Autofahrern klassische Karten nicht mehr lesen kann und einfache Orientierungsgrundlagen wie Norden oder Süden nicht mehr beherrscht. Der Automobil-Club geht sogar so weit zu behaupten, dass regelmäßige Benützer von Navigationsgeräten ihre Orientierung verlieren. Beweisen kann er das allerdings nicht. Es wäre schade, wenn die Fähigkeit, sich an Merkmalen in der Landschaft oder am Sonnenstand zu orientieren verloren ginge.

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