Der Rentner-Schlepper – Fünf Ruheständler restaurieren ein 54 Jahre altes Schiff

Klar, sie haben alle Zeit der Welt. Aber das ist es nicht nur, was die Herren treibt. Es ist das Messing, das Edelholz und die Maschine, die mit Patronen gezündet wird.

Mit neun Knoten stampft die „Flensburg“ auf der Elbe dahin. Der Wind wirft nur kleine Wellen vor den Bug des 53 Jahre alten Schleppers. Dazu liefert das dichte Wolkenband norddeutschen Nieselregen. „Schietwedder, hüt!“, grummelt Steuermann Armin Ohlfest und rückt seine Mütze zurecht. Backbord taucht Glückstadt auf. Ohlfest ändert den Kurs in Richtung Hafeneinfahrt. Als ehemaliger Elblotse kennt er den Strom in- und auswendig.

Gepflegte alte Dame

Das Schiff ist eine gepflegte alte Dame, die im Zeitalter des PC mithalten kann: „Wir haben alles – GPS, Radar, Funk, elektronischer Kompass, Wendeanzeiger“, zählt der 70jährige Ohlfest auf. Solche Gerätschaften können andere Besatzungen natürlich auch vorweisen. Jedoch wird man einen alten Messing-Telegrafen, den die „Flensburg“ ziert, auf modernen Schiffen vergeblich suchen. Das Gerät mit dem geschwungenen Rohr aus Kupfer, das trichterförmig endet, scheint einem maritimen Museum entsprungen, ist aber voll funktionstüchtig. „Damit bediene ich die Maschine und verständige mich mit dem Maschinisten“, erklärt Armin Ohlfest knapp. Im Glückstädter Hafen steuert der Ruheständler den 60 Tonnen schweren Bugsierer zur Kaimauer, dreht ihn wie auf einem Teller. Lässig bedienen seine Finger den Telegrafen: „Maschine zurück, Maschine stopp!“ Ein Kinderspiel. Ohlfest war nicht nur Lotse, als Tankerkapitän hat er schon ganz andere Pötte bewegt, die das Maß der „Flensburg“ – 22 Meter sind’s – um das Zehnfache übertrafen.

„Die Frauen waren ganz schön stinkig“

Er ist einer von fünf Enthusiasten, die sich darauf verschworen haben, der „Flensburg“ ein neues Leben zu schenken. Die anderen, das sind der Eigner Alfred Mantwitz, Kapitän Hans Baudzus, Schlosser Jürgen Holm und der „Maschinist“ Reimer Ohlfest, der Bruder des Steuermanns, der ihm eben noch schroff Befehle entgegen bellte. Gesetzte Herren zwischen 60 und 70 Jahren, Genaueres will man nicht verraten. „Ist doch wurscht“, meint Mantwitz. Und Hans Baudzus kommt gleich zum sehr viel Wesentlicheren: „Drei Jahre lang haben wir jeden Tag am Schiff gearbeitet. Die Frauen waren ganz schön stinkig.“ Und Eigentümer Mantwitz, der als Schiffsmakler „immer noch gelegentlich aktiv“ ist, ergänzt: „Um die 7.000 Arbeitsstunden stecken bereits im Schiff. Aber wir sind ja noch nicht fertig.“ Spricht’s, nimmt sich eine Flex und schreitet zur Tat. Am Vorderschiff geht es mal wieder darum, den Rostfraß zu besiegen. Erst wenn das Metall blank vor ihm aufblitzt, ist Mantwitz zufrieden.

Schalttafeln, Rohre und Bakelit

Die Glückstädter Altherrenmannschaft hat aber auch wirklich ganze Arbeit geleistet. Überall fallen liebevoll restaurierte Details ins Auge: polierte Messinggriffe, Messinglampen, Bakelit-Schalter, freigelegtes, lackiertes Edelholz an Türrahmen, an Auf- und Abgängen – und natürlich das Herzstück der „Flensburg“, die Deutz-Diesel-Maschine und der sie umgebende Raum. Rot lackiert ruht das 470-PS-Aggregat, das noch mit Zündpatronen gestartet werden muss, inmitten von alten Schalttafeln, Rohren und Kesseln. Auch unter Deck sieht man der betagten Dame das hohe Alter nicht an. Alles ist wie aus dem Ei gepellt. Öllachen, verschmierte Lappen? Fehlanzeige.

Alles original

„Sämtliche Teile, bis auf die Heizung, sind original“, so Skipper Mantwitz, „unser Problem ist dabei, dass wir bei Bedarf keine Ersatzteile mehr bekommen. Da muss improvisiert und repariert werden.“ So hat sich jeder an Bord zum Spezialisten entwickelt. Jürgen Holm fertigte in tagelanger Feinstarbeit eine neue Kupferpfeife für den Telegrafen an. Und Armin Ohlfest darf sich inzwischen „Messing-Schleifspezialist“ nennen: „Es war alles mehrfach überlackiert. Griffe, Lampenschirme, Beschläge. Ich nehme mir Stück für Stück vor und schleife so lange, bis die Legierung wieder glänzt.“ Zufrieden werden die fünf Rentner erst sein, wenn der Bugsierer in ein paar Monaten wieder so erstrahlt wie im Jahr seiner Fertigstellung.

Als „Bugsier 9“ vom Stapel gelaufen

1953 lief das Schiff als „Bugsier 9″ auf der Jadewerft in Wilhelmshaven vom Stapel, kam über Flensburg, wo es seinen jetzigen Namen erhielt und lange als Schlepper im Dienst war, 1992 im Besitz einer Buxtehuder Reederei an die Elbe und wechselte abermals den Eigner. Bis ins Jahr 2000 steuerte das Schiff nun Alfred Mantwitz für das Wasser- und Schifffahrtsamt in Glückstadt. Einsatz: Eisbrecher auf der Elbe. Dann wurde es außer Dienst gestellt. Mantwitz kaufte es, suchte seine Mitstreiter und legte mit der Restaurierung los.

Ab nach Helgoland

Für die fünf Ruheständler, die sich nicht vom Wasser trennen können, ist die „Flensburg“ längst zum zweiten Zuhause geworden. Sie sind viel unterwegs. Mal geht’s nur über die Elbe nach Buxtehude, mal nach Helgoland oder auf einen längeren Urlaubs-Törn an der Osteeküste. Sobald über Fahrtenziele gesprochen wird, blitzt jugendlicher Unternehmensgeist in den Augen der Crew auf, der jeden Gedanken an den schlechten Schlafkomfort verblassen lässt, der auf die Männer zukommt. Der Schlepper verfügt nur über zwei feste Kojen. Drei Seeleute müssen auf Luftmatratzen im Steuerhaus schlafen. Aber das sieht keiner eng – schließlich bietet das Schiff dafür eine Bar, an der man sich abends noch ein flüssiges Schlafmittel abholen kann. Dann kramt Skipper Mantwitz auch gerne seine Drehorgel raus und sorgt für passende Stimmung.

Sogar mit Echolot

Ein Zubrot verdient er sich auch durch Ausflugsfahrten für zahlende Gäste. 35 dürfen es an Bord sein, seit der Pott von der „Gemeinsamen Kommission für historische Wasserfahrzeuge“ als „Traditionsschiff“ anerkannt worden ist. Allerdings decken diese Einnahmen nicht annähernd die laufenden Kosten der Instandhaltung. Kürzlich waren zudem der Einbau eines Echolots und ein neuer Unterwasseranstrich fällig. „Tja, in das Schiff haben wir schon Einiges hineingesteckt“, gibt Alfred Mantwitz zu, der als Kaufmann nicht gerade als armer Mann dasteht.

Wieviel? „Oooch, das hab‘ ich ganz vergessen.“

 

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