Die Kinder der Kriegskinder

Wie gehen wir mit den Schatten der Vergangenheit um?

Die Generation der Kriegsenkel trägt schwerer an den Folgen des zweiten Weltkrieges als es nach außen hin vermuten lässt. Ein spannendes Buch von Sabine Bode.

 

Die sogenannten Kriegsenkel sind all diejenigen, die heute zwischen 35 und 50 Jahre alt sind, deren Eltern den Zweiten Weltkrieg bzw. seine Folgen als Kinder miterlebt haben. Diese Generation der Kriegskinder rückt seit den 1990er Jahren immer stärker in den Fokus insbesondere psychologischer Untersuchungen und Forschungen. Lange Zeit wurde vernachlässigt, welche Folgen die Traumata einer ganzen Generation mit sich bringen, die in Trümmern, umgeben von Tod, Verlust und Angst geboren wurde und mit den Folgen der Verdrängung im Wirtschaftswunder groß wurde. Die Kriegskinder – dazu werden vornehmlich die Jahrgänge von 1939-1945 gerechnet – sind mittlerweile im Rentenalter, die Möglichkeit, durch der „eigenen Hände Arbeit“ ein Stück der eigenen Vergangenheit zu verdrängen, wird geringer und es tauchen immer mehr Menschen diesen Alters in Arztpraxen und psychologischen Beratungen auf, weil sie mit Symptomen und Krankheiten kämpfen, die sie sich selbst nicht erklären können.

Ärzte und Psychologen werden langsam hellhörig, gerade ist an der Universität München eine erste Langzeitstudie zu diesem Thema vorgestellt worden, die belegt, wie stark die Schatten einer „Kriegskindheit“ noch immer auf einem Großteil der heutigen Rentner lasten. Und etwas anderes wird deutlich: dass sie etwas von diesen Schatten an ihre Kinder weitergegeben haben, ohne es zu wollen, ohne es zu wissen.

Das Erbe der Kriegskinder

Die Autorin Sabine Bode beschäftigt sich aus einem persönlichen Interesse heraus seit den 1990er Jahren mit diesen Fragen. Nach zwei Büchern zur Generation der Kriegskinder sowie der Untersuchung des Phänomens „German Angst“, ist nun ein weiteres Buch von ihr erschienen, das die Generation der „Kriegsenkel“ in den Blick nimmt. Anhand von Biographien und Berichten wird deutlich, wie ähnlich die Fragen der 35-50jährigen häufig sind, wenn es um die Entwicklung der eigenen Identität geht: Die Erlebnisse in Elternhäusern, in denen Spannung und Unsicherheit, ungeklärte Ängste und die Sehnsucht nach Stabilität, nach Leistung und Wohlstand anstelle einer persönlichen Entfaltung standen, in denen zwar alles „da“ war, aber die eigenen Eltern oft seltsam abwesend schienen. Einer der häufigsten Sätze, der in den Berichten fällt, ist: „Meine Eltern kennen mich gar nicht.“ Eine seltsame Kluft hat sich aufgebaut, die dennoch oft mit dem Wunsch verbunden ist, die Eltern zu verteidigen, es ihnen weiterhin „recht zu machen, damit es ihnen gut geht.“ Viele der Kriegsenkel sprechen davon, dass sie das Gefühl hatten, schon früh für das Glück ihrer Eltern verantwortlich zu sein, sich um sie kümmern zu müssen, ohne zu wissen, warum. Die Rollen sind verdreht – und umgekehrt stehen häufig die Eltern, die die Vergangenheit abschließen wollen, die kein Interesse daran haben, ihre eigenen Gefühle zum Thema zu machen: „Das ist vorbei. Irgendwann muss Schluss sein mit den alten Geschichten. Es ging uns doch immer gut, ich weiß gar nicht, was ihr habt.“

Das Trauma ist nie Teil der eigenen Geschichte

Das Problematische an dieser Konstellation sind nicht die Erlebnisse an sich, nicht die Schwere der Kriegsvergangenheit, sondern das Schweigen darüber, der Schnitt, der damit für die Angehörigen der Kriegsenkel spürbar wird, wenn es um die eigene Vergangenheit und Tradition geht: Sie fühlen sich entwurzelt, auch wenn sie den eigenen Wurzeln oft gar keinen Wert beimessen. Aber es führt dennoch dazu, dass sie sich auf einer ewigen Suche nach sich selbst befinden, Trauer und Angst spüren, die sie mit sich selbst nicht wirklich in Verbindung bringen und nur selten ahnen, dass sie damit einen Teil der Last tragen, die eigentlich ihren Eltern gehört – die aber nie ans Licht gekommen ist. Sabine Bode formuliert mit ihrem Buch keine Vorwürfe oder Appelle, sie spricht lediglich einen Zusammenhang aus, der helfen kann, dass beide Generationen in einen Dialog oder zumindest in eine Auseinandersetzung mit sich selbst eintreten, die ein wenig Licht in das Dunkel der eigenen Identitätssuche bringen kann. Nicht immer ist ein Dialog mit den Eltern möglich – denn die Eigenschaft eines Traumas ist ja gerade, dass es nicht erzählt werden kann, weil es wie verkapselt ein seelisches Eigenleben führt – aber der Blick auf die eigene Geschichte, der Zusammenhang zu lang zurückliegenden Kriegserfahrungen in der eigenen Familie kann helfen, um sich selbst besser verstehen zu lernen und dafür ist dieses Buch ein sehr wertvoller Ratgeber.

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