Erwachsen werden: Das Gehirn im Umbruch

Von den tiefgreifenden neurologischen Veränderungen im Denkorgan.

Studien beweisen, was Millionen Eltern ahnen: Kinder denken anders als Erwachsene, doch der Weg von kindlicher Denkstruktur zu erwachsenem Verstand ist nicht einfach.

“Was hast du dir dabei nur gedacht?!” Diese Frage hat sicher jeder Vater und jede Mutter ihrem Sprössling schon einmal gestellt. Im Hintergrund steht dabei der Gedanke, dass Kinder in denselben Kategorien und Strukturen denken wie Erwachsene. Doch aktuelle Studien der Hirnforschung belegen das Gegenteil.

Das kindliche Gehirn – Lokale Netzwerke und Flexibilität

In den ersten Lebensjahren wächst die Anzahl der Verbindungen im Gehirn rasch an. Prof. Steven E. Petersen (Washington Universitiy School of Medicine in St. Louis) und seine Kollegen untersuchten mittels Magnetresonanztomographie die Gehirnstruktur von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Ihre Ergebnisse zeigen, dass die stärksten Verbindungen im kindlichen Gehirn zwischen Regionen bestehen, die räumlich nahe beieinander liegen. Kann daraus gefolgert werden, dass junge Gehirne unstrukturierter sind als erwachsene?

„Unabhängig davon, wie verführerisch es sein mag, anderes anzunehmen, ist das Gehirn eines normalen Kindes nicht von sich aus desorganisiert oder chaotisch”, erklärt Petersen. „Es ist zwar anders organisiert, aber mindestens so leistungsfähig wie ein erwachsenes Gehirn.“ Damien A. Fair, ebenfalls an der Studie beteiligt, beschreibt die Struktur als „großes Netzwerk, in dem man mithilfe spezieller Schaltstellen einen Knoten mit einem beliebigen anderen über eine relativ geringe Anzahl von Schritten verbinden kann. Diese Schaltstellen besitzen besonders viele Verbindungen zu anderen Knoten, dadurch verkürzen sie die Anzahl der nötigen Schritte.“

Die besondere Struktur des kindlichen Denkorgans ermöglicht große Flexibilität. Kinder sind dadurch in der Lage, große Datenmengen aufzunehmen und zu verarbeiten, neue Verbindungen aufzubauen und selbst schwere Gehirnverletzungen durch Funktionsverlagerung auszugleichen, eine Fähigkeit, die das erwachsene Gehirn kaum noch hat.

Das Gehirn strukturiert sich neu – Kindliche Denkmuster verschwinden

Mit dem Alterungsprozess gehen jedoch wesentliche Veränderungen einher. Einige der in der Kindheit geknüpften Gehirnverbindungen werden wieder gekappt. Das Gehirn wählt aus, welche Verbindungen weiter notwendig sind und welche nicht. Wissenschaftler gehen davon aus, dass dieser Auswahlprozess auf Basis der Häufigkeit geschieht, mit welcher synaptische Verbindungen genutzt werden. „Kindliche“ Denkmuster werden hierbei ausrangiert. Der Prozess des Kappens neuronaler Verbindungen findet hauptsächlich im Alter von 11 bis 17 Jahren statt. Interessanterweise reduzieren sich gerade in dieser Altersgruppe die Gehirnwellen im Schlaf signifikant.

Das erwachsene Gehirn – Die Struktur folgt der Funktion

Während das Gehirn älter wird, zeigt sich eine Verschiebung von starker lokaler Vernetzung hin zu Netzwerken auf Basis gleicher Funktionen. Die stärksten Verbindungen im erwachsenen Gehirn bestehen somit zwischen Bereichen, die gleiche oder benachbarte Funktionen haben, unabhängig von ihrer räumlichen Entfernung.

Infolge dieser Neustrukturierung verändern sich die Stärken und Schwächen des Denkorgans. Die kindliche Flexibilität ist verschwunden, nun versetzt das Gehirn den Menschen in die Lage, komplexe Sachverhalte zu erfassen, sich lange Zeit auf ein konkretes Problem zu konzentrieren oder mehrere Prozesse gleichzeitig zu bearbeiten (Multitasking), auch das Gefühlsleben verändert sich wesentlich.

„Was hast du dir dabei nur gedacht?!“ Eine Frage, die bei genauerem Hinsehen zeigt, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind. Die Struktur ihres Gehirns und damit ihre Art zu Denken unterscheidet sich wesentlich von der eines Erwachsenen. Die Kinderbuchautorin Cornelia Funke beschrieb geschilderten Sachverhalt poetisch:

„Erwachsene erinnern sich nicht daran, wie es war, ein Kind zu sein. Auch wenn sie es behaupten. Sie wissen es nicht mehr. Glaub mir. Sie haben alles vergessen. […] Du wirst es auch vergessen.“

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