Guter und schlechter Optimismus – Probleme des positiven Denkens

Soll man Optimisten bewundern oder bemitleiden? Das hängt davon ab, was für ein Optimist es ist. Manche Formen des Optimismus können „krankhaft“ sein.

Manfred konnte einfach nicht anders, als allen Ereignissen in seinem Leben eine rein optimistische Perspektive abzugewinnen. Was er selber nicht sehen konnte, war, dass ihn diese Einstellung blind für sämtliche unangenehmen Tatsachen machte. Diese schob er einfach beiseite, bevor er sie richtig wahrgenommen hatte. Und so erwischte ihn auch das Übel meist aus heiterem Himmel.

Beim positiven Denken Tatsachen mit einbeziehen

Optimismus gehört zunächst zu den Schlüsselfaktoren für psychisches Wohlbefinden. Insofern ist es nicht schlecht, optimistisch zu sein. Jedoch kann das Harmoniedenken dazu führen, dass man – wie Manfred – die Realität unbeachtet lässt und die Probleme nicht genügend analysiert. Auch das so genannte lösungsorientierte Denken verursacht solche Probleme. Solange das Problem nicht genügend erfasst wurde, können Lösungen nicht genügend darauf eingehen und lösen dann auch gar nichts. Ebenso ergeht es den Optimisten, die nicht mit den Tatsachen umgehen. Sogenannte positive Denker erscheinen anderen Menschen häufig als banal. Ihr Gerede ist meist inhaltsleer, und da ihnen ein Problembezug fehlt, auch ziemlich langweilig.

Kognitive Einschätzungen und Wahrnehmungsurteile

Der Optimismus ist, psychologisch gesehen, eine Tendenz der kognitiven Einschätzung. Solche kognitiven Einschätzungen basieren zunächst auf der evolutionären Funktion von Emotionen und werden im Laufe der individuellen Entwicklung kulturell und gedanklich „überformt“. Werturteile sind keine Wahrnehmungsurteile. Wahrnehmungsurteile sind Sätze, die ausdrücken, was faktisch ist: Ich sitze vor meinem Computer; draußen ist es dunkel; die Katze liegt auf der Matte. Werturteile dagegen wägen den Wert von Fakten gegeneinander ab. Geschieht dies mit Rücksicht auf die eigenen Bedürfnisse und Vorlieben, handelt es sich um subjektive Werturteile. Sie bilden die Basis unserer kognitiven Einschätzungen und unseres Verhältnisses zur Welt. Sie sind es aber auch, die uns Handlungsmöglichkeiten nahe legen und uns zuallererst handlungsfähig machen. Dabei ist es natürlich sinnvoller, an den Erfolg von Handlungen zu glauben, als an ihm zu zweifeln. Der Optimist glaubt an den Erfolg.

Guter und schlechter Optimismus

Es gibt jedoch bei den Optimisten zwei Typen. Der eine Optimist glaubt daran, dass er durch eigene Leistung eine gute Situation noch verbessern oder eine schlechte Situation mehr oder weniger zum Guten wenden kann; der andere Optimist verlässt sich darauf, dass es irgendwann schon aufwärts geht. Dieser letztgenannte Typ ist schicksalsergeben und eigentlich fatalistisch (fata, aus dem Arabischen für Schicksal). Aus verschiedenen Gründen ist dieser fatalistische Optimist nicht wirklich handlungsfähig. Zum einen blendet er die Tatsachen aus. Solche Optimisten erkennt man schon beim Sprechen. Sie drücken sich wenig in Wahrnehmungsurteilen aus. Sie bevorzugen Werturteile. Fragt man sie, woher ihnen diese Urteile kommen, können sie dies nur schlecht begründen. Zum anderen haben solche Optimisten einen schlechten oder undeutlichen Bezug zur eigenen Leistung und zum eigenen Leistungshandeln. Mal überschätzen sie sich und mal scheinen sie ihr Licht völlig unter den Scheffel zu stellen, ohne es zu merken. Ihre Umgebung können sie durch diese schwankende Selbstbewertung häufig in den Wahnsinn treiben. Ein guter Optimismus orientiert sich an der Realität und ihren Problemen, aber auch an den eigenen Handlungsmöglichkeiten und dem Willen zur Verbesserung.

Falsche Selbstdarstellung und soziale Konkurrenz

Unsere Kultur fördert den schlechten Optimismus. Das Konkurrenzdenken verleitet, dass Menschen dazu tendieren, sich besser darzustellen, als sie sind. Der Mensch wird zum Träger seiner eigenen Werbebotschaft und diese hängt wieder nur lose mit dem „Produkt“, das heißt mit den Fähigkeiten des Menschen zusammen. Die Auswirkungen können fatal sein. Die falsche Selbstdarstellung führt nicht nur dazu, dass ein Mensch einen kritischen und differenzierten Umgang mit sich selbst nicht pflegen lernt, sondern auch, dass er häufig auf erpresserische Weise andere Menschen dazu zwingen muss, sein eigenes Selbstbild anzuerkennen. Dagegen werden wichtige Probleme oftmals nicht angegangen. So ist das Tätigkeitsfeld solcher Personen auch durch ein unverständliches Ineinander von Glanz und Elend gekennzeichnet.

Emotionale Erpressung und die Macht der Beschämung

Konkurrenzdenken geht eigentlich immer mit Schuldzuweisungen einher. Gibt es ein Problem, wird ein Schuldiger gesucht. Aus diesem Gedanken ziehen schlechte Optimisten einen „sekundären Krankheitsgewinn“. Indem der Optimist darauf hinweisen kann, dass er selbst ja keine Probleme habe, kann er die Schuld schneller anderen aufbürden. Hier trifft er gerne auf Menschen, die aus anderen Gründen an die Schuld glauben und diese entweder nicht gut genug abwehren können oder diese sogar gerne übernehmen. Solche schlechten Optimisten ziehen aus den Schuldzuweisungen einen Machtgewinn, den der kanadische Psychoanalytiker Leon Wurmser die Macht der Beschämung nennt. Diese wird häufig in Familien und familienähnlichen Organisationen, wie zum Beispiel Lehrerkollegien oder Büros durch emotionale Erpressung erreicht.

Vermeidung von Angst, Trauer und Aggression

Tatsächlich gibt es zahlreiche Arten, einen falschen Optimismus zu pflegen. Auffällig allerdings ist, dass schlechte Optimisten selten oder nie Angst und Trauer zeigen, und dass sie zwar aggressiv sein können, aber dies offensichtlich nicht wahrnehmen oder diese Aggression als „gerechtfertigt“ sehen. In Bezug auf Angst und Trauer, aber auch auf Aggressionen, erscheint der falsche Optimismus als eine Mischung von Vermeidung dieser Gefühle, als auch von Rationalisierung. Es scheint, dass die Vermeidung sich auf die Emotionen auslösenden Tatsachen ausdehnt, so dass die Welt überall dort durchlöchert und weggeschwärzt wird, wo Trauer und Angst im Spiel sind, während die Rationalisierung die anderen Gefühle gleichsam „welthaft“ macht, als ob diese objektiv seien.

Beobachten lernen, handeln lernen

Manche Formen des schlechten Optimismus sind tatsächlich pathologisch und gehören in die Hände von erfahrenen Therapeuten. Im allgemeinen aber kann man solche hoffnungsvollen Fehleinschätzungen dadurch vermeiden, dass man Beobachten und Handeln lernt und dies auf einer möglichst konkreten Ebene. Das Beobachten stützt sich darauf, Aspekte der Wirklichkeit und deren Probleme vielperspektivisch zu beleuchten. Hierher gehören solche zentralen Techniken wie das laterale Denken und das Analogisieren. Das Handeln stützt sich zum einen auf dem Ausprobieren neuer und nach und nach vielfältiger Betätigungsfelder, als auch auf der Mittel-Ziel-Analyse. Diese beiden Lernfelder – Beobachten und Handeln – beziehen sich auf die Problemlösekompetenz, so, wie sie von der kognitiven Psychologie (zum Beispiel John Anderson) geschildert werden. Der Aufbau von Problemlösekompetenz ist also eine zentrale Voraussetzung für einen gesunden Optimismus.

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