Machte das Kochen uns zum Menschen?

Die Erfindung des Feuers machte das Garen der Nahrung möglich. Gekochte Nahrung sorgte für einen Schub in der Entwicklung des menschlichen Gehirns.

„Haben Sie sich schon mal Gedanken über die Kulturgeschichte des Kochens und die Philosophie des Ernährens gemacht?“, fragte Salonière Christiane Nägler, die zu einem Abend über die Kulturgeschichte des Kochens in ihren Salon im Fachwerk in Eltville-Martinsthal eingeladen hatte. Als Experten stellte sie Professor Dr. Christian Schärf vor. Er ist Autor, Philosoph, Dozent für Sprach- und Literaturwissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz und – ganz privat – begeisterter Koch. Er stellte interessante und provozierende Ideen und Theorien zu diesen Themen vor, die er aus unterschiedlichen Quellen bezog, um sie dann aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten.

Friedrich Nietzsche hat den Zusammenhang zwischen Ernährung und Geist erkannt

Da hatte er gleich zur Einführung mit Friedrich Nietzsche einen kritischen Geist zu bieten: „Aber die deutsche Küche überhaupt – was hat sie seit Alters her alles auf dem Gewissen! Die Suppe vor der Mahlzeit (…); die ausgekochten Fleische; die fett und schwer gemachten Gemüse; die unverdauliche Spezies der Mehlspeisen. Rechnet man noch die gerade viehischen Nachguss-Bedürfnisse des deutschen Biedermanns hinzu, so versteht man die Herkunft des ‚deutschen Geistes’ – aus einem verdorbenen Magen…“ Nietzsche habe unter verschiedenen Krankheiten gelitten, sich bei Aufenthalten im Mittelmeerraum gesünder gefühlt und dies auch auf die mediterrane Küche zurückgeführt. Vor allem aber habe er den Zusammenhang zwischen Ernährung und Geist erkannt.

Die Historie der mediterranen, insbesondere der italienischen Küche belegte Schärf mit einem Buch des britischen Historikers und Italienkenners John Dickie: „Delizia! Die Italiener und ihre Küche. Geschichte einer Leidenschaft.“ Die italienische Küche hat den Ruf, die beliebteste Küche der Welt und – als Teil der mediterranen Küche – dazu noch sehr gesund zu sein. Das blieb am Salonabend nicht reine Theorie, sondern war als sinnlicher Genuss greifbar und essbar in Form von italienischen Häppchen, die zusätzlich zu den üblichen Salonbutterbroten aufgetischt wurden.

Gekochte Nahrung erhöht die Energiezufuhr beim Verzehren der Nahrung

Dieser sinnliche Genuss fehle hingegen bei den Kochshows im Fernsehen, merkten einige Salongäste an. „Wir sitzen und liegen vor den Mattscheiben wie die Urzeitmenschen vor dem Lagerfeuer“, urteilte Schärf. „Die Kochsendungen ersetzen die Sippe.“ Die Entwicklung der Kochkultur, das heißt, das Garen der Nahrung, nahm breiten Raum im Vortrag des Experten und in der lebhaften Diskussion mit den Salongästen ein. Zwar ist die Gattung Homo schon 2,5 Millionen Jahre alt, und die früheste Nutzung des Feuers durch Homo erectus wird auf etwa 1,5 Millionen Jahre datiert. Menschen sind also eine volle Million Jahre ausgekommen, ohne zu kochen. Die Nutzung des Feuers für die Zubereitung der Nahrung hat aber für einen deutlichen Schub in der Entwicklung des menschlichen Gehirns gesorgt, denn als größter Energieverbraucher des menschlichen Körpers war dieses Organ direkt von der besseren Verwertbarkeit gekochter Nahrung betroffen.

Schärf bezog sich vor allem auf Thesen aus dem Buch von Richard Wrangham, „Feuer fangen. Wie uns das Kochen zum Menschen machte – eine neue Theorie der menschlichen Evolution.“ Wrangham zitiert zahlreiche Forscher, die sich mit der Geschichte des Kochens auseinandergesetzt haben. Das Garen erlaube es, im Rohzustand zähe Nahrungsmittel zu zerteilen und zu zerkleinern. Das Kochen lasse Gifte zerfallen, beuge dem Verderben der Nahrung vor und erhöhe vor allem die Energiezufuhr beim Verzehr der Nahrung. „Diese zusätzliche Energie verlieh den ersten Köchen und Köchinnen biologische Vorteile“, schreibt Wrangham. „Sie lebten länger und reproduzierten sich erfolgreicher als vorher. Ihre Gene breiteten sich stärker aus.“ Der Körper habe sich an die zusätzliche Energiezufuhr durch gekochte Nahrung angepasst. „Es kam zu Veränderungen des Körperbaus, der Physiologie, der Ökologie, der Lebensgeschichte, der Psychologie und der Gesellschaft. (…) Wir können tatsächlich unser Menschsein an der Erfindung des Kochens festmachen.“

Ist warmes Essen ein Urbedürfnis oder eine Gewohnheit?

Wrangham führt in seinem Buch die These an, das menschliche Gehirn habe sich insbesondere seit dem Verzehr von gekochtem Fleisch so beachtlich entwickelt. Außerdem verweist er auf Studien, die zu dem Schluss kommen, der Mensch sei für eine ausschließliche Ernährung mit Rohkost nicht geeignet. Kontrovers wurde diskutiert, ob warmes Essen ein Urbedürfnis des Menschen oder eine Gewohnheit sei. Einig wurde man sich darüber, dass warmes Essen auch für menschliche Wärme, familiäre Nähe, Tischzivilisation und ein Leben in der „Sippe“ stehe – für eine Geborgenheit und Gemütlichkeit, die viele berufstätige oder als Single lebende Menschen verloren haben und in gewisser Weise in den Kochshows wiederfinden wollen. Doch offenbar gibt es hoffnungsvolle Trends. Eine Personalleiterin unter den Gästen berichtete von Mitarbeitern, die sich früher zu Kegelabenden oder ähnlichen Vergnügen trafen und sich heute in ihrer Freizeit zu Kochzirkeln zusammenschließen.

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