Mit Chili schmerzfrei ohne Taubheitsgefühl

Capsaicin ist ein Scharfmacher mit medizinischem Anwendungspotenzial. Chili bietet sich als Wirkstoff für (zahn-)ärztliche Eingriffe mit örtlicher Betäubung ohne Nebenwirkungen an. Voraussetzung ist die Entschärfung des Hitzeschmerzes.

Manchmal ist eine Narkose notwendig, damit der (Zahn-)Arzt sonst für den Patienten schmerzhafte Eingriffe vornehmen kann. Anstelle einer Vollnarkose verwendet zum Beispiel der Zahnarzt meistens eine Spritze mit einem örtlichen Betäubungsmittel. Nachteil dieser lokal beschränkten Schmerzausschaltung: Der Patient spürt noch Stunden nach dem Bohren oder Zähne ziehen weder Schmerz noch Gefühl. Man kann die Backe zwicken, kratzen oder streicheln – sie bleibt vorübergehend taub.

Chili wirksam im Tierversuch

Jetzt haben amerikanische Wissenschaftler der Harvard-Universität in Boston/USA möglicherweise ein Mittel gefunden, das nur den Schmerz ausschaltet, ohne dass dabei ein Wattegefühl auftritt oder die Bewegung eingeschränkt wird. Clifford Woolf und Mitarbeiter haben ein örtliches Betäubungsmittel (Lidocain-Derivat) und den Scharfmacher Capsaicin aus Chili-Schoten kombiniert.

An Ratten konnten die Wissenschaftler zeigen, dass die neue Kombination ausschließlich die Schmerzwahrnehmung blockiert. Die Ratten nahmen keine Schmerzreize mehr wahr, konnten sich dennoch normal bewegen und auf Berührungen reagieren. Capsaicin fungiert dabei als „Türöffner“ für den eigentlichen Wirkstoff. Er öffnet die für die Schmerzwahrnehmung zuständigen Schleusen (so genannte Ionenkanäle) an der Membran von Nervenzellen und lässt den Lidocain-Abkömmling hinein. Dabei werden nicht – wie bisher üblich – alle Nervenzellen im betäubten Gebiet blockiert, sondern nur gezielt die Schmerzsensoren ausgeschaltet.

Forscher der University of Texas in San Antonio unter Leitung von Kenneth Hargeaves haben 2010 im menschlichen Körper dem Capsaicin ähnliche Substanzen entdeckt. Wenn man die Wirkung dieserOxidierte Linolensäure-Metaboliten (OLEM) verhindert, die bei Verletzungen gebildet werden, dann verschwinden selbst chronische Schmerzen. Im Mäuseversuch gelang es bereits diesen Schmerzweg über den Vanilloid-Rezeptor (TRPV1) zu blockieren.

Capsaicin ist nicht ungefährlich

Da der Umgang mit Capsaicin gesundheitliche Risiken bergen kann, ist die Substanz als giftig (Symbol Totenkopf) eingestuft und in der Gefahrstoffverordnung mit R- und S-Sätzen („Risiko- und Sicherheitssätze“) versehen worden:

  • R 24/25 – Giftig bei Berührung mit der Haut und beim Verschlucken.
  • S 26 – Bei Berührung mit den Augen gründlich mit Wasser abspülen und Arzt konsultieren.
  • S 36/37/39 – Bei der Arbeit geeignete Schutzkleidung, Schutzhandschuhe und Schutzbrille/Gesichtsschutz tragen.

Vorsicht ist auch im Haushalt beim Kontakt der bloßen Haut mit Capsaicinoiden, zum Beispiel beim Verarbeiten von Chili-Schoten, geboten. Vor allem sollte man darauf achten, sich nach Kontakt mit den Händen nicht die Augen zu reiben.

Verwendung als Reizstoff in Pfeffersprays und Reitsport

Chiliextrakt findet auch in Pfeffersprays Verwendung, wobei der Reizstoff als „Waffe“ bei der Selbstverteidigung gegen Menschen und Tiere eingesetzt wird. Unrühmliche Schlagzeilen schrieb Capsaicin im Reitsport. Bei den Olympischen Spielen 2008 in China wurden vier Springreiter von den Spielen suspendiert, darunter auch der deutsche Christian Ahlmann nach positivem Test auf das im Reitsport verbotene Capsaicin. Die Anwendung von Capsaicin an den Vorderbeinen der Pferde macht diese schmerzempfindlicher und damit vorsichtiger beim Sprung über die Hindernisse. Dies wird auch als chemisches Barrenbezeichnet und als Doping gewertet.

Chili in der (Zahn-)Arztpraxis der Zukunft?

Einen entscheidenden Nachteil hat die Verwendung des Capsaicin für medizinische Zwecke jedoch, denn es aktiviert die Sensoren für Schmerz und Hitze. Und diese Hitzeempfindung kennen wir ja als Wahrnehmungsstörung, wenn Chili mit der Mundschleimhaut in Kontakt kommt: Es „brennt“ beim Kontakt mit Capsaicin durch „thermische Täuschung“. Nervenendungen, die normalerweise den Wärmereiz aufnehmen, werden irritiert. „Deshalb scheint es, als würde der Mund brennen, wenn Menschen besonders scharfe Speisen essen“, fügt Woolf hinzu.

Da der kurzfristig ausgelöste Hitzeschmerz ja nicht unbedingt angenehmer als das bisher bekannte Taubheitsgefühl empfunden wird, geht die Entwicklung der Schmerzmittelkombination weiter. Deshalb testen die Forscher derzeit neue schmerzfreie Wege, um das Betäubungsmittel in die Nervenzellen zu bringen. Woolf ist optimistisch: „Die neue Kombination könnte in Zukunft zum Beispiel Zahnarztpatienten, aber auch werdenden Müttern im Kreißsaal helfen.“ So kann der Zahnarzt oder Gynäkologe in Zukunft seine Arbeit beginnen.

Auch Hargreaves hofft, dass man durch eine Blockierung der Schmerzwege mit nicht abhängig machenden Substanzen auch chronische Schmerzen behandeln kann – selbst schwerste, die bei Krebs oder bei Entzündungskrankheiten wie Arthritis auftreten.

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