Münchhausen Stellvertreter-Syndrom

Eine Auseinandersetzung mit dem Thema „Münchhausen Stellvertreter-Syndrom“, einer Spezialform der Kindesmisshandlung.

Das „Münchhausen Stellvertreter-Syndrom“ wurde erstmals vom Kinder- und Jugendmediziner Roy Meadow im Jahre 1977 näher untersucht und beschrieben. Seine Erkenntnisse veröffentlichte Meadow in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ und machte sie so der Welt zugänglich. Er beschrieb zwei Fallbeispiele, welche auf das „Münchhausen Stellvertreter-Syndrom“ hinwiesen.

Handelt es sich um das „Münchhausen Stellvertreter-Syndrom“, werden dem Kind von der Bezugsperson Krankheiten zugefügt oder von dieser vorgetäuscht, sodass eine medizinische Behandlung unumgänglich wird. Die Kinder werden bei dieser Form der Misshandlung als „Stellvertreter“ eingesetzt und müssen somit Schmerzen stellvertretend für ihre verantwortliche Bezugsperson erleiden. Die Erziehungsberechtigten hingegen erhoffen sich durch ihr Handeln Anerkennung durch Dritte, wie Ärzte und andere Mitarbeiter der Kliniken und ein Gefühl des Aufgehobenseins. Ein weiterer Grund für das wiederholte Krankmachen ihrer Kinder ist eine regelrechte Sucht nach dem Aufenthalt im Krankenhaus.

Zahlen und Fakten

Genaue Zahlen und Daten gibt es zum „Münchhausen Stellvertreter-Syndrom“ nicht. Dennoch sind es in 90% der bekannten Fälle Frauen, die ihre Kinder auf diese bizarre Art und Weise misshandeln. In allen bekannten, wenn auch wenigen Fällen, wie auch bereits im Jahr 1977 von Meadow beschrieben, hatten Mütter, die unter dem „Münchhausen Stellvertreter-Syndrom“ leiden, eine medizinische Vorbildung. Diese vereinfachte ihnen die Manipulation der Untersuchungsergebnisse ihrer Kinder erheblich. Somit konnten sie Krankenhausaufenthalte hinauszögern und die Aufmerksamkeit des Klinikpersonals noch länger genießen. Dennoch ist zu beachten, dass nicht nur Mütter und Väter mit medizinischer Vorbildung am „Münchhausen Stellvertreter-Syndrom“ leiden. Es ist lediglich ein Faktor, der sich durch viele dieser Biografien zieht.

Damit Untersuchungsergebnisse verfälscht werden können und sich das Krankheitsbild des Kindes nicht verbessern kann, haben die Mütter verschiedene Methoden entwickelt, ihrem Schutzbefohlenen auch im Krankenhaus weiter Schmerzen zuzufügen. Dafür benutzen sie meist Säuren oder Laugen, welche sie auf die Haut auftragen und somit Verätzungen hervorrufen. Eine andere Möglichkeit ist das Einspritzen von infizierten Lösungen, Milch, Spülmittel oder Luft unter die Haut und/oder in die Adern. Oft kommen auch verschiedene Medikamente zum Einsatz oder dem Kind wird die Luft abgedrückt, um epileptische Anfälle hervorzurufen.

Meist sind es fürsorgliche Mütter, die sich zusammen mit den Ärzten um ihr Kind sorgen. Sie sind umgänglich, freundlich und bemühen sich sehr um das Klinikpersonal, weil sie den Kontakt mit den Angestellten lieben und für ihr eigenes Wohlbefinden brauchen. Auch ihre Kinder behandeln die Mütter nicht immer nur schlecht. Oft streicheln und küssen sie ihre Schutzbefohlenen, um ihnen anschließend Gewalt in irgendeiner Form anzutun, damit sie kurze Zeit später, oder wenn sie sich ertappt fühlen, wieder zum Küssen und Streicheln übergehen können.

Mögliche Ursachen für die Entstehung

Es ist nicht bekannt, was genau das „Münchhausen Stellvertreter-Syndrom“ bei einem Menschen auslöst, trotzdem gibt es einige Gemeinsamkeiten bei den verschiedenen bekannten Fällen. Ein Teil der betroffenen Mütter empfindet das eigene Kind als Bedrohung. Das Kind scheint immer nur zu fordern, nie etwas zu geben und seine Mutter zu beherrschen. Durch das Krankmachen des Kindes holt sich die Mutter ihre Vormachtstellung zurück. Das Kind ist jetzt seiner Mutter völlig ausgeliefert und von ihr abhängig. Weiterhin ist aus vielen Fällen bekannt, dass die Kindheit der meisten Mütter von Arztbesuchen und Operationen geprägt wurde. Dieses Phänomen wird auch als „second-generation-Muenchhausen-by-proxy-syndrome“ bezeichnet und macht deutlich, dass die Täterinnen auch einmal die Opfer waren. Darüber hinaus sind auch körperliche Misshandlungen, Vernachlässigung und sexueller Missbrauch in den Biografien der Mütter zu finden. Diese Menschen haben in ihrer Kindheit traumatische Dinge erlebt und so kann es unter Umständen dazu kommen, dass aus Opfern auch Täter werden.

Das „Münchhausen Stellvertreter-Syndrom“ veranlasst betroffene Elternteile ihren Kindern ernsthafte Schäden zuzufügen, die manchmal auch bis zum Tod führen. Ob diese Elternteile aber verurteilt werden und eine Gefängnisstrafe erhalten sollten ist nicht ganz eindeutig zu klären. Möglicherweise ist auch ein Weg über eine Therapie viel hilfreicher und kann einer Wiederholungstäterschaft vorbeugen. Im therapeutischen Prozess wird über die erfahrene Gewalt gesprochen und ihr so ein Platz in der eigenen Biografie zugewiesen. So muss ein traumatisches Erlebnis nicht weiter verdrängt und auch nicht zwingend an die nachfolgende Generation weitergegeben werden.

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