Punktlandungen

Jetzt oder lieber später? Das fragt man sich beim ersten Kuss, beim Kinderkriegen und beim Scheidungstermin. Ideales Timing für die Liebes- und Karriereplanung.

Für das Gefühl, zu spät dran zu sein, ist es selten zu früh. Das beweisen vorgezogene Midlife-Krisen bei Endzwanziger-Knaben, Torschlusspanik bei Tanzkursabsolventinnen und die gelegentlichen Zweitpromotionen 25-jähriger Mehrfachmütter. Andererseits werfen patriotische Demografen der jungen Generation in einer entscheidenden Frage das Gegenteil vor: Sie bejammern viel zu späte und dann auch noch kinderarme Familiengründungen.

Gerade die angebliche Nachwuchs-Elite vertrödelt besonders sorglos ihre fruchtbaren Lebensphasen. Während die Durchschnittsfrau ihr erstes Kind mit 29 auf die Welt wuchtet, warten Akademikerinnen sogar bis mindestens Ende dreißig. 40 Prozent bleiben sogar ganz kinderlos. Dabei träumen viele im sorglosen Teeniealter noch vom mysteriösen Familienglück, das ihre hedonistisch geschiedenen Ego-Eltern der eigenen Selbstverwirklichung geopfert haben und steigen mit durchschnittlich 15 Jahren zum ersten Mal miteinander in die Kiste. Wunsch und Wirklichkeit stehen bei den entscheidenden Wagnissen des Lebens scheinbar in Konkurrenz, und die Trägheit der Realität lässt manche Wünsche im Staub der Jahrzehnte versinken. Umso dringlicher stellt sich die Frage: wann ist es wofür soweit? Für den ersten Kuss, das erste Auto, die erste eigene Wohnung?

Das Drehbuch des Lebens gestalten

Unkomplizierter Spaß immer früher, schwierige Herausforderungen später – so scheint das Konzept junger Menschen zu lauten, die miterleben müssen, dass die Elterngeneration ohnehin nicht bereit ist, Platz zu machen: weder auf dem Arbeitsmarkt noch in Parlamenten schon gar nicht im Nachtleben. Verunsichert zögern sie, irgendein vielleicht mühsames Wagnis mit Spätfolgen einzugehen: Lieber zuerst das eigene Auto, dann später mal einen Beifahrer mit Ehering; lieber ausgiebig das eigene Kinderzimmer abwohnen als mit zitternder Hand den ersten Mietvertrag zu unterschreiben. Dabei entsteht das Gesamtbild eines modernen Lebens, in dem mutloser Pragmatismus und ein aufatmendes Jetzt-Noch-Nicht das einstmals jugendliche Draufgängertum abgelöst haben.

Dem sogenannten Ernst des Lebens durch Ausweichmanöver zu entkommen muss aber noch lange nicht Spaß und Abenteuer verheißen. Denn es ist keineswegs egal, in welchem Alter man sich welchen Herausforderungen stellt, nach dem Motto: irgendwann mal machen, was alle tun. Das Sexleben einer Langzeitjungfrau entwickelt sich eben anders, als das eines Schullandheim-Casanova. Neuerdings kiffende Rentner ticken keineswegs ähnlich wie 13-jährige Erd-Bong-Fetischisten. Und wer nach 14 Praktika mit 42 mal nach einem festen Job Ausschau hält, den bewegen grundsätzlich andere Ideen, als Gleichaltrige im zweiten Sabbatjahr ihrer 15jähriger Firmenzugehörigkeit. Genau diese Entscheidungsfreiheit beim Stricken an der eigenen Biografie gilt es kreativ zu nutzen.

Experiment Lebensabschnittsmanagement

Für die entscheidenden Eckpunkte gilt: Solange man es nicht selbst ausprobiert hat, weiß man nicht, was einem blüht, oder was man verpasst. Für den richtigen Zeitpunkt gibt es dabei kein Universalrezept. Viele Wege stehen offen. Und die Macht, die man dadurch über sein eigenes Leben hat, ist viel größer, als manche vom Dasein mal hierhin mal dorthin getriebenen wahrhaben wollen.

Manchmal ist dabei das Unterlassen wichtiger als die konkrete Tat: Ohne Verzicht auf das eigene Auto kann die Spontanweltreise zum finanziellen und verkehrstechnischen Desaster geraten. Und dann gibt es noch Ereignisse, deren Zeitpunkt auch viele andere Lebensabschnitte beeinflusst. Ohne den ersten Sex erreicht man nur im fundamentalchristlichen Altötting eventuell das Glück der ersten Schwangerschaft. Für manche Ereignisse scheint die Zeit dem von Freiheit und Wahlmöglichkeiten verwöhnten dagegen niemals reif. Erst ist es zu früh, die Bedingungen nicht ideal, und dann ziemlich schnell irgendwie zu spät. Das gilt fürs Kinderkriegen ebenso wie für die Flucht aus einer Ehehölle. Dabei von denen, die wissen, wovon sie reden, lernen zu wollen, ist das schlechteste Konzept.

Was bleibt vom Memento mori?

Sich von Vorbildern zu distanzieren und den Statistiken ein Schnippchen zu schlagen, scheint stattdessen immer noch die beste Idee für eine beglückende Lebensplanung. Nicht zögern und auf ideale Momente warten, sondern auf der Welle des eigenen intuitiven Schicksals reiten.

Denn die vertrackte Frage nach dem richtigen Zeitpunkt stellt sich auch für das große Finale: den Ritt in die ewigen Jagdgründe, der in Zeiten gesellschaftlicher Totalvergreisung und gerontomedizinischer Exzesse heute die wenigsten anspornt, die anderen Lebensereignisse rechtzeitig zu inszenieren. Das Memento mori hat seine Wirkung verloren und selbst wer alles erledigen kann, was er sich vorgenommen hatte, erkennt im Angesicht des Gevatters: Für das Gefühl, viel zu früh an der Reihe zu sein, ist es auch nie zu spät.

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