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Schmerz-Gene regulieren akute, chronische Schmerzen & Kreativität

Das a2d3-Gen komponiert die unterschiedliche Schmerzwirkung bei Mensch und Maus, es fördert vermutlich die kreative Synästhesie von Farben oder Klängen.

„Der böse Feind beißt mich im Rücken“, klagt der wohl von Rückenschmerzen gepeinigte Edgar in William Shakespeares „König Lear“. Etwa 20 Prozent aller Erwachsenen werden von akuten oder chronischen Schmerzen gebissen und malträtiert; ob Kopfschmerz oder Rückenschmerz, ob Arthroseschmerz im Knie oder in der Hüfte, Menschen meinen dabei unterschiedlich stark vom bösen Feind Schmerz gebissen zu werden. Schmerz wird mit unterschiedlicher Intensität empfunden, die Schmerzwahrnehmung ist von Mensch zu Mensch verschieden: aus Zwillingsstudien ist bekannt, dass die genetische Veranlagung eine wichtige Rolle spielt.

Das α2δ3-Gen lässt den Schmerz synästhetisch mit Farben und Klängen zubeißen

Ein internationales Forscherteam identifizierte jetzt ein Gen, dessen Gen-Varianten für das unterschiedlich starke Schmerzempfinden bei Mensch und Maus verantwortlich ist. Das am 12. November 2010 in der Zeitschrift Cell vorgestellte α2δ3-Gen verleiht Menschen gleichzeitig überdurchschnittliche kreative Fähigkeiten (α2δ3, Abkürzung für alpha-2-delta-3), fördert die so genannte Synästhesie: „Diese Ergebnisse kamen für uns völlig unerwartet“, stellt der österreichische Genetiker Prof. Dr. Josef Penninger überrascht fest, „wir haben überhaupt nicht nach synästhetischen Phänomenen gesucht“. Die α2δ3- Gen-Varianten sind nicht nur für die unterschiedliche Schmerzwirkung beim Menschen verantwortlich, gleichzeitig beflügeln sie bei Menschen die Fähigkeit Worte als Farben oder Klänge als Bilder zu empfinden – berühmte Synästheten mit überdurchschnittlicher Intelligenz und Kreativität waren zum Beispiel die Komponisten Franz Liszt und Olivier Messiaens. Solche gekoppelten Sinneseindrücke verarbeiten etwa vier Prozent der Bevölkerung.

600 Schmerzgene mittels RNA-Interferenz identifiziert

Wie im Flug durchforsteten die Forscher mit dem so genannten DNA-Screening die Wiener Fliegenbibliothek VDRC: „Unser Screen erlaubt uns völlig neue Einblicke in das komplexe Verhalten der Schmerzempfindung“, erklärt Prof. Penninger, als Herr der Fliegenschmerzgene ist er seit 2003 wissenschaftlicher Direktor am IMBA in Wien (Institut für Molekulare Biotechnologie). „Wir haben hunderte neue Kandidaten-Gene für Schmerzwahrnehmung identifiziert, und viele davon werden wir beim Menschen wiederfinden. So können wir das Phänomen Schmerz auf molekularer Ebene verstehen.“ Dabei schalteten die Forscher die Schmerzempfindung der Fruchtfliege Drosophila mittels RNA-Interferenz aus: Hier legt man mit kleinen Ribonukleinsäure- Molekülen Gene lahm – zum Beispiel die Gene für die Schmerzempfindung der Fliege bei Hitzereizen.

Schmerz-Gen α2δ3 lässt Calcium-Ionen in Calcium-Kanälen durch Zellmembranen fließen

Die Herren der Fliegengene wählten aus den etwa 600 gefundenen Genen das Gen α2δ3 für weitere Studien aus: Es ist am Aufbau von so genannten Ionen-Kanälen beteiligt. Das Protein des Gens α2δ3 wird als straightjacket-Untereinheit in bestimmte Calcium-Kanäle eingebaut, hier bewegen sich Calcium-Ionen bei der Schmerzverarbeitung durch Zellmembranen, hier greifen wirksame Schmerzmittel an. Tatsächlich beeinflusst das α2δ3-Gen die Schmerzwahrnehmung des Menschen, so zeigten gesunde freiwillige Versuchspersonen als Träger bestimmter α2δ3-Genvarianten ein geringeres Schmerzempfinden: Wie die Fruchtfliege Drosophila wurden die Probanden mit Hitzepulsen getestet, gemessen wurde die Reaktion auf die kurzen Hitzereize. Bestimmte α2δ3-Genvarianten der Calcium-Kanäle sorgen auch dafür, dass Patienten nach Bandscheibenoperationen wesentlich seltener über chronische Rückenschmerzen klagen.

Wird es Mäusen bei der Schmerzverarbeitung zu laut und zu bunt?

Schmerz wird im Körper bio-physiko-chemisch weitergeleitet, sichtbar machen kann man die Weiterleitung des Schmerzes mit Magnetresonanz-Aufnahmen. Dazu untersuchten die Wissenschaftler die Schmerzverarbeitung bei Mäusen mit mutierten α2δ3-Genen: Die α2δ3-Mutanten zeigten bei der funktionellen Magnetresonanz-Tomographie (fMRT), dass die Signale unverändert im Thalamus ankommen, als Teil des Zwischenhirns ist der Thalamus einer der ersten Schaltzentralen des Gehirns. Die α2δ3-Maus-Mutanten leiteten die Schmerzreize jedoch nicht korrekt in die Gehirnrinde weiter, dort wo der Schmerz bewusst wahrgenommen wird. Die Mutanten-Mäuse aktivierten plötzlich neue Gehirnregionen, sie zeigten im Gehirn plötzlich neue Aktivitätsmuster, sie stehen für die Wahrnehmung von akustischen, optischen oder olfaktorischen Sinneseindrücken. Die genveränderten Mäuse scheinen den Schmerz demnach zu sehen, zu hören oder zu riechen, anstatt den Schmerz zu fühlen.

Entwicklung von Schmerzmedikamenten und Untersuchung von kreativer Synästhesie

„Mit den α2δ3-Mutanten haben wir vermutlich das erste Tiermodell zur Hand, an dem sich Synästhesie studieren lässt – ein ganz neuer Zweig der Neurobiologie“, findet Prof. Penninger als Herr der Kreativitätsgene. Aber die neuen Ergebnisse erlauben nicht nur die kreative Erforschung der Synästhesie, da das α2δ3-Gen in der Nozizeption oder Schmerzwahrnehmung involviert ist, können auch individuelle Schmerzprofile und neue Schmerzmedikamente (Analgetika) entwickelt werden. So rechnen die Schmerzforscher langfristig mit der Entwicklung neuer Schmerzmedikamente, so kann langfristig der Placeboeffekt von Medikamenten wie Chondroitin oder Glukosamin besser verstanden werden – vielleicht beißt dann irgendwann der böse Feind Schmerz den Patienten nicht mehr in den Rücken.