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Schmerzfreie Schmerz-Genforschung gegen chronische Schmerzen

Das Synästhesie-Schmerzgen a2d3 wurde nach dem 3-R-Prinzip des Tierschutzes erforscht. Tierversuche sind bei narkotisierten Mäusen im f-MRT schmerzfrei.

„Die menschliche Natur“, fuhr ich fort, „hat ihre Grenzen: sie kann Freude, Leid, Schmerzen bis auf einen gewissen Grad ertragen und geht zugrunde“, heißt es in Goethes „Die Leiden des jungen Werther“; den Liebesschmerz nicht eingerechnet, leidet einer von fünf Erwachsenen an akuten oder chronischen Schmerzen, klagt über Kopfschmerzen oder Rückenschmerzen, wird vom Arthroseschmerz im Knie oder in der Hüfte gepeinigt. Mit modernster wissenschaftlicher Technik rückt die moderne Schmerzforschung dem Schmerzensleid auf den Nerv, wobei auch die Versuchstiere von der schmerzfreien Erforschung der Schmerzwirkung profitieren, dies zeigt die neueste Cell-Publikation über das Schmerzgen α2δ3: „Wir freuen uns, dass unsere langfristige Entwicklungsarbeit auf dem Gebiet der nicht-invasiven Kernspintomographie beim Versuchstier, wie hier der genetisch modifizierten Maus, zu derartigen Erfolgen führen kann“, erklärt Prof. Dr. Kay Brune am 15. November 2010 – Prof. Brune ist Inhaber der Doerenkamp-Stiftungsprofessur für Innovationen im Tier- und Verbraucherschutz an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU).

Schmerzgen-Forschung nach dem 3-R-Prinzip

1959 veröffentlichten der Zoologe William Russel und der Mikrobiologe Rex Burch das Buch „The Principles of Humane Experimental Technique“, dort formulierten sie das sogenannte 3-R- oder 3-V-Prinzip: Demnach sind zwar Tierversuche notwendig, können aber zum Beispiel durch Zellkultur-Versuche vermieden werden (Replacement oder Vermeidung). Bei Tierversuchen minimieren die Forscher das Leiden der Versuchstiere durch nicht invasive Verfahren wie die Kernspintomographie (Refinement oder Verfeinerung), oder reduzieren die Versuchstierzahl durch ein intelligentes statistisches Versuchsdesign (Reduction oder Verringerung). Über 1,5 Millionen Euro investierte die Forschergruppe um Prof. Brune am Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie in die tiergerechte Kernspin- oder Magnetresonanz-Tomographie (MRT): „So wird die notwendige Entwicklung besserer Schmerzmittel ermöglicht, ohne dass belastende Tierversuche an Säugetieren vorgenommen werden müssen“, erklärt Prof. Brune.

Hitzige Schmerzgen-Forschung an Maden, Mäusen und Menschen

Manche mögen’s heiß, doch im allgemeinen scheuen Maden, Mäuse und Menschen allzu große Hitze wie der Teufel das Weihwasser: So entfernen sich Fruchtfliegenlarven von Drosophila bei hohen Temperaturen von der Hitzequelle, hier entdeckten die Forscher in den Larven der Fruchtfliege das dafür verantwortliche Gen, welches auch noch in der erwachsenen Fruchtfliege aktiv ist. Obwohl viele Organismen äußerlich scheinbar nicht miteinander vergleichbar sind, sind ihre genetische Anlagen oft gar nicht so sehr verschieden; auch für die Maus ist große Hitze ein Graus – ein fast identisches Gen ließ sich in Mäusen nachweisen. Manche Menschen mögen’s heiß, doch auch beim Menschen konnte das humane Analog-Gen gegen zu große Hitze identifiziert werden.

Moderne Technik unterstützt die Schmerz-Forschung an Maden, Mäusen und Menschen

Ermöglicht wurden die wissenschaftlichen Ergebnisse durch eine internationale Kooperation: In der modernen Schmerz-Globalisierung steuerte die Wiener Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Josef M. Penninger ihr molekular-genetisches Know-How bei, eine Arbeitsgruppe um Dr. Clifford J. Woolf von der „Harvard Medical School“ in Boston organisierte experimentelle Schmerzuntersuchungen bei Maus und Mensch, die Erlanger Gruppe des FAU machte dagegen mit der funktionellen Magnetresonanz-Tomographie (fMRT) Bilder vom Mäusegehirn, wobei das bildgebende Verfahren von Dr. Andreas Hess entwickelt wurde: Damit konnte festgestellt werden, welche Auswirkungen das Genprodukt des α2δ3-Gens bei der Schmerzverarbeitung im Gehirn hat. Das Protein des Gens α2δ3 wird als Untereinheit in bestimmte Ionen-Kanäle eingebaut, die Calcium-Ionen durch Zellmembranen schleusen.

Schmerzhafte Schmerz-Versuche sind bei narkotisierten Mäusen schmerzfrei

Manche Menschen mögen’s heiß, Menschen mit einem Defekt des α2δ3-Gens zeigen eine verminderte Hitzeschmerz-Wahrnehmung; manche Mäuse mögen’s heiß, wurde bei Mäuse-Mutanten das Schmerzgen α2δ3 deaktiviert, zeigten auch die Mäuse eine wesentlich geringere Wahrnehmung von Hitzeschmerz. Bei der Schmerzverarbeitung kommen die Signale bei den α2δ3-Mutanten unverändert im Thalamus an, doch zeigen die schmerzgendefizienten α2δ3-Mäuse erhebliche Unterschiede bei der weiteren Schmerzverarbeitung (siehe Bild 1 bis 4). Gegenüber den normalen Wildtyp-Mäusen (WT) können die α2δ3-Mäuse scheinbar den Schmerz sehen, hören und riechen – die Fähigkeit Worte als Farben oder Klänge als Bilder zu empfinden nennt man Synästhesie.

Synästhesie – α2δ3-Mäuse koppeln Schmerzreize mit Sinneswahrnehmungen

Manche Mäuse mögen’s dufte, bunt und laut: Die α2δ3-Mutanten aktivierten neue Gehirnregionen und zeigten im kleinen Mäusegehirn plötzlich große Aktivitätsänderungen – im fMRT-Bild erkennt man die aktivierten Schmerzzentren an der grün-blauen Farbe, die aktivierten Sinneswahrnehmungen dagegen an der gelb-roten Farbe. α2δ3-Mäuse aktivieren nach dem Hitzereiz (Heat, linke Reihe) den Geruchssinn (Bild 2), man erkennt es an der erhöhten Aktivität im Tuberculum olfactorium (OT). Auch der Hypothalamus (HT) und der Mandelkern (Amd) zeigen eine höhere Aktivität (Bild 3). Die Mäuse sehen und hören den Hitzeschmerz (Bild 4), erhöhte Erregung herrscht sowohl im visuellen Cortex (Vis) als auch im auditorischen Cortex (Aud).

Weiterführende Literatur

G. Gregory Neely et al. (2010): A genome-wide Drosophila Screen for heat nociception identifies α2δ3 as an evolutionary conserved pain gene. Cell; Volume 143, Issue 4. Seite 628 bis 638. Sie können die Original-Publikation momentan kostenlos auf der Homepage von Cell als pdf-Dokument herunter laden.