Strömungen flechten Zopfmuster

In der Natur kann man nahezu an jedem Auslaufrohr oder Wasserhahn, der die Strömung nicht verwirbelt, einzelne Wasserzöpfe wie auf meinem Foto beobachten (Abb, 1). Mit etwas Glück und Beobachtungsgabe werden Sie auch größere Zopfmuster finden, und zwar immer dann, wenn ein nicht zu breiter Rinnsal flach über einen breiten Stein oder flachen Felsen in einem Bachbett läuft. Man findet Wasserzöpfe auch an Quellen, die so gefasst sind, dass das Wasser zunächst über eine Art Felsplatte läuft wie dies beispielsweise bei der Fuldaquelle auf der Wasserkuppe in der Rhön der Fall ist. Vielleicht erkunden Sie bei einer kleinen Wanderung einmal Quellen in Ihrer Nähe.

Die Strömung wird wissenschaftlich untersucht

Mit diesem alltäglichen Phänomen befassten sich vor einigen Jahren Wissenschaftler von der University of New Mexico, allerdings zunächst nur im Labor. Sie entdeckten, dass Strömungen auf ebenen Unterlagen derartige Zopfmuster ausbilden, wenn die Flüssigkeit sehr gleichmäßig fließt und die Fläche keine markanten Oberflächenrauhigkeiten aufweist. Bei ihren Laborexperimenten gelangte die Experimentierflüssigkeit – eine Mischung aus Wasser, Glyzerin und Lebensmittelfarbe – durch eine schmale zylindrische Düse auf eine leicht geneigte Acrylglasplatte. Wie eine Flüssigkeitskette bildete die Strömung dort ein bemerkenswerte Musterfolge breiter und schmaler Wasserregionen aus, die an das Flechten von Zöpfen erinnert.

Der Zopf entsteht im Spiel der Kräfte

Wie entstehen diese Zöpfe in einer Strömung? Die Muster ergeben sich aus einem fein austarierten Zusammenspiel zweier Kräfte, die gegenteilige Auswirkungen haben: Trägheit und Oberflächenspannung der Flüssigkeit. Trifft die kleine Strömung auf die Platte, vergrößert sich zunächst ihre Breite, ein Prozess, den sie auch vom Aufprall einer Strahls aus dem Wasserhahn auf den Waschbeckenboden kennen. Mit zunehmender Breite tritt die Oberflächenspannung des Wassers in Aktion: Oberflächenkräfte versuchen, der Strömung eine minimale Oberfläche zu verleihen. Molekulare Kräfte ziehen Flüssigkeitsteilchen nach innen. Die betroffenen Flüssigkeitsvolumina an beiden Randschichten beschleunigen nach innen, die Strömung kollabiert, das erste Zopfteil entsteht.

Einmal beschleunigt folgen die Wasserteilchen nun ihrer Trägheit und bewegen sich über den minimalen Oberflächenzustand, den Zopfknoten hinaus. Die Situation ist vergleichbar mit einem ausgelenkten Pendel, das nicht einfach in seine Ruhelage, dem tiefsten Punkt, zurückkehrt, sondern seiner Trägheit folgend darüber hinaus schwingt. Genauso wie für das Pendel beginnt für die Strömung nun das Spiel der Kräfte von vorne: Weitere Zöpfe entstehen, deren Anzahl und Breite von der Reibung am Boden abhängig ist. Das Muster ist besonders ausgeprägt, weil die Außenschichten der Strömung den größten Anteil an Flüssigkeit führen, in der Mitte ist die Strömung relativ flach.

Auch bei einer Strömung, die aus einem Rohr austritt, spielt sich das Kräftegleichgewicht in ähnlicher Form, jedoch in drei Dimensionen ab. Bedingt durch die kurzen Strömungswege werden Sie jedoch nur selten mehr als einen Zopfknoten beobachten können.

Zöpfe „homemade“ – probieren Sie es aus!

Wie ich bei eigenen Experimenten feststellen konnte, lassen sich die Bedingungen auch in einem Waschbecken oder an einem Wasserhahn im Garten nachahmen. Ich hielt ein glattes Schneidbrettchen oder ein flaches Tablett schräg unter den gleichmäßigen dünnen Strom eines Wasserhahns, dann läuft das Wasser auf der Platte in einem geflochtenen Zopf hinunter (Abb. 2). Sorgen Sie dafür, dass der Wasserstrahl möglichst fein ist und Sie nicht versehentlich ein Wasser abweisendes Brettchen erwischen. Reibungseffekte lassen allerdings die Breite der Zöpfe schnell schrumpfen. Auf kleineren Brettchen kann man oft nur einen Zopfknoten beobachten, auf größeren Brettern oder ausgedehnten glatten Steinen im Garten lassen sich mit einem Wasserschlauch durchaus zwei oder drei Knoten erzeugen. Viel Spaß beim gemeinsamen Ausprobieren.

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