Warum kann man die Wahrheit oft nicht erkennen?

Jemand, der betrogen wird oder über den man schlecht spricht, erfährt es oft zuletzt. Dr. Lieberman erklärt, wie stark innere Wahrheitshemmer blockieren.

Der Psychologe Dr. David J. Lieberman beschäftigte sich intensiv mit der Frage, wie Menschen erkennen lassen, ob sie lügen. In seinen Büchern bietet der amerikanische Verhaltensforscher Lesern nachvollziehbare Hilfestellungen, um gelogene Gesprächsinhalte zu entlarven. Doch als stärksten Wahrheitshemmer bezeichnet er den unbewussten Selbstbetrug.

Menschen belügen sich am häufigsten selbst

Die Bereitschaft, die Augen vor unbequemen Wahrheiten zu verschließen, sei bei jedem Menschen stark ausgeprägt. Dr. Lieberman erklärt eine Vielzahl von psychologischen Möglichkeiten, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Je besser man über die körperlich sichtbaren Verhaltensweisen und verwendeten Formulierungen informiert sei, die Lügner und Betrüger in Gesprächen erkennen lassen, um so besser entlarve man Falschaussagen. Trotzdem stehe man sich bei der Wahrheitsfindung zumeist noch selbst im Weg. Nur wenn man sich die Mechanismen des unbewussten Selbstbetrugs gezielt bewusst machen würde, könne man effektiv ihre Wirkung neutralisieren.

Selbsttäuschung – Wahrheiten nicht erkennen wollen

Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Jahrelang leben Menschen beispielsweise mit einem Partner zusammen, der Alkoholiker ist. Doch sie wissen es angeblich nicht, obwohl die Anzeichen überdeutlich sind. Es gibt den oder die notorische Fremdgeherin, deren jeweilige Partner auch nach Jahren noch vermeintlich felsenfest von ihrer Treue überzeugt seien. Man könne am leichtesten jemanden belügen, der belogen werden will. Derjenige nimmt auch die offensichtlichsten Hinweise auf eine Täuschung nicht zur Kenntnis. Wer die Wahrheit nicht sehen will, belüge sich selbst. Diese Lügen seien nach Lieberman besonders schwer zu entdecken, da sie die jeweils eigenen sind. Der Wunschgedanke zur gewollten Realität verzerrt die Wahrnehmung der Wirklichkeit. Man will einfach daran glauben, etwas für eine Wahrheit halten, baut sich den passenden Filter für eine rosarote Brille.

Selbstbetrug filtert subjektiv die Realität

Es gäbe einen einfachen Weg, um den Blick für die Realität nicht zu verlieren. Der Psychologe warnt jedoch, weder Lobpreisung, Bestätigung oder Streit zu erwarten. Ginge man mit solchen Erwartungen in ein Gespräch, könne man Informationen nur verzerrt aufnehmen. Wer nur Komplimente sammeln möchte, Zuspruch fordert oder die Konfrontation sucht, blockiert seine Wahrnehmung und begeht vorsätzlich Selbstbetrug. Jedes Vorurteil, jeder Wunsch, Glaubenssatz, jede Einstellung oder vorgefasste Meinung wirkt wie ein Filter und kann die tatsächlichen Botschaften verbiegen. Wer beispielsweise jeden Immobilienmakler für einen Betrüger hält, kann sich nicht objektiv beraten lassen. Wer meint, Autoritätspersonen niemals in Frage stellen zu dürfen, wird nur erschwert das Fehlverhalten von einem Pfarrer oder Arzt wahrnehmen können. Man würde in solchen Fällen immer nur die Projektion seiner eigenen Ideale und Vorstellungen sehen. Wichtig sei es deshalb, seine Überzeugungen ausklammern zu können.

Distanz zu eigenen Einstellungen bringt Klarheit

Es gäbe Situationen, in denen es von entscheidender Bedeutung sei, seine Überzeugungen zu vernachlässigen. Nur dann wäre man in der Lage, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind. Innere Überzeugungen sind mit starken Gefühlen verknüpft. Sie können jedoch die Realitätswahrnehmung gewaltig verzerren. Diese Gefühle werden selbst erzeugt, von außen erzeugt oder seien eine Kombination von beidem. Von Schuld, Einschüchterung, Furcht, Egobedürfnis, Neugier, Wünschen, Anerkennungsbedürfnis und Liebesbedürfnis geprägte Gemütszustände trüben das Urteilsvermögen. Dadurch bewegt sich die Logik immer zum Gefühl und die Wahrheit bliebe auf der Strecke. Nur wer es schaffe, selbstbeobachtend diese emotionalen Einflussfaktoren auszuklammern, könne Distanz zur inneren Haltung bekommen und objektivere Klarheit über tatsächliche Gegebenheiten gewinnen.

Selbstbeobachtung neutralisiert innere Wahrheitshemmer

Es sei nach Erkenntnissen Liebermans keine einfache Aufgabe, durch eigene Einstellungen erzeugte Gefühle bei der Wahrheitsfindung auszuschließen. Doch mit einiger Übung und selbstkritischer Beobachtung könne man dieses emotionale Ausklammern erlernen. Wem es gelingt, sich von “außen” zu beobachten, könne seine inneren Triebfedern besser eingrenzen. Auch ein Gespräch mit einer wirklichen Vertrauensperson kann den Blick für die Fremdwahrnehmung des eigenen Ichs stärken.

Für die äußeren Manipulationen nennt der Psychologe einige Beispiele, die aufmerksam reflektiert helfen, Wahrheitshemmer zu entlarven:

Schuldgefühle: “Wie kannst Du mir das nur antun?, Das sind Sie mir schuldig!”,

Furcht:” Sie sind dafür verantwortlich, wenn das Geschäft nicht gelingt!, Diesen Fehler haben schon viele gemacht und anschließend bitter bereut!”,

Egobedürfnis: ”Sie sind doch ein kluger Mensch!, Ich würde Dich nie belügen!”,

Neugier: “Man lebt nur einmal!, Verzichte nicht auf diesen Spaß!, Es wird ein Abenteuer!”,

Anerkennungsbedürfnis: “Ich dachte, Du bist ein echter Macher!, Komm, wir ziehen das jetzt durch!”,

Liebesbedürfnis: “Wenn Du mich liebst, dann machst Du das auch für mich!, Ich will doch nur dein Bestes!”.

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