Was die Deutsche Einheit mit Natur verbindet?

Vor 21 Jahren verlief zwischen Ostsee, Wendland, Harz und Thüringer Wald der Todesstreifen, teilte Deutschland und blieb Jahrzehnte der Natur überlassen.

Als sich die deutsch-deutsche Grenze 1989/90 nach 40 Jahren DDR öffnete, ahnten Naturschützer des Bundes Umwelt und Naturschutz der BRD (BUND) als auch aus dem Osten, wie sich die Natur entlang der innerdeutschen Grenze beinahe völlig unberührt entwickelt haben könnte. Noch im Jahr der Wiedervereinigung hoben sie gemeinsam das erste gesamtdeutsche Naturschutzprojekt „Grünes Band Deutschland“ aus der Traufe.

Unerwartet hohe Biodiversität an seltener Flora und Fauna

Die Erwartungen an die Lebensraumstrukturen und die Artenvielfalt wurden bei Weitem übertroffen. Mit Unterstützung des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) konnten in den Jahren 2001/02 die verschiedenen Biotoptypen – ganze 109 an der Zahl – im ehemaligen Grenzstreifen erfasst werden. Für ausgestorben gehaltene Arten, wie die Rauhfußkäuzchen, tauchten auf. Insgesamt entdeckten die Naturschützer über 600 gefährdete Tier- und Pflanzenarten. Bis heute wurden in dem Biotopverbund des Grünen Bandes um die 200 Naturschutzgebiete ausgewiesen.

Unberührte Lebensräume und entfaltete Arten im alten Grenzgebiet

Als Ziele verfolgt das Grüne Band-Vorhaben, die einzigartige, über 1.395 Kilometer lange Biotopkette der ehemaligen Sperrzone zu erhalten, und die Arten darin zu schützen. Das Mittel zum Zweck ist der Ankauf der Grenzflächen. Probleme sind zum Einen die Gelder dafür aufzubringen und zum Anderen das sog. Mauergrundstücksgesetz. Diese Rechtsregelung erlaubte Alteigentümern den Vorzugskauf der Flächen im Grünen Band zu einem anteiligen Verkaufswert von nur 25 Prozent. Auf diese Weise gingen dem Naturschutz 15 Prozent Grenzland verloren. Unterbrochen wird der Biotopverbund des Weiteren durch neue Autobahnen, Verkehrswege und die Umwandlung in landwirtschaftliche Nutzflächen.

Flächenankauf und -übertragung für den Naturschutz

Das übrige Land, das nicht an die früheren Eigentümer zurückging, wurde auf dem freien Grundstücksmarkt gehandelt. Der BUND kaufte mit finanzieller Hilfe durch Spenden bis zum Jahr 2006 rund 410 Hektar des Grünen Bandes. Ganze 65 Prozent der Flächen im einstigen Grenzgebiet mit einer Gesamtgröße von 14.000 Hektar bei Streifenbreiten zwischen 50 und 200 Metern gingen in Bundesbesitz über. Auf Drängen des Projektes Grünes Band bot die Bundesregierung 2003 an, 9.000 Hektar als Naturschutzflächen kostenlos in die Zuständigkeit der Naturschutzbehörden der entsprechenden Bundesländer zu entlassen. Erst im Herbst 2008 übernahm Thüringen als Erstes solche bundeseigenen Flächen. Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Brandenburg und Niedersachsen scheuten laut BUND die Folgekosten.

Anerkennung des Grünen Bandes als Nationales Naturerbe

Ob Altkanzler Helmut Kohl an das Grüne Band dachte, als er blühende Landschaften versprach? Wer weiß. Mit dem Koalitionsvertrag der schwarz-roten Regierung anno 2005 war das gesamtdeutsche Naturschutzgroßprojekt endgültig in der Politik angekommen, indem es als Nationales Naturerbe anerkannte wurde. Auch im nachfolgenden Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP heißt es: „Wir sichern das Grüne Band Deutschland … als Naturmonument und wollen die Entwicklung eines Grünen Bandes Europa anstoßen“. Letzteres würde den gefallenen Eisernen Vorhang vom Eismeer bis zum Schwarzen Meer entlang verlaufen.

Wertvolle Landschaften am laufenden Band

Das Mosaik aus Wäldern, Wiesen, Mooren, Heiden und Buschlandschaften in kleinstrukturiertem Wechsel bringt von der Lübecker Bucht bis an den Rhön-Gebirgszug einen einzigartigen Artenreichtum hervor. In den naturbelassenen Gewässern und Feuchtgebieten des Nordens wie Schaalsee und Elbe tummeln sich Fischotter, Rohrdommel, Eisvogel und die äußerst seltene Grüne Keiljungfer-Libelle. In der Mitte wachsen auf Magerstandorten vom Verschwinden bedrohte Orchideenarten. Solche Offenland-Nischen entstanden durch die Grenztruppen, die sie als Sichtfelder frei hielten und somit indirekt Landschaftspflege betrieben. Im Harz konnten sich die Baumbestände am Jahrzehnte lang unzugänglichen Brocken sich selbst überlassen zu einem Quasi-Urwald entwickeln. Die deutsche Einheit führt Wanderer nun wieder auf dem Goetheweg den Hexenberg hinauf. An den Rabenklippen befindet sich ein Luchsgehege zur Wiederansiedlung der Großkatze.

Geschichtsträchtiger Naturtourismus

Solche Naturvielfalt inmitten einer weitestgehend für Land- und Forstwirtschaft, Gartenbau, Industrie, Gewerbe, Verkehrswege, Städte und Dörfer nutzbar gemachten Landschaft will erlebt werden. Darum rief der BUND ein weiteres Projekt „Erlebnis Grünes Band“ ins Leben, um einen sanften Naturtourismus mit Radtouren, Wasserwandern und Geschichtswerkstätten zu fördern. Gerade letzter Punkt ist und bleibt eine Besonderheit. Der Menschen Leid war das Glück für die Natur, die sich von menschlichen Eingriffen abgeschottet entwickeln konnte. Die Flächen des Grenzstreifens dienten seltenen Pflanzen und Tieren als Rückzugsräume. Dazwischen erinnern hier und da vergessene Wachtürme, Grenzpfähle oder Sperrgräben an die Zeit der deutschen Teilung, an Fluchten und an Todesschüsse.

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