Wer oder was entscheidet darüber, was im Internet angeklickt wird?

Was klickst Du? Selektion im Web. Was sagt die schlaue Wissenschaft, wenn sie mit dem explodierenden Informations-Kosmos konfrontiert wird, der sich hinter Milliarden Links und Sites im Internet verbirgt?

Was hat Sie dazu bewogen, diesen Artikel anzuklicken? Die bloße Möglichkeit der Technik einer als Link gestalteten Überschrift? Ein akutes Informations- oder gar Unterhaltungsbedürfnis? Oder doch reiner Zufall? Fragen, auf die die Kommunikationswissenschaft Antworten zu geben versucht. Das Interesse an Selektionsentscheidungen im Web ist dabei keineswegs rein akademischer Natur, denn Ergebnisse könnten in einer von Effizienz geprägten Welt praktischen Wert sowohl für Nutzer als auch für Anbieter von Netzinhalten bedeuten.

Theorie der Praxis

Was auf technischer Ebene passiert, wenn eine Selektionsentscheidung in einen Mausklick umgesetzt wird, steht nicht so sehr im Fokus der Wissenschaft wie die theoretischen Grundlagen, um das Phänomen Surfen im Web verstehen zu können. Medienwahltheorie, Uses-and-Gratification-Approach, Rational Choice-Paradigma und andere können herangezogen werden, um sich einer Beantwortung der aufgeworfenen Fragen auf unterschiedlichen Ebenen zu nähern. Mit Theorien allein lassen sich konkrete Nutzungssituationen, zusammengefasst unter dem Begriff des digitalen Surfens, nur unzureichend in ihrem natürlichen Lebensraum – der Anwendung – erfassen. Auch empirische Untersuchungen wie Log File-Analysen, Eye Tracking-Laborversuche und Online-Befragungen kommen über ihre selbst gezogenen Grenzen und das altbekannte Beobachter-Problem selten hinaus.

Wer ins Wasser fällt, muss schwimmen

Jeder Nutzer der modernen Informationsmedien muss sich – bewusst oder nicht – den praktischen Voraussetzungen der Selektion unterwerfen, so auch im Web:

  • Wonach suche ich? Information, Stimulation, Unterhaltung, Erledigung von Nötigem?
  • Welche realen Kosten entstehen mir hinsichtlich Verbindungsgeschwindigkeit, Provider-Vertrag, Zeitaufwand.
  • Welche Optionen habe ich, Links, Buttons, und Browser-Steuerelemente zu nutzen?
  • Welche Medienmerkmale hat die Nutzung eines Online-Computers? Von Selektionszwang über Schnelligkeit, Hypertextualität und ständiger Verfügbarkeit bis zur Reversibilität.
  • Welche Überlegung, Erfahrung, kognitiver Aufwand ist nötig? Führt der Link zum Ziel? Was, wenn nicht?

Die Liste dieser relevanten Punkte lässt sich leicht verlängern, und zwischen den einzelnen Posten verbirgt sich ein dichtes Geflecht von Beziehungen wechselseitiger Beeinflussung. Der hohe Grad an Reversibilität im WWW beispielsweise ist sowohl Medienmerkmal, als auch kognitiver Vorteil und Motivations-Beeinflussung. Denn wenn ich eine Fehlentscheidung beim Anklicken eines Links rückgängig machen will, steht der Back-Button stets zur Verfügung, no worries.

Ständiger Selektionsdruck

Die Rezipienten müssen durch immer mehr für sie Irrelevantes navigieren, um ihr kommunikatives Ziel zu erreichen. Dabei ist Selektion genau „der Aspekt des Nutzungs- und Rezeptionsprozesses, bei dem vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen die eingehende bzw. aufgenommene Informationsmenge auf ein erträgliches Maß für die Weiterverwendung reduziert wird.“ (Wirth & Schweiger: Selektion neu betrachtet. Westdeutscher Verlag, 1999). Dieser Vorgang lässt sich in unterscheidbare Phasen unterteilen, die bis zum Erreichen der Befriedigung eines Bedürfnisses nach Information, Unterhaltung oder auch sozialem Kontakt durchlaufen werden.

Evaluation

Der eigentliche kognitive Prozess findet mit der Evaluation statt, die der Bewertung des Inhaltes hinsichtlich des Informationsgehaltes, der Relevanz und der Abwägung verschiedener Optionen dient. Sobald der Nutzen einer Selektionshandlung als Verbesserung des vorangegangenen Zustandes evaluiert wird, beginnt die Rezeption. Sowohl in der der Selektionsphase, als auch bei der Evaluation muss ständig aufgenommen und verarbeitet werden. Wahrscheinlich wird auch während jeder der angegebenen Phasen die Evaluation kaum unterbrochen. Wenn nun während der eigentlichen Rezeption kein weiterer Nutzen erkannt wird, kann natürlich jederzeit abgebrochen werden, was oft eine neue Selektionshandlung zur Folge hat. Es findet ein ständiges, peripheres – oft unbewusstes – Scannen der Inhalte statt, um eine Bewertung überhaupt erst zu ermöglichen.

WWWWahl

Mit den Jahren seit der festen Etablierung des Internets als neuer Kommunikations- und Informationsraum haben sich interessante Wechselwirkungen ergeben – zu anderen Medien wie Zeitungen und Zeitschriften, zur Gestaltung der Inhalte und nicht zuletzt als wechselseitige Befruchtung von Anbieter und Nutzer. Denn es ist immer der Rezipient, der jederzeit seine Aufmerksamkeit entziehen kann, um sich anderen Dingen zuzuwenden. Ein demokratischer Medienraum? Eines steht fest: Wer im Internet publiziert, muss sich an gewisse Regeln halten. Texte dürfen nicht zu lang sein – darauf eine Selektionshandlung.

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