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Die postnatale Depression – gesellschaftliches Versagen?

Eine schwere Depression nach der Geburt kann unterschiedliche Gründe haben, auch gesellschaftliche Veränderungen spielen eine Rolle.

Stimmungsschwankungen direkt nach der Geburt sind völlig normal und vorwiegend hormonell bedingt. Depressive Verstimmungen in den ersten Tagen werden auch als sogenannte Heultage oder Baby Blues bezeichnet. Als postnatale Depression oder postpartale Depression wird hingegen eine ernsthafte depressive Erkrankung junger Mütter bezeichnet. Es handelt sich um eine schwere Depression, die entweder direkt nach der Geburt oder aber zu einem späteren Zeitpunkt, in der Regel innerhalb der ersten zwei Jahre, beobachtet werden kann. Die Symptome der postnatalen Depression sind vielfältig, meistens ziehen sich die betroffenen Frauen zurück, leiden unter Schlafstörungen und Lustlosigkeit, Zwangsvorstellungen, Panikattacken oder Reizbarkeit. In besonders schweren Fällen verlieren Frauen, die unter dieser schweren Depression leiden, den Bezug zur Realität und die Kontrolle über ihre Gefühle. Wahnvorstellungen, Suizidgedanken bis hin zur völligen Ablehnung des Kindes können auftreten.

Die Kindstötung als Folge einer postnatalen Depression

Allein in Deutschland gibt es schätzungsweise 40-50 Fälle von Kindstötungen pro Jahr. Eine Kindstötung ist eine unbegreifliche Tat, meistens werden diese Fälle von den Medien in reißerischer Art und Weise behandelt. Die Täterinnen sind keine Monster, sondern häufig Opfer einer sehr schweren Depression. So tragisch diese Einzelfälle auch sind, meistens sind es nicht die Mütter alleine, die Schuld an dem Tod der Kinder tragen. Denn eine postnatale Depression kommt selten plötzlich, sie entwickelt sich mit der Zeit. Es kann sicher in den meisten Fällen davon ausgegangen werden, dass die Kindstötung als Verzweiflungstat am Ende einer Kette von Ereignissen und Gefühlszuständen stand. Oft ist es ebenso das soziale Umfeld der betroffenen Kinder, das versagt hat. Die meisten Fälle von Kindsmord als Folge einer postnatalen Depression werden in gesellschaftlich benachteiligten Familien beobachtet. Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang von einem „gefühlsflachen Milieu“, damit ist gemeint, dass Menschen bereits in ihrer Familie als Kind nicht gelernt haben, mit Gefühlen umzugehen und auch als Erwachsene emotional verunsichert sind.

Die Ursachen der postnatalen Depression

Über die Ursachen der postnatalen Depression sind sich Mediziner und Psychologen nicht einig bzw. gibt es verschiedene Ursachen, die zu so einer schweren Depression nach der Geburt eines Kindes führen können. Hormone spielen vorwiegend bei den sogenannten Heultagen kurz nach der Entbindung eine Rolle, denn in der Regel reguliert sich der Hormonhaushalt mit der Zeit. Allerdings kommt es manchmal nach der Geburt zum Ausbruch von Schilddrüsenerkrankungen wie zum Beispiel der Autoimmunerkrankung Hashimoto Thyreoiditis. Die in diesem Zusammenhang entstehende Schilddrüsenunterfunktion kann ebenfalls depressive Verstimmungen auslösen. Als Hauptursache der postnatalen Depression werden jedoch psychische und soziale Ursachen genannt.

Psychische und soziale Ursachen der postnatalen Depression

Psychische Störungen als Ursache einer schweren Depression nach der Schwangerschaft sind möglich. Nicht selten sind es perfektionistische und überfürsorgliche Mütter, die sich selbst bis zur Überforderung unter Druck setzen. Sie leiden an einem überzogenen Mutterbild und der Vorstellung, mit ihrem Kind alles richtig machen zu müssen. Gefühle der Unvollkommenheit und die Angst vor dem Versagen können zur Entstehung einer postnatalen Depression beitragen. Die schwere Depression nach der Geburt kann darüber hinaus ganz verschiedene, individuelle Gründe haben, aber auch bei den psychischen Ursachen spielen gesellschaftliche Veränderungen eine Rolle. Tatsächlich ist der Druck auf junge Mütter heute viel größer als früher. Unzählige Ratgeber in Form von Büchern oder Medienberichten konfrontieren junge Frauen mit Ratschlägen und Tipps zum richtigen Umgang mit dem Baby. Manche junge Mutter kauft für ihr Baby nur noch Biokost, nimmt an zahlreichen Kursen teil und denkt bei jeder Handlung mit dem Kind über die Auswirkungen auf die Entwicklung ihres Kindes nach. Diese perfektionistische Herangehensweise ist besonders unter Akademikerinnen zu beobachten.

Grundsätzlich trifft die postnatale Depression Frauen mit einer guten familiären Unterstützung deutlich seltener. Dies ist ebenfalls ein Hinweis darauf, dass gesellschaftliche bzw. soziale Faktoren an der Entstehung dieser schweren Depression beteiligt sind. In Deutschland und anderen sogenannten Industrienationen ist der familiäre Zusammenhalt nicht mehr selbstverständlich, die Großfamilie ist eine Seltenheit geworden. Alleinerziehende Mütter erleben die erste Zeit mit dem Baby häufig als eine große Belastung. Das nächtliche Stillen, die finanzielle Situation und die vielen Sorgen und Unsicherheiten zehren an den Nerven. Hinzu kommt außerdem, dass alleinerziehende Mütter nicht selten sozial isoliert sind, ganz einfach dadurch, dass sie aus dem Berufsleben ausscheiden und die Möglichkeiten, soziale Kontakte zu pflegen, durch das Baby eingeschränkt sind.

Die postnatale Depression ist also eine ernst zu nehmende, schwere Depression die neben hormonellen und individuell-psychischen Ursachen auch als eine Folge der gesellschaftlichen Veränderungen gesehen werden kann.