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Was sind Pidgin-Sprachen?

Entstehung, Eigenschaften und Klassifikation der Kontaktsprachen. Pidgin-Sprachen sind nicht einfach nur „Mischsprachen“. Sie sind Kommunikationsmittel für Millionen von Menschen und haben eine große Bedeutung für die Sprachgeschichte.

Pidgin-Sprachen hat wohl fast jeder schon einmal gehört, auch wenn man es gar nicht bewusst wahrgenommen hat. Doch viele Einwanderer aus Afrika, der Karibik oder den Antillen sprechen noch Pidgin-Sprachen. Auch auf Urlaubsreisen in unter anderem diese Gebiete kann man Pidgins hören.

Pidgins und Kreolsprachen entstanden aus der Not, sich trotz verschiedener eigener Sprachen verständigen zu müssen. Sie sind somit Kontaktsprachen, die der Konversation zwischen Fremden ohne gemeinsame Sprache dienen. Zu Situationen wie diesen kommt es immer dann, wenn in großem Umfang international Handel getrieben wird, oder auch wenn Umbruchstimmungen entstehen. Ein Beispiel hierfür ist insbesondere die Kolonialzeit, während der mit den Eroberern auch ihre Sprachen in die neu erschlossenen Gebiete kamen. Damit einher ging natürlich auch die Sklaverei. Die Sklaven selbst brachten so ihre eigenen Sprachen mit in die Kontaktsituationen.

Wie entsteht eine Pidgin-Sprache?

Pidgins werden meist nicht nur aus zwei einzelnen Sprachen gebildet. Viele verschiedene Idiome, die von den beteiligten Sprechern genutzt werden, beeinflussen die Herausbildung der „neuen“ Sprache. Auf einer Plantage zu Kolonialzeiten gibt es zumindest die Sklaven, die Vorarbeiter und die Kolonialherren. Jede einzelne Gruppe, und auch häufig jede einzelne Person, spricht ein eigenes Idiom, eine Sprache, der er mächtig ist. Die Kolonialherren beherrschen meist noch ein oder zwei weitere Sprachen, doch wenn alle Beteiligten keine gemeinsame Sprache haben, fehlen mögliche grundlegende Kommunikationsstrukturen. Also mischen sie die Strukturen und das Vokabular der eigenen Muttersprachen, bis beides so reduziert wie möglich ist. Das Pidgin wird zunächst als Jargon verwendet, anfangs nur in wenigen, bestimmten Situationen, für welche einige neue, aus den Muttersprachen geformte Begriffe gebildet wurden. So stellt man immer wieder fest, dass die gebräuchlichsten Vokabeln die des Handels sind, Begriffe also für Naturmaterialien, Zahlen, Farben, Gewichte, Waffen oder Essen. Aus der fortwährenden Nutzung und Ausweitung des Vokabulars auf andere Bereiche wie den Haushalt oder zwischenmenschliche Beziehungen entsteht dann das neue Pidgin, das in den jeweiligen Kontaktsituationen als Verständigungssprache dient. Aufgrund der immer häufigeren Nutzung wird das Pidgin gefestigt, es entstehen Konventionen des Gebrauchs von Vokabular und Grammatik wie in anderen Sprachen.

Eigenschaften von Pidgin-Sprachen

Pidgin-Sprachen sind zunächst reine Verkehrssprachen, auch „lingua franca“ genannt. Aufgrund der reduzierten Eigenschaften der vermischten Muttersprachen haben sie ein eigenes Inventar an Vokabeln, Lauten und grammatischen sowie syntaktischen Wendungen, die während der Kontaktsituationen entstehen. Im Vergleich zu den Muttersprachen wirken das Vokabular und die Phonetik vereinfacht, doch auch mit Pidgins sind sehr komplexe Strukturen möglich. Eine wichtige Rolle spielen dabei metaphorische Umschreibungen, die schon in der eigenen Muttersprache manchmal schwer verständlich sind. Eine Pidgin-Sprache hat außerdem die Eigenschaft, dass sie stets eine Zweitsprache für den Sprecher ist, sie wird nicht von Geburt auf gelernt, sondern während den Kontaktsituationen erlernt. Wird das Pidgin jedoch von einer zweiten Generation gelernt, das heißt als Muttersprache, spricht man von einem Kreol.

Klassifikation von Pidgin-Sprachen

Ein Pidgin besteht aus der Vermischung einer oder mehrerer reduzierter Muttersprachen. Eine davon dient als Superstrat, also die Sprache, auf die hauptsächlich aufgebaut wird, die dominant ist aufgrund ihres höheren Prestige, ihrer höheren sozialen Anerkennung. Im Zusammenhang mit den Sprachen der Kolonialherren und der eroberten Gebiete stellen diese zu dieser Zeit natürlich eher die Sprachen der Kolonialherren dar. Abgesehen von der Kolonialzeit sind es demnach immer eher solche Sprachen, die als Grundlage dienen, deren Ansehen gesellschaftlich höher ist. Pidgin-Sprachen kann man somit nach ihrem jeweiligen Superstrat einteilen.

Es gibt Pidgin-Sprachen

  • Englischen Ursprungs (zum Beispiel Hawaii-Pidgin, Westafrikanisches Pidgin-Englisch, Madras-Pidgin, Pidgin der Salomon-Inseln, Maori-Pidgin, Tok Pisin)
  • Französischen Usprungs (zum Beispiel Franco-spanisches Pidgin, Nordafrikanisches Pidginfranzösich)
  • Spanischen Ursprungs (zum Beispiel Pidgin-Spanisch, Pachuco)
  • Portugiesischen Ursprungs (Indisches Portugiesisch, Macaista)
  • Holländischen Ursprungs (Pidgin-Afrikaans)
  • Afrikanischen Ursprungs (zum Beispiel Fanagaló, Lingala).

Viele Pidgin-Sprachen entwickeln sich immer weiter, es werden Kinder geboren, die die Sprache als ihre Muttersprachen gebrauchen. Dadurch wird aus dem Pidgin ein Kreol. Doch auch das Verebben der Pidgin-Sprache ist möglich, wenn der ursprüngliche Kommunikationszweck nicht mehr gegeben oder unbedeutend geworden ist.

Bedeutung für die Forschung

Pidgin-Sprachen haben eine erstaunliche Eigenschaft: sie weisen untereinander, trotz ihrer teilweise immensen räumlichen Trennung, große Gemeinsamkeiten auf. Lexikalische und grammatische Strukturen sind sich oft ähnlich, was insbesondere für die Universalienforschung von Bedeutung ist. Die Universalienforschung geht von bestimmten Eigenschaften aus, die allen menschlichen Sprachen gemeinsam sind. Anhand der Untersuchung von Pidgins kann diese Theorie vielleicht eines Tages objektiv bestätigt werden.