Anisotropie bringt Farbe ins Haar

Sehen Sie Ihr Haar in einem neuen Licht, als farbenfrohes Kunstwerk! Fällt das Wortpaar Anisotropie & Doppelbrechung, raufen die meisten sich instinktiv das Haar: Der Instinkt trügt nicht – das Kopfhaar ist ein farbenprächtiges Beispiel.

Falls Sie noch nie einen Gedanken an Doppelbrechung verschwendet haben – das ist kein Beinbruch. Ihr Interesse sollte aber geweckt sein, wenn sie Träger des durchschnittlichen europäischen Kopfhaares sind – des mehr kaukasischen Haartyps. Selbst Barhäuptige müssten interessiert sein, denn das Flaumhaar oder Schamhaar am übrigen Körper zeigt ähnliche Eigenschaften. Nun, was hat Anisotropie & Doppelbrechung mit ihrem Haar zu tun? Tauchen wir ein in das physikalische Basiswissen der Verbraucherberatung eines namhaften deutschen Herstellers von Haarpflegemitteln. Für instinktive Haare-Raufer finden sich hier erste wichtige Daten, da die Dehnbarkeit bis zum Haarbruch bei feuchten Haar 70 Prozent beträgt, aber nur 50 Prozent im sommerlichen Raumklima. Feuchtes Haar darf man also getrost stärker raufen als trockenes Haar. Überraufen führt aber zum gefürchteten Haarbruch. Hat der einfache Haarbruch des nassen Haares jetzt schon etwas mit der Doppelbrechung zu tun? Leider noch nicht! Föhnen wir also erst das nasse Haar trocken. Hier spielt die so genannte thermische Resistenz eine wichtige Rolle. Denn bei 140° Celsius beginnt feuchtes Haar zu schmelzen. Deshalb wird auch immer wieder abgeraten, als Notersatz für den kaputten Föhn Heißluft-Pistolen zu verwenden. Feuchtes Haar ist empfindlich, da die so genannte Schuppenschicht aufgeraut ist. Wenn Sie mit einer Heißluft-Pistole föhnen, trocknet das Haar zwar schneller, es wird aber auch stärker angegriffen. Da das Haar wieder trocken ist, schauen wir weiter im physikalischen Basiswissen. Und dort taucht sie auch endlich auf – die Doppelbrechung. Der Eintrag in der Tabelle lautet: Doppelbrechung – Ja! Ein kurzes und trockenes: Ja!? Wie kommt plötzlich die ganze Doppelbrechung in unser Haar? Vom Haare waschen? Hat es eine Haarpackung hinein gepackt?

Feuchtes Haar: Isotropie & Anisotropie

Wenn man die Haare wäscht, benetzt man das anisotrope Haar mit isotropem Wasser. Der Begriff Isotropie kommt aus dem Griechischen „isos“ für gleich, und „tropos“ für Richtung. In unserem Fall bedeutet er, dass die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts (c) in allen Richtungen gleich ist. In Wasser ist auch der so genannte Brechungsindex (n) eine richtungs-unabhängige Konstante: das ist die Lichtgeschwindigkeit geteilt durch die Wellenlänge (v), also n = c/v. Und mit der Wellenlänge des Lichts bringen wir die Farbe ins Spiel: Kurzwelliges Licht ist blau – langwelliges Licht ist rot!

Im anisotropen Haar ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts dagegen ungleich – richtungs-abhängig. Denn „anisos“ bedeutet ungleich. Und richtig, damit wird auch der Brechungsindex n richtungs-abhängig.

Dass die Doppelbrechung nicht einfach aus dem doppelten einfachen Haarbruch abgeleitet werden kann, mussten wir schon feststellen. Hier müssen wir noch eine zusätzliche Eigenschaft des Lichts an den Haaren herbeiziehen: Man kann Licht polarisieren. Polarisiertes Licht kennen Sie sicher von ihrer Polarisations-Sonnenbrille. Bei dieser Sonnenbrille ist ein Polarisations-Filter eingebaut, der störende Reflexionen vermeiden soll. Mathematisch kann man Licht als elektro-magnetische Welle betrachten, und der Filter in der Polarisations-Sonnenbrille lässt nur bestimmte Schwingungsebenen der elektro-magnetischen Welle hindurch: zum Beispiel linear polarisiertes Licht. Und in einem anisotropen Material, das zusätzlich noch doppelbrechend wie das Haar ist, sind die Schwingungsebenen für linear polarisiertes Licht vorgegeben. Diese stehen für jede Richtung senkrecht zueinander.

Anisotropes Autorenhaar

Nun haben wir alle Ingredenzien zusammen. Man nehme:

  • eine weiße Lichtquelle, die alle verschiedenen Wellenlängen von kurzwelligen blauen Licht bis langwelligen roten Licht enthält
  • einen linearen Polarisationsfilter
  • schneidet einen Büschel Autorenhaare ab und legt es in den Strahlengang
  • und betrachtet das entstandene Bild durch einen zweiten Polarisationsfilter.

Das polarisierte Licht aus der Lichtquelle wird teilweise an der Haaroberfläche reflektiert oder dringt in das Haarinnere ein. Dort wird es von den Pigmenten absorbiert oder an der Haar-Rückwand reflektiert oder gebrochen: dann tritt es unter einem bestimmten Winkel auf der Rückseite wieder aus. Und dieser Winkel ist abhängig von der Wellenlänge des Lichts: So wird aus Autorenhaaren ein farbenprächtiges Spektakel.

Sternhaar & Kunststoffhaar

Nicht nur Autorenhaare ergeben einen farbenfrohen Anblick – auch manch Pflanzenhaar liefert ein gutes Ergebnis. Zum Beispiel die Blatthaare junger Buchenblätter oder Kakteenhaare. Eine besonders schöne Gestalt haben so genannte Sternhaare, die an Blatt und Stängel des Blaukissens vorkommen, welches in unseren Vorgärten wächst. Auch eignen sich „Kunststoff-Haare“ gut für photographische Spielereien. Hauptsache, das Haarmaterial ist anisotrop.

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