Die umstrittene Massenchemikalie Bisphenol A

Bisphenol A ist in vielen Gebrauchsgütern enthalten. Unter bestimmten Bedingungen wird es freigesetzt und gelangt in den Wasserkreislauf. Ein Umweltrisiko?

Lange stand der Humanmedizin zu therapeutischen Zwecken kein Ersatzstoff für das weibliche Sexualhormon Östrogen zur Verfügung. Es musste mit hohem Aufwand aus dem Urin trächtiger Stuten aufgereinigt werden. Entsprechend teuer waren die Präparate. 1936 erkannten britische Biochemiker in der Substanz Bisphenol A (BPA) einen anscheinend geeigneten Östrogenersatz. Seine hormonelle Wirkung war jedoch zu schwach, um als Arzneimittel Verwendung zu finden. Da es bald darauf gelang, Östrogene künstlich herzustellen, wurde es von den synthetischen Hormonen rasch abgelöst.

Bald begannen sich jedoch die Industriechemiker für das von den Pharmazeuten verschmähte BPA zu interessieren. Auf Grund spezieller Eigenschaften taugte es ganz gut zur Herstellung zahlreicher Kunststoffprodukte. Die als Östrogenersatz nutzlose Substanz wird nun zunehmend als umwelt- und gesundheitsgefährdende Massenchemikalie eingeschätzt. Die kontrovers geführte Diskussion über die Risiken und Gefahren durch BPA sowie über die Grenzwerte dauert an.

Chemie und Herstellung von Bisphenol A

Bei der Herstellung von BPA werden zwei Phenolkerne (zyklische Kohlenwasserstoffe) über ein Molekül Aceton in einer Kondensationsreaktion miteinander verbunden. Das BPA kann als Zwischenprodukt zu festen Polycarbonaten oder flüssigen Kunstharzen umgesetzt werden. Hierbei bilden die einzelnen BPA-Moleküle ketten- oder netzartige Strukturen (Polymere). BPA in unveränderter Form wird als chemisches Additiv eingesetzt.

Verarbeitung von Bisphenol A zu Alltagsprodukten

Unzählige Geräte und Haushaltsgegenstände werden aus Polycarbonaten hergestellt. Das sind Kunststoffe, die sich durch hohe Schlagfestigkeit, Zähigkeit, Steifheit und Härte auszeichnen, gute elektrische Isolatoreigenschaften besitzen und widerstandsfähig gegen Witterungs- und Strahlungseinflüsse sind. Polycarbonate sind zwar entflammbar, brennen aber nur in Gegenwart einer Zündquelle (heiße Oberflächen, Flammen, Funken etc.). Deshalb sind sie in vielen Bereichen als Werkstoffe sehr beliebt.

Eine Auswahl von Produkten, die aus Polycarbonaten hergestellt werden:

  • Gehäuse für Telefone, Computer und Elektrogeräte
  • Mikrowellentaugliche Kochutensilien
  • Behälter für Getränke und Lebensmittel (u.a. Babyfläschchen)
  • Elektrostecker und -schalter
  • Sturzhelme und Schutzschilde
  • Transparente Regendächer und Autoteile
  • Sicherheitsscheiben (Kunstglas), Brillengläser
  • Medizinische Geräte (z.B. für die Dialyse)
  • Datenträger (CDs, DVDs, Blu-ray DiscsTM)

Im Gegensatz zu den formbaren Polycarbonaten werden die aus BPA hergestellten Epoxidharze zum Kleben und Lackieren genutzt. Durch Beimischen von Härtern entstehen lösungsmittelbeständige Oberflächen- und Innenbeschichtungen. Epoxidharze sind u.a. enthalten in:

  • Innenbeschichtungen von Getränke- und Konservendosen
  • Lacken, Klebstoffen und Verbundwerkstoffen (z.B. zur Herstellung von Surfbrettern, Squash- und Tennisschlägern etc.)
  • Innenbeschichtungen von Tanks, Rohren und Boilern
  • Bodenbelägen
  • Platinen

Nichtpolymeres BPA findet vielfältige Verwendung, u.a. als.:

  • Entwicklersubstanz in der Beschichtung von Thermopapier (z.B. Kassenbons, Faxpapier)
  • Stabilisator, Antioxidationsmittel oder Weichmacher in Reifen, Bremsflüssigkeit und Weich-PVC (Aufblasartikel, Gartenschläuche, Schnuller und Sauger)

Von BPA abgeleitete Substanzen wie BPA-Glycidylacrylat oder BPA-Dimethacrylat werden in der Zahntechnik als Füll- und Versiegelungsmassen eingesetzt (Zahnspangen). Das halogenierte Derivat Tetrabrombisphenol A wirkt als Brandhemmer und findet als Flammschutzmittel in Kabeln Anwendung.

Produktionsmengen

Die Weltjahresproduktion an BPA betrug 2006 3,8 Millionen Tonnen. Allein in der EU wurden im selben Jahr 1,15 Millionen Tonnen produziert (darauf entfielen ca. 10.000 Tonnen andersartiger Phenolverbindungen, die als Verunreinigungen bei der Herstellung anfallen). 1,06 Millionen Tonnen pro Jahr wurden für die Herstellung von Polycarbonaten und Epoxidharzen verbraucht. Auf die Beschichtung von Thermopapier entfielen 1.900 Tonnen, auf die Verarbeitung von PVC 1.800 Tonnen und auf die Produktion von Bremsflüssigkeiten, Reifen und Polyestern wurden 19.700 Tonnen verwendet. Die restlichen 65.000 Tonnen gingen in den Export.

Wie stark belastet Bisphenol A die Umwelt?

Polycarbonate und Epoxidharze bestehen aus chemisch gebundenem, polymerisiertem BPA. Dieses kann unter speziellen Bedingungen oder durch Veränderung der molekularen Struktur jedoch zum Teil wieder freigesetzt werden. Zudem enthalten die Werkstoffe stets Reste von ungebundenem BPA. Da die mittlere Abbaurate in Kläranlagen lediglich 63 Prozent beträgt, gelangt BPA aus den Kläranlagen einerseits in die Gewässer, andererseits über Klärschlamm, der zur Ackerdüngung ausgebracht wird, in den Boden. Staatliche Messungen zur Stoffkonzentration in deutschen Fließgewässern (durchgeführt von 2002 bis 2008) ergaben eine:

  • mittlere Belastung mit BPA von 0,05 Mikrogramm pro Liter
  • Belastung im Jahresmittel von maximal 0,49 Mikrogramm pro Liter
  • Höchstbelastung von 5,2 Mikrogramm pro Liter

Diese Daten belegen eindeutig das Vorkommen von BPA in der Umwelt. Die EU-Risikobewertung berechnete zudem eine mittlere Sedimentbelastung von 6 Mikrogramm pro Kilogramm Nassgewicht.

Auswirkungen von Bisphenol A auf Gewässer- und Bodenorganismen

Wissenschaftliche Studien belegen den verbreiteten Eintrag von BPA in Gewässer und in das Erdreich. Eine besondere Rolle spielt hierbei die:

  • Belastung durch BPA produzierendes beziehungsweise verarbeitendes Gewerbe
  • Belastung durch Produktion und Recycling von Thermopapier

Die im Rahmen der EU-Risikobewertung durchgeführten Studien zeigen, dass auf Grund der östrogenen Wirkung von BPA sowohl die Fortpflanzung als auch die geschlechtliche Entwicklung verschiedener, im Wasser lebender Tierarten beeinträchtigt wird. Zwar fehlt bisher der Nachweis, ab welchen Konzentrationen die getesteten Arten betroffen sind, jedoch gibt es Indizien, dass bereits sehr geringe BPA-Konzentrationen negative Auswirkungen auf die Fortpflanzung und Entwicklung von Schnecken, Fischen und Fröschen haben. Einige durch BPA verursachte Effekte in den Organismen sind:

  • Verweiblichung und Fehlbildungen bei Fröschen
  • fehlgebildete Fortpflanzungsorgane bei Schnecken, Fischen und Vögeln
  • verringerte Spermienqualität, verzögerte Spermienreife und Verschiebung des Geschlechterverhältnisses bei Fischen
  • erhöhte Eiproduktion bei Schnecken und Krebsen
  • verzögerter Schlupf bei Insekten

Erste Schlussfolgerungen durch das Umweltbundesamt

Die bislang vorliegenden Daten lassen auf Grund methodischer Mängel, Unsicherheiten und Wissenslücken keine abschließende Bewertung zu. Sie legen jedoch nahe, dass die Auswirkungen von BPA auf die Umwelt bislang als zu gering eingeschätzt wurden. Ferner liefern sie Hinweise auf mögliche Risiken für die menschliche Gesundheit. Das Umweltbundesamt sieht denn auch die Produzenten und Verwender in der Pflicht, potenziell problematische Substanzen wie BPA durch umweltverträglichere Alternativen zu ersetzen und die Belastung der Umwelt durch BPA auf ein Minimum zu reduzieren.

Ergänzung 1: Wie das Bundesverbraucherministerium mitteilte, dürfen ab Juni keine BPA-haltigen Babyfläschchen mehr in den Handel. Der Einsatz von BPA in der Produktion ist bereits ab März untersagt. Deutschland reagiert damit auf eine Anordnung der EU-Kommision vom November.

Ergänzung 2: Wie die Beratungskommission der Gesellschaft für Toxikologie in einer Stellungnahme  verlautbaren ließ, beruht das Verbot von Babyflaschen aus Polycarbonat auf einer strengen Anwendung des Vorsorgeprinzips. Anlass zur Besorgnis bestehe nicht.

Ergänzung 3: Laut einer im Greenpeace Magazin  veröffentlichten Studie überschreitet das in manchen Kassenbons nachgewiesene BPA teilweise sogar den Tagesrichtwert. Die belasteten Bons seien daher als gefährlich einzustufen.

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