Epigenetik für neue Therapien bei Depressionen

Die Depression und verwandte Erkrankungen sind noch immer schwer behandelbar. Florian Holsboer arbeitet an neuen Wegen der personalisierten Therapie.

Florian Holsboer leitet das Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. Er gehört zu den führenden Experten für die Krankheitsbilder Depression und Angst. Er sieht in der Epigenetik hoffnungsvolle Ansätze für neue personalisierte Therapiekonzepte bei diesen Erkrankungen.

Die Epigenetik und ihre Rolle für die Therapie psychischer Erkrankungen

Für das Risiko der Entwicklung einer Depression hat das Erbgut einen Einfluss. Aber nicht allein die Genstruktur beeinflusst das Risiko. Die Aktivierbarkeit der Gene ist nicht von vornherein gegeben. Gravierende äußere Einflüsse können die Aktivierbarkeit erheblich und auf Dauer verändern. Solche Ereignisse können bereits beim Fetus im Mutterleib Veränderungen der Erbsubstanz bewirken. Besonders gravierend sind solche Prägungen in der frühkindlichen Entwicklung. So ist nach den Worten Holsboers bekannt, dass „Kleinkinder, die schweren körperlichen Bestrafungen, Missbrauch, aber auch emotionaler Vernachlässigung ausgesetzt waren, ein größeres Erkrankungsrisiko für Depression besitzen.“ In diesen Fällen lassen sich lebenslang Veränderungen der Stresshormonregulation feststellen.

Die biochemischen Ursachen dieser erworbenen Veranlagungen werden unter dem Begriff „Epigenetik“ zusammengefasst.

Beispiele für epigenetische Wirkungen

Bei Bienen, die das gleiche Genom besitzen, entscheidet die Ernährung über ihre Rolle im Leben. Ob sie Königin oder Arbeiter wird, das ist nur auf das Gelée Royale zurückzuführen, mit dem allein die künftige Königin gefüttert wird.

2009, sieben Jahre nach dem Angriff vom 11. September, können Menschen untersucht werden, die unmittelbar in der Nähe des World Trade Centers waren. Unter ihnen können solche mit einer entwickelten posttraumatischen Belastungsstörung mit solchen verglichen werden, die eine derartige Störung nicht entwickelt haben. Dabei wurde laut Holsboer entdeckt, dass „bei den Patienten mit der Posttraumatischen Stresserkrankung verschiedene Gene in ihrer Aktivität nachhaltig verändert waren. Einige dieser Gene spielen eine wichtige Rolle bei den Anpassungsmechanismen und Stresssituationen.“ Der Psychiater hofft, das so ein Test möglich wird, mit dem das individuelle Risiko eines Menschen für die Entwicklung einer Posttraumatischen Stresserkrankung zu ermitteln ist.

Das ist für die klinische Praxis recht wichtig. Denn mit einem solchen Test kann entschieden werden, welche Menschen nach besonderen Stresssituationen wie zu behandeln sind, damit sie trotz eines Traumas gesund bleiben.

Konsequenz für die Erforschung von Antidepressiva

Heutige Antidepressiva wirken bei zu wenigen Patienten, die Wirkungsverzögerung ist zu lang und sie haben zu viele Nebenwirkungen. Seit ihrer Entwicklung nach 1950 hat sich pharmakologisch bei den Antidepressiva nichts Grundlegendes geändert. Sie wirken im Gehirn an etwa 500 bis 1.000 Milliarden Nervenzellen. Der Informationsaustausch zwischen Nervenzellen erfolgt durch die Freisetzung eines so genannten Botenstoffes, der auf einer Seite der Nervenzelle in dem synaptischen Spalt freigesetzt wird. Nach der Durchquerung dieses Spalts gelangt der Botenstoff an so genannte Rezeptoren an den Ausläufern der benachbarten Nervenzelle. Diese Rezeptoren sind auf Botenstoffe spezialisierte Andockstellen. Durch Bindung an ein solches Molekül wird in der Nachbarzelle eine Signalkette aktiviert. Diese Botschaft wird auf gleiche Weise von einer Nervenzelle zur nächsten weitergegeben. Jede Nervenzelle hat mit mehreren tausend anderen Nervenzellen synaptische Kontakte. Die biochemischen Vorgänge, durch die eine Depression ausgelöst wird, und die Wirkung der Medikamente ist kaum zu verstehen, da im menschlichen Gehirn rund 100 Billionen Synapsen vorhanden sind. Das Weltall, so Holsboer, ist im Vergleich dazu mit all seinen Himmelskörpern viel einfacher.

Und dazu kommt, dass jeder einzelne Mensch einzigartig ist. Daher drängt sich für Holsboer bei komplexen Krankheitsbildern, wie beispielsweise bei einer Depression, eine personalisierte Therapie auf. Und für die Therapie der Depression ist der Faktor Stress ein wichtiger Wegweiser. Denn der Mensch hält, so Holsboer, eine ganze Menge aus. Dies ist auch bei extremen Stressbelastungen nicht anders. Doch bei einigen Menschen kann fortdauernder Stress tatsächlich eine Depression auslösen. Eine emotionale Stressbelastung wird durch viele Stresshormone sichtbar, vor allem durch Cortisol, das bei Menschen mit Depression im Übermaß produziert wird. Ein aus 41 Aminosäuren zusammengesetztes Eiweißmolekül, CRH genannt, spielt bei der Kontrolle des Cortisols eine Schlüsselrolle. Auch dieses Hormon des Gehirns ist wie das Cortisol im Blut von Patienten mit Depression im Übermaß zu finden.

Nun interessierte es die Forscher noch, ob dieses CRH auch noch andere Effekte auslöst, als die Reaktion auf das Cortisol zu steuern. So wurde festgestellt, das eine Vielzahl von Verhaltensänderungen herbeigeführt werden, die in Stresssituationen nützlich sind. Hält aber die Stressbelastung an oder kann der Betroffene die Stressreaktion nicht wieder auf ein normales Gleichgewicht zurück bringen, dann führt dies in eine Depression. Florian Holsboer konnte den Mechanismus, durch den der Effekt des CRH im Gehirn ausgelöst wird, finden und so einen therapeutischen Ansatz entwickeln.

Es entstanden CRH-Rezeptor-Blocker für eine erste klinische Studie. Das Ergebnis war, dass CRH-Rezeptor-Blocker bei vielen Patienten tatsächlich antidepressiv wirksam sind. Derzeit wird mit Hilfe von Biomarkern am Max-Planck-Institut erforscht, für welche Patienten mit Depressionen die Gabe eines CRH-Rezeptor-Blockers besonders Erfolg versprechend ist.

Mit Messungen der Hirnstromtätigkeit während des Schlafs konnten charakteristische Veränderungen bei Patienten mit Depressionen gefunden werden. Derzeit erforschen Wissenschaftler am Max-Planck-Institut, welche genetischen Besonderheiten und welche neurobiologischen Veränderungen dem Kliniker helfen können, die geeignete Therapieform für den Patienten zu finden. Genvarianten und Biomarker sollen identifiziert werden, mit deren Hilfe die „personalisierte Medizin“ weiter entwickelt werden kann.

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