Höchstmengen bei Heilmittelverordnungen – Urteil gefällt

Verordnen Ärzte zu viele Einheiten Physiotherapie pro Rezept, sind die Obergrenzen des Heilmittelkataloges trotzdem verbindlich. Ein Urteil des BSG Kassel.

Alle Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen haben sich längst daran gewöhnt: Jede Stufe der Gesundheitsreform der letzten Jahrzehnte brachte Veränderungen mit sich, deren Sinn sich nicht immer auf Anhieb erschließt. Leider trifft das gelegentlich auch auf den Umgang mit diesen Änderungen zu und führt oftmals zu Belastungen in der Beziehung zwischen Patient und Leistungserbringer – nicht unbedingt günstige Bedingungen für den therapeutischen Prozess. Um zu verstehen, warum das alles so kompliziert ist und manchmal die Emotionen so hoch kochen lässt, lohnt ein Blick in die Geschichte des Heilmittelkataloges.

Der Heilmittelkatalog in der Physikalischen Therapie

In der Physiotherapie gilt seit 2015 der sogenannte Heilmittelkatalog, im Inhalt jeweils veränderte Ausgaben gibt es auch für Ergotherapie, Logopädie und Podologie. In unregelmäßigen Abständen werden Teilregeln verändert, um aktuelle Entwicklungen abzubilden oder frühere Fehlentscheidungen wieder zu revidieren. In den Heilmittelkatalogen ist aufgeführt, welche Verordnung bei welchen Diagnosen als wirtschaftlich gilt und von den gesetzlichen Krankenkassen vergütet wird. Der Katalog sollte allen Arztpraxen vorliegen, die Rezepte für Krankengymnastik oder Massage ausstellen. Physiotherapiepraxen und Massagepraxen haben immer einen Heilmittelkatalog im Haus, denn in den letzten Jahren ist das Blättern im Regelwerk zu einem unverzichtbaren Bestandteil der täglichen Arbeit geworden und nimmt viel Raum und Zeit ein.

Die Regelungen im Heilmittelkatalog sind verbindlich, es gibt keine Ausnahmen

Der Heilmittelkatalog regelt für die verordnenden Ärzten so gut wie alles, was natürlich auf der einen Seite den Aufwand beim Verschreiben von physikalischer Therapie verringern kann, auf der anderen Seite aber auch starre Rahmenbedingungen mit sich bringt, die in therapeutischen Zusammenhängen bestenfalls ungünstig sind und im schlimmeren Falle zu Problemen, Mehrarbeit, Fehlversorgungen und Behandlungsverzögerungen führen.

Nach Einführung des Kataloges war lange nicht geregelt, wer eigentlich für die korrekte Umsetzung der Regeln und die Richtigkeit der Verordnungen sorgt beziehungsweise dafür haftet – verordnender Arzt, Patient, Physiotherapeut beziehungsweise Masseur, Krankenkasse? Nach zähem Ringen wurde dieser strittige Punkt geklärt, die Leistungserbringer wurden mit dieser Aufgabe beglückt. Klingt schlau, weil die sich mit den Regelungen am besten auskennen. Die Betroffenen allerdings fanden das nicht ganz so großartig, denn alle Fehler auf dem Weg des Ausstellens des Rezeptes durch den Arzt und des Einhaltens der Fristen durch den Patienten gehen seitdem zu Lasten der therapeutischen Praxen und das kann, je nach Verordnung, schon mal erhebliche finanzielle Einbußen mit sich bringen.

Wenn die Regeln des Heilmittelkataloges nicht korrekt umgesetzt sind

Ein Patient, dem Physiotherapie oder Massage verordnet wurde, muss sich um einen Termin beim Heilmittelerbringer kümmern. Hierbei gibt es Fristen einzuhalten, die den meisten Patienten gar nicht bekannt sind, aber trotzdem dazu führen können, dass die Rezepte ungültig werden. Wer später als 14 Tage nach Ausstellungsdatum eine physikalische Therapie beginnen möchte, wird von den Therapeuten wieder in die Arztpraxis zurückgeschickt, diese muss das Ausstellungsdatum per Hand anpassen, die Änderung abstempeln und unterschreiben. Das ist die einfachste und unkomplizierteste Form bei Regelüberschreitungen, aber mit einem zusätzlichen Weg für den Patienten verbunden.

Bei allen anderen Regelüberschreitungen wird der gleiche Weg gewählt. Wenn sogar neue Rezepte ausgestellt werden müssen, wird es besonders kompliziert, wenn es in der Zwischenzeit einen Quartalswechsel gegeben hat. Dieser hat zwar per se nichts mit einer Heilmittelverordnung zu tun, aber die meisten Arztpraxen arbeiten mit Praxissoftware, die einen Rückgriff ins alte Quartal nicht vorhält.

Schwieriger wird es, wenn die Verordnungen vom Arzt falsch ausgefüllt sind. Der häufigste Fehler ist nach wie vor das falsche Ankreuzen einer Erstverordnung oder Folgeverordnung. Häufige Fehler sind die fehlende Passung der Indikationsschlüssel zur diagnostizierten Erkrankung oder das Übernehmen des den Schlüssel erklärenden Textes auf das Formular, ohne eine individuelle Diagnose hinzugefügt zu haben. Dazu kommt oft das Fehlen des Kreuzes, das den Hausbesuch legitimiert, wenn einer verordnet ist, oder die Einhaltung der Höchstmengen pro Verordnung. Und um diese kümmerte sich jetzt das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel.

Ein Fehler auf einer Heilmittelverordnung geht zu Lasten des Leistungserbringers

Der jetzt vom Bundessozialgericht in Kassel verhandelte Fall (Az.: B 1 KR 23/20 R) ist ein Paradebeispiel für den Betrieb einer kassenzugelassenen Praxis für physikalische Therapie. Ein Physiotherapeut in Baden-Württemberg hatte für einen Patienten der AOK eine Verordnung über zehn Termine Krankengymnastik erhalten, diese Behandlungen auch durchgeführt und anschließend das Rezept zur Vergütung bei der AOK eingereicht. Diese bezahlte aber nur sechs Termine, die Höchstverordnungsmenge laut Heilmittelkatalog für diese Diagnose, der Arzt hatte auf der Verordnung nicht die Notwendigkeit der Überschreitung dieser Menge medizinisch begründet, warum auch immer. Das Bundessozialgericht folgte der Ansicht der AOK und verwies den Kläger auf die ihm übertragene gesetzliche Prüfpflicht der Korrektheit der Rezepte. Der klagende Physiotherapeut hat in diesem Falle also vier Behandlungen erbracht, die er nicht vergütet bekommt. Eine Rezeptänderung, die diese vier Termine irgendwie noch unterbringt, ist im Nachhinein selbstverständlich nicht mehr möglich, so dass der Leistungserbringer leer ausgeht.

Ärzte, Patienten und Physiotherapeuten ziehen am besten am gleichen Strang

Um derartige Konflikte zu vermeiden, sollten alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Für Ärzte heißt das, größtmögliche Sorgfalt beim Ausfüllen der Verordnungen walten zu lassen, bei Unklarheiten lieber im Vorfeld den Physiotherapeuten des Vertrauens zu fragen und bei Fehlern eine Änderung schnell und unkompliziert anzubieten. Letzteres klappt in der Praxis bereits oft sehr gut.

Der Patient sollte beim Eintreffen in der Praxis für physikalische Therapie nicht ungeduldig werden, wenn sein Rezept zunächst erst einmal genau auf seine Richtigkeit geprüft wird, auch wenn das von der Behandlungszeit abgeht. Die Heilmittelerbringer erhalten keine Extravergütung für Organisationsarbeiten, diese sind von den Kassen mit den Pauschalen für die Behandlungen abgegolten. Da diese Zahlungen nicht allzu großzügig bemessen sind, erledigt jeder halbwegs wirtschaftlich denkende Therapeut diese Dinge daher in der Behandlungszeit. Übrigens häufig ein Streitpunkt in den Praxen vor Ort. Auch sollte der Patient sich bereit zeigen, das änderungspflichtige Rezept zügig dem Arzt wieder vorzulegen, denn genau genommen kann ein Heilmittelerbringer erst mit der Behandlung anfangen, wenn das korrekte Rezept vorliegt. Was das bei einem Postversand der Verordnung heißt, kann sich jeder denken.

Die Therapeuten schließlich sollten sich daran gewöhnen, dass die Prüfung der Rezepte nun mal ihre Pflicht ist und diese Aufgabe gleich zu Behandlungsbeginn sorgfältig ausführen, das spart späteren Ärger. Für Korrekturwünsche an die Arztpraxen hat sich in der Praxis bewährt, dem Patient neben dem Rezept einen kleinen Zettel mitzugeben, auf dem die gewünschte Änderung beschrieben ist.

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