Ingenieurmangel und die Ausbildung deutscher Top-Manager

Immer mehr Top-Manager deutscher Großunternehmen sind keine Naturwissenschaftler oder Ingenieure, sondern Ökonomen. Fluch oder Segen?

Wie die Zeitung „Die Welt“ in ihrer Ausgabe vom 5. Juni 2010 berichtet, steigt der Anteil von Ökonomen unter den Vorstandsvorsitzenden deutscher DAX-notierter Unternehmen. Waren es in der Vergangenheit Juristen, die häufig den Vorstandsvorsitz der großen deutschen Chemie- und Technologieunternehmen übernahmen, abgelöst von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern, sind es jetzt verstärkt die Ökonomen mit wirtschaftswissenschaftlicher Ausbildung, die es bis ganz an die Spitze schaffen.

Sind Wirtschaftswissenschaftler oder Ingenieure die besseren Vorstandsvorsitzenden?

„Die Welt“ sieht diese Entwicklung in ihrem Artikel „Der Weg ins neue Risiko“ kritisch. Waren in Deutschland technisch versierte Manager, die das Kerngeschäft des Unternehmens verstanden, im Vorstand, ist es im angelsächsischen Raum generell eher üblich Manager mit volks- oder betriebswirtschaftlichem Hintergrund die Geschicke des Unternehmens lenken zu lassen. Die Tatsache, dass die deutschen Vorstandsvorsitzenden das technische Geschäft verstehen, wird als Vorteil für den Technologiestandort Deutschland gewertet. Übernehmen die Ökonomen das Steuer, sei dieser Vorteil und damit die Vorreiterrolle Deutschlands in Technik und Maschinenbau gefährdet. Ist dem wirklich so?

Entwicklung der Absolventenzahlen in technischen Fächern an deutschen Universitäten: Ingenieurmangel

Der Studierendenanteil in naturwissenschaftlichen und technischen Studienfächern an deutschen Universitäten ist zwar im internationalen Vergleich nach Studien der OECD hoch, aber aufgrund der relativ geringen Quote von Universitätsabsolventen in Deutschland sind Naturwissenschaftler und Ingenieure in Deutschland inzwischen Mangelware.

Viele reden vom Ingenieurmangel. Nach einer Studie des Institut der Deutschen Wirtschaft Köln aus dem Jahr 2007 konnten bereits im Jahr 2006 fast 50.000 offene Ingenieurstellen nicht besetzt werden. Im Vergleich mit USA, Finnland, Schweden und Japan hat Deutschland nicht nur die niedrigste Absolventenquote am Altersjahrgang in Prozent, sondern – mit Ausnahme der USA – auch den niedrigsten Ingenieuranteil an allen Hochschulabsolventen eines Jahrgangs (gemäß OECD-Zahlen Stand 2004).

Die letzten Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamts (Hochschulen auf einen Blick) berichten zwar steigende Zahlen von Absolventen in den naturwissenschaftlichen und technischen Studienfächern, der Anteil der Absolventen in den Ingenieurwissenschaften an der Gesamtzahl der Absolventen ist aber seit 1996 von 22 Prozent auf 16 Prozent im Jahr 2008 zurückgegangen. Zwar haben die Fächer Informatik, Mathematik und Biologie Steigerungen in den Absolventenzahlen erfahren, nicht aber die Studiengänge im Bereich Chemie und Physik. Somit gibt es weniger fachspezifische Absolventen, aus denen sich zum Beispiel die großen deutschen Chemiekonzerne Nachwuchs für das Top-Management rekrutieren können.

Breitere berufliche Einsatzgebiete für Ingenieure und Naturwissenschaftler

Immer mehr Ingenieure und Naturwissenschaftler arbeiten darüber hinaus nicht in den technischen Bereichen, für die sie seitens ihres Studiums qualifiziert sind, sondern werden im technischen Einkauf, im Vertrieb oder sonstigen nicht-technisch fokussierten Unternehmensfunktionen eingesetzt (etwa im Kostencontrolling oder der Kalkulation). Man denke an die meist naturwissenschaftlich hochqualifizierten Pharmareferenten, die den Vertrieb von Arzneimitteln an niedergelassene Ärzte übernehmen. In diesen Bereichen können entsprechend naturwissenschaftlich oder technisch ausgebildete Absolventen gegebenenfalls kein besseres Verständnis des operativen technischen Geschäftes mehr entwickeln als ihre Kollegen mit wirtschaftswissenschaftlicher Ausgangsqualifikation.

Die Konkurrenzfähigkeit deutscher Chemie-, Maschinenbau- und Automobilkonzerne

Die Konkurrenzfähigkeit deutscher Technologieunternehmen auf den internationalen Absatzmärkten wird letztlich stark davon abhängen, ob es in Deutschland ausreichend hochqualifizierte Ingenieure und Naturwissenschaftler gibt, die mit neuen Ideen die Markteinführung neuer Produkte und Technologien vorantreiben können.

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