Stottern – eine Herausforderung im Alltag

800.000 Menschen in Deutschland stottern. Therapien und Selbsthilfegruppen helfen Betroffenen, selbstbewusst mit ihrer Sprechbehinderung umzugehen.

Michael Kofort stottert seit er vier Jahre alt ist. Er ist einer von rund 800.000 Menschen in Deutschland, die von dieser körperlich bedingten Sprechbehinderung betroffen sind. „Ich hatte besonders in der Pubertät mit meiner Sprechbehinderung zu kämpfen“, erinnert sich Kofort. Nach zwei weniger erfolgreichen Therapien in seiner Kindheit und Jugend, lernte er als Erwachsener in einer dritten Therapie, weitgehend flüssig zu sprechen. Gleichzeitig besuchte er eine Stotterer-Selbsthilfegruppe. „Das hat mir sehr geholfen“, betont Kofort. Heute ist der 54-Jährige Medienpädagoge und Journalist, dreht Filme zum Thema Stottern – und arbeitet bei der Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe e.V. (BVSS) in Köln, der zentralen Anlaufstelle für Ratsuchende, Fachleute und Medien. Aber was ist Stottern überhaupt?

Stottern – eine Unterbrechung des Redeflusses

Stottern ist eine Unterbrechung des Redeflusses in Form von Blockaden, Dehnungen („wwwo“) oder Wiederholungen („d-d-da“). Häufig ist das Stottern verbunden mit einer auffälligen Anstrengung beim Sprechen, wie zum Beispiel einer Verkrampfung der Gesichtsmuskulatur. Die Schwere des Stotterns kann je nach Situation stark schwanken. Jeder Mensch stottert anders. Wichtig zu wissen ist, dass Stottern keine psychische Störung ist, sondern eine körperliche Sprechbehinderung, die vermutlich genetisch bedingt ist. Das Vorurteil, dass stotternde Menschen weniger intelligent oder besonders gehemmt sind, ist völlig haltlos.

Ursachen und Verbreitung

Die Ursachen des Stotterns sind heute noch nicht ausreichend erforscht. Das Stottern beginnt meist bei Kindern im Alter zwischen zwei und fünf Jahren – ohne offensichtlichen Anlass. Fünf Prozent aller Kinder und Jugendlichen zeigen entwicklungsbedingte Sprechunflüssigkeiten. Rund achtzig Prozent von ihnen sprechen bis zur Pubertät wieder flüssig. Die anderen müssen lernen, mit dem Stottern zu leben. Auffallend ist, dass Jungs häufiger stottern als Mädchen. Warum das so ist, gibt der Forschung bis heute Rätsel auf. Übrigens: Stottern tritt in allen Kulturen auf. Schon in der Antike gab es stotternde Menschen. Auch unter Prominenten finden sich viele, die stottern oder gestottert haben. So zum Beispiel Bruce Willis, Emely Blunt, Rowan Atkinson alias Mr. Bean, Marilyn Monroe, Winston Churchill, Isaac Newton und Charles Darwin.

Herausforderung Alltag

„Viele Menschen reagieren mit Ablehnung auf Stotternde. Daher ziehen sich Betroffene häufig zurück und flüchten vor alltäglichen Situationen“, weiß Michael Kofort. „Es gab eine Zeit, in der auch ich nur Freizeitaktivitäten ausgewählt habe, bei denen ich möglichst wenig sprechen musste“, erinnert er sich. „Dieses Vermeidungsverhalten ist typisch für Stotternde. Die Angst vor dem Stottern beherrscht bei vielen ihr ganzes Leben.“ In Therapien lernen Stotternde daher nicht nur, an ihrem Sprechen zu arbeiten, sondern auch, sich den Situationen des Alltags zu stellen und selbstbewusst mit ihrer Sprechbehinderung umzugehen. Das Ziel ist es, ganz normal am Leben teilzuhaben.

Die Lebenssituation verbessern

Stottern ist keine Krankheit, die sich „für immer heilen“ lässt. Seriöse Therapien versprechen daher keine absolute Stotterfreiheit. Wer früh beginnt, an seinem Stottern zu arbeiten, kann aber dennoch gute Erfolge erzielen. In Deutschland wird Stottern üblicherweise von Logopäden oder Sprachheilpädagogen behandelt. Die Methoden sind vielfältig, unterscheiden sich aber im Kern in zwei Hauptrichtungen: die Sprechmodifikation (auch „fluency shaping“ genannt) und die Stottermodifikation (hier ist die Vorgehensweise nach „Van Riper“ bekannt). Doch nicht jede Therapie ist für jeden gleich gut geeignet und nicht jede Therapie ist seriös. Es ist daher empfehlenswert, sich umfangreich und neutral beraten zu lassen, zum Beispiel bei der Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe e.V. (BVSS). Wer darüber hinaus Literatur zum Thema Stottern sucht, findet im Demosthenes-Verlag der BVSS ein vielfältiges Angebot. Hilfe finden Betroffene auch in lokalen Stotterer-Selbsthilfegruppen. In Deutschland gibt es mittlerweile rund 80 Gruppen, und es werden immer mehr. Auch Michael Kofort tauscht sich heute noch regelmäßig mit anderen Betroffenen aus. „Das ist mir sehr wichtig“, sagt er und betont: „Niemand muss mit seinem Stottern alleine sein.“

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