Warum es gut ist, auch mal bewusst zu atmen

Im Grunde funktioniert die Atmung automatisch. Aber es geht auch willkürlich. So werden Emotionen kontrolliert – sowie Müdigkeit und Erschöpfung provoziert.

Von Natur aus atmet unser Körper selbstständig, ohne dass wir uns einmischen. Aber er reagiert hochsensibel auf jede Veränderung, und beeinflusst damit auch die Atmung. Häufig werden natürliche Atemmuster ausgebremst, um so Reaktionen und Emotionen zu kontrollieren. Müdigkeit und Erschöpfung sind eine fast direkte Antwort des Körpers auf gehemmte oder beeinträchtigte Atemrhythmen. Ein kleines bisschen Bewusstmachung und die einfachste aller Atemübungen können oft schon scheinbare Wunder bewirken. Aber manchmal braucht es auch mehr. Dann können u.a. Yoga oder die ‚Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion‘ nach Jon Kabat-Zinn weiterhelfen.

Heute schon geatmet?

„Na klar“, werden Sie sagen. „Was ist das für eine merkwürdige Frage? Das tut man doch ganz automatisch!“

Stimmt. Die unwillkürliche, natürliche Atmung läuft tatsächlich ganz von allein ab. Das heißt, ohne bewusstes Zutun. Allerdings ist die natürliche Atmung auch ein Sensibelchen und reagiert auf so ziemlich alles, was uns betrifft.

Sie haben richtig viel Stress? Dann wird Ihr Atem vermutlich erst einmal flacher und dann vielleicht auch schneller, weil der Körper versucht, den Sauerstoffmangel durch die flache Atmung auszugleichen. Vielleicht verkrampft ihre Muskulatur aber auch und Sie unterbrechen das Luftholen für einige Sekunden ganz. Ein Kollege hat Sie gerade laut zum Lachen gebracht? Was für eine Wohltat für den Körper: jetzt haben Sie garantiert viel alte, verbrauchte Luft aus Ihren Lungen herauskatapultiert und anschließend tief eingeatmet! Das bringt neuen Sauerstoff ins System – und der kann sich nun erfrischend im ganzen Körper ausbreiten.

Diese beiden Situationen sind zwei Extreme auf der Palette dessen, was die Atmung in ihrem ganz natürlichen Rhythmus verändert.

Die Körperhaltung ist nicht egal

Auch je nach Körperhaltung atmen wir anders. Bei Vorbeugen oder zusammengesunkener Haltung wird der Bauchraum gestaucht und es wird schwieriger, tief Luft zu holen. Der Atem wird automatisch flacher. Das kann ein Gefühl der Enge hervorrufen – oder aber sich beruhigend auswirken. Heben wir hingegen die Arme weit über den Kopf und lehnen uns ein wenig nach hinten, ist da viel Platz im Brustraum. Nicht umsonst strecken wir uns, wenn wir müde sind, aber eigentlich wach sein müssen. Wir wissen ganz instinktiv, dass uns das neue Energie bringt.

Emotionskontrolle macht müde

Aber auch Emotionen haben einen immensen Einfluss auf die Qualität des Luftholens. Grundsätzlich haben Emotionen ihren Zweck: sie dienen der Kommunikation. Somit ist es ist von der Natur absolut beabsichtigt, dass uns manche Gefühle aufmischen, um sich in körperlicher Aktivität auszudrücken (Wut = Angriff, Freude = Kontaktaufnahme, Angst = Flucht), während andere uns ganz ruhig werden lassen (Vertrauen, Gelassenheit) oder zu innerem und äußerem Rückzug führen (Trauer). Mit Hilfe der Muskulatur regulieren wir oft nicht nur den Ausdruck unserer Emotionen, sondern wir kontrollieren die Emotionen selbst. Manchmal geschieht dies bewusst, aber viel öfter noch unbewusst.

Für die Atmung ist es unter anderem von Bedeutung, wenn angespannte oder gar verhärtete Muskeln (die oft gar nicht als verhärtet wahrgenommen werden) die Bewegungsmöglichkeiten der Atmungsorgane einschränken. Wenn der Bauch fest angespannt ist, kann sich das Zwerchfell nicht weit ausdehnen, sondern ist wieder einmal auf den Platz beschränkt, der ihm bleibt. Entsprechend müssen die Lungen mit weniger Raum auskommen. Auch in dieser Situation können sie sich nicht vollständig aufblähen, und so entsteht ein gewisser Sauerstoffmangel. Das äußert sich im allgemeinen Energiepegel: wir werden müde, das Denken fällt schwer, vielleicht sind wir lustlos und manch einer wird aggressiv.

Soweit muss es jedoch gar nicht kommen, auch im Kleinen reagieren wir vielfältig.

Spannung am Frühstückstisch

Hier ein sonntägliches, im Grunde ganz entspanntes Beispiel: Sie suchen die Butter auf dem reich gedeckten Frühstückstisch? Das Suchen veranlasst den Körper, sich an- und aufzuspannen. Ein wenig im Rücken, bis zum Gesäß und in den Oberschenkeln, vielleicht sogar bis hinunter zu den Füßen (je nach dem, wie groß der Tisch ist), damit Sie sich größer machen können und den Tisch besser überblicken; in den Schultern, den Armen und auch den Händen baut sich Spannung auf. Das alles, um im Moment der Entdeckung gezielt und schnell zugreifen zu können. Nur wenige Augenblicke später, wenn das Brötchen geschmiert ist und Sie sich gemütlich auf ihrem Stuhl zurücklehnen, ist im Normalfall diese Spannung wieder vollkommen aus Ihrem Körper gewichen. Ihr Zweck ist erfüllt. In der Zwischenzeit hat sich sicherlich Ihr Atemrhythmus mehrmals verändert.

Die kleinen Nervereien

Ein anderes, sehr übliches Beispiel aus dem familiären Bereich? Ihre Mutter hat gerade etwas gesagt, das Ihnen nicht gefällt. Alte Kamellen, nicht weiter wild. Trotzdem: Garantiert haben Sie sich ein wenig angespannt, vielleicht werden Sie etwas wütend, vielleicht sind Sie auch ‚nur‘ genervt und vielleicht schlucken Sie das Ganze runter, ‚weil es eh nichts bringt‘. Dann brauchen Sie trotzdem einige Muskeln, um es beiseite zu schieben. Sie hemmen vielleicht den Impuls, tief einzuatmen, denn wenn Sie es täten, würden Sie anschließend mit der vorhandenen Luft die Stimmbänder in Bewegung versetzen, um zu widersprechen. Die Kiefermuskulatur spannt sich vielleicht kurz an, damit der Mund gar nicht erst aufgeht und vielleicht wäre da, wenn Sie ganz genau in sich hineinspürten, sogar eine Regung in der linken (oder rechten) Hand, die Sie fast – aber eben nur fast – zu Faust ballen würden. All diese Handlungen werden jedoch gestoppt, bevor Sie selbst auch nur bemerken, dass Sie in Ihnen ablaufen. Wenn solche Hemmmechanismen lange genug eingeübt worden sind, bemerken wir sie gar nicht mehr und glauben, alles sei in bester Ordnung. Denn so funktioniert das mit der Emotionskontrolle und der Verdrängung. Die Muskeln arbeiten gegen die Impulse, die den Organismus durchfluten und hemmen die Handlung, bevor sie beginnt. Aber ob Sie es bemerken oder nicht: Ihre Atmung hat sich währenddessen verändert und vielleicht beeinträchtigen solche Situationen ihr Leben grundlegend.

Dem Atem auf der Spur

Aus genau diesem Grund ist es oft sinnvoll, auch einmal etwas genauer hinzusehen. Sogar auf den Atem. Wann kann er frei fließen? Wann stockt er? Und gibt er somit vielleicht Hinweise darauf, dass einem etwas nicht ganz so egal ist, wie man selbst gerne glauben möchte?

Um das herauszufinden, sollte man sich ein wenig Zeit zu nehmen, und eine Weile bewusst, also ganz absichtlich, atmen. Wenn leichte Spannungen im Körper dafür sorgen, dass man immer müder wird, können einige bewusste Atemzüge oft schon Abhilfe schaffen. Dann reichen manchmal zwei oder drei Minuten bewussten Ein- und Ausatmens, um einen deutlichen Unterschied auszumachen. Denn leichte Anspannungen, die sich im Laufe des Tages ansammeln, lösen sich oft auch schon in einem kurzen Zeitraum auf, wenn sie nur eine kleine, aber wirkliche Pause und Sauerstoff bekommen. Fast sofort kommt ein Energieschub und das ganze System kann sich erholen! Danach fällt in der Regel das Denken leichter und manch anderes auch.

Probieren Sie es doch einfach mal aus:

Setzen Sie sich bequem, aber möglichst aufrecht, hin und atmen Sie. Wenn es Ihnen hilft, sich zu konzentrieren, können Sie bei jedem Einatmen denken: „Ich atme ein.“ Und beim Ausatmen denken Sie dann: „Ich atme aus.“ Mehr nicht. Das ist alles.

Vielleicht werden Ihre Atemzüge länger und tiefer. Vielleicht schütteln Sie sich. Vielleicht passiert weder das eine, noch das andere. Aber darum geht es auch nicht. Das sind natürliche Reaktionen, je nachdem, was der Körper so braucht. Wenn Ihrer das gerade nicht braucht, dann macht er es auch nicht. Also: einfach nur einatmen und ausatmen. Drei Minuten lang. Oder länger.

Fertig? Wie fühlen Sie sich?

Wenn eine kurze Pause nicht genügt

Für manch einen ist es allerdings auch sinnvoll, sich mehr Zeit zu nehmen – für sich selbst und für die Atmung. Spätestens, wenn alltägliche oder besondere Belastungen ihren Tribut fordern. Es gibt mittlerweile viele Ansätze im Sport und in therapeutischen Schulen, die um diese Verbindungen von Körper, Atem und Emotionen wissen und sie einfach nur für das Wohlbefinden, für bessere Ergebnisse im Training oder auch zu therapeutischen Zwecken anbieten bzw. verwenden.

Sehr populär ist Yoga, bei dem die Atmung fast immer eine wesentliche Rolle spielt, und sofern es sich um körperorientierte Übungsschulen (Hatha-Yoga, Vinyasa-Yoga, Ashtanga-Yoga etc.) handelt, kann fast jeder während einer Yogastunde erfahren, wie wohltuend die Verbindung aus Bewegung und gleichmäßiger Atmung sich direkt auswirkt. Es gibt auch Yoga-Stile, die sich auf andere – meditative oder sonstige philosophische – Aspekte konzentrieren. Aber um diese geht es hier nicht.

Studien belegen, dass sehr viele Teilnehmer von Yogastunden einen sofortigen Effekt wahrnehmen, sich nach Abschluss einer einzelnen Stunde erfrischt fühlen und häufig über den Verlauf mehrerer Trainingsstunden beobachten, wie sich ihre Laune grundlegend verbessert und sie entspannter mit stressreichen Situationen umgehen können.

Dem Burn-out begegnen

Noch wichtiger wird diese Körper-Emotionen-Atmung-Verbindung, wenn man sich zum Beispiel die Zunahme an Burn-out-Fällen in unserer Gesellschaft ansieht. Diese tiefgreifende Form der Erschöpfung wird häufig schon als Modekrankheit bezeichnet und hat damit zu tun, dass die Betroffenen vergessen oder verlernt haben, bei all den echten und scheinbaren Leistungsanforderungen auf ihre ureigenen körperlichen und seelischen Bedürfnisse zu achten. Eine gute therapeutische Herangehensweise kann die Mindfulness-Based Stress Reduction – MBSR (zu deutsch: Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion) sein, die schon Ende der 1970er von Jon Kabat-Zinn in Amerika entwickelt wurde und mittlerweile auch in Deutschland von vielen Therapeuten angeboten wird. Hier lernen Teilnehmer in einem achtwöchigen Kurs einen grundsätzlich achtsameren Umgang mit sich selbst, ihren Empfindungen und ihrem Körper. Aber sie lernen auch, ihr Umfeld, ihre Möglichkeiten und tatsächliche Anforderungen bewusster wahrzunehmen. Im MBSR sind sowohl Atem- als auch Yogaübungen integriert.

Und nun stelle ich die Frage erneut, und vielleicht fällt Ihre Antwort jetzt anders aus: Haben Sie heute schon richtig geatmet?

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