Warum können Menschen kaltblütig töten?

Professor Eibl-Eibesfeldt untersuchte die Biologie menschlicher Verhaltensweisen und erklärte, wie die Aggressionshemmung bei Menschen funktioniert.

In irgendeiner Form würde man bei allen Völkern, selbst bei Kopfjägern oder Kannibalen, das Gebot finden, nicht töten zu sollen. Generell sei grundloses Ermorden von Mitmenschen nirgends erlaubt. Es würde schon der sozialen Zweckmäßigkeit entsprechen, da sonst ein vernünftiges Zusammenleben kaum möglich sei. Für eine verhaltensbiologische Erörterung sei es interessant, ob neben der verstandesmäßigen Anerkennung auch eine angeborene Neigung zur Aggressionshemmung bei Menschen besteht. Alternativ wäre das Tötungsverbot nur erzwungen und nicht Ausdruck der menschlichen Natur.

Aggressionshemmung bei Tieren und Menschen

Bei verschiedenen Tierarten wird der Mord an Artgenossen durch das Vorhandensein angriffshemmender Mechanismen sowie durch das Einhalten bestimmter Kampfrituale vermieden. Im Verlauf einer Auseinandersetzung können sie sich ihrem Artgenossen unterwerfen. Angeborene Verhaltensweisen beschwichtigen und hemmen weitere Angriffe. Auch Menschen verfügen über ein reichhaltiges Repertoire an angeborenen Beschwichtigungsgesten und Demutsgebärden. Beispielsweise würden Menschen in den unterschiedlichsten Kulturen auf die gleiche Weise weinen und klagen. Selbst taubblind geborene Kinder weinen. Die kulturell ausgestalteten Unterwerfungsgesten besitzen gleichfalls angeborene Elemente. Man macht sich kleiner (Fußfall, Kniefall, Verbeugung), wenn man sich unterwirft. Auch kindliches Verhalten, Hilflosigkeit oder Schwäche hemmen aggressives Verhalten durch damit erzeugtes Mitleid.

Das Lächeln hemmt zwischenmenschliche Aggressivität

Der Humanethologe Professor Irenäus Eibl-Eibesfeldt beschrieb das Lächeln als wichtigstes Signal der Freundlichkeit. Es sei eine angeborene Verhaltensweise. Damit wäre man in der Lage, sich mit jedem völlig Unbekannten anzufreunden. Es hemmt Aggressionen, da es direkt entwaffnend wirke. Zudem habe ein Kindchenschema sehr beschwichtigenden Charakter, da es Brutpflegebedürfnisse aktiviert. Der Appell zur Aggressionsminderung würde nicht selten über ein Kind verlaufen. Beispielsweise hätten australische Eingeborene Kontakt zu Weißen aufgenommen, indem zwei ranghohe ältere Männer ein kleines Kind vor sich her schoben. Sie legten ihre Hände auf seine Schulter und verließen sich darauf, dass man dem kleinen Kind nichts antun würde. Menschen können schon durch angeborene Verhaltensmuster sekundenschnell Aggressionen vermeiden oder beschwichtigen. Durch ein Lächeln, vorgetäuschte Hilflosigkeit, Kindchenappell, gestammelten Entschuldigungen und eine unterwürfige Körperhaltung würde sich ein Wütender schnell besänftigen lassen.

Ausreichende Angriffshemmung bestehe nur bei Bekannten

Die Forderung nach Nächstenliebe gegenüber allen Mitmenschen könne wohl die Vernunft voll erfassen. Die menschliche Grundstruktur bietet jedoch dafür keine geeignete Voraussetzung. Echte Gefühle der Liebe und Freundschaft verbinde mehr die Einzelmenschen. Daran könne nach Erkenntnissen von Konrad Lorenz (1903-1989), dem Hauptvertreter der vergleichenden Verhaltensforschung, auch der beste Wille nichts ändern. Der heutige Mensch sei den Anforderungen des modernen Gesellschaftslebens nicht ausreichend gewachsen. Dies würde schon in der Vielzahl an schonungslos geführten kriegerischen Auseinandersetzungen zum Ausdruck kommen. Menschen besitzen Fremden gegenüber deutlich weniger Aggressionshemmung und Toleranz. Das sei eine angeborene Disposition, die sich Menschen mit geselligen Säugern teilen, die in exklusiven Verbänden leben. Auch mit den meisten Affenarten wäre dieses Verhalten vergleichbar. Eine aggressive Auseinandersetzung würde bei ihnen jedoch nur sehr selten eine Tötung von Artgenossen verursachen. Bei Menschen sei das hingegen ganz anders.

Waffen fördern aggressives Verhalten

Der Forscher Eibl-Eibesfeldt schätzte, dass bei kriegerischen Auseinandersetzungen etwa 25 Prozent aller männlichen Waika-Indianer getötet wurden. Das könne man nicht allein aus der geringeren Hemmung gegenüber Fremden erklären. Damit Demutsgebärden bei aggressiven Auseinandersetzungen wirksam werden, bräuchte es genügend Zeit. Sonst könnten die Signale der Unterwerfung nicht gesendet und vom Gegner auch nicht ausreichend wahrgenommen werden. Die angeborene Angriffshemmung bei Menschen bezieht sich nur auf seine biologische Grundausstattung. Greifen sie sich mit bloßen Händen an, würde sie funktionieren. Jedoch schon mit der Erfindung der ersten Waffe hätten sich die Bedingungen schlagartig geändert. Waffen stellen Menschen vor das Problem, kulturelle Kontrollen zur Verwendung zu finden. Sie erlauben es, schnell und leicht zu töten. Zumeist sei dem Waffenanwender gar nicht mehr emotional bewusst, dass er im Begriff ist, einen Menschen zu töten. Er zielt nur und krümmt den Finger. Die technische Entwicklung hätte die angeborenen Angriffshemmungen überlistet. Nur wenn der Mensch in der Lage ist, diese Situation verstandesmäßig zu kompensieren, könne er dauerhaft als Art überleben.

Geistige Manipulation zerstört die Aggressionshemmung nachhaltig

Der hochentwickelte Verstand bietet Menschen die Möglichkeit, sich massiv selbst etwas einzureden oder sich von anderen beeinflussen zu lassen. Menschen können dadurch ihre Mitmenschen verteufeln, sie nur noch wie störendes Ungeziefer bewerten. Beispielsweise würden die brasilianischen Mundurucu-Indianer ihre Welt nur in sich und in “Pariwat” – alle übrigen – einteilen. Diese anderen seien wie Jagdwild und mit Tieren gleichgesetzt, die man töten könne. Menschen seien im Grunde kontaktbereit und bis zu einem gewissen Grad gegenüber jedem Mitmenschen angriffsgehemmt. Doch eine gewaltige Kriegspropaganda, die man auch in der Gegenwart weltweit beobachten muss, manipuliere die Wahrnehmung derart, so dass “Feinde” nicht mehr als Mitmenschen begriffen werden. Tägliche Nachrichten und die darin benannten Zahlen zu Todesopfern bei Anschlägen und kriegerischen Konflikten würden nur wenig Mitgefühl auslösen. Kombiniere sich dazu noch ein medienwirksames Feindbild, wäre die Reaktion noch im besten Fall Gleichgültigkeit. Erst die Fähigkeit, seine Mitmenschen zu verteufeln und das Mitleid auszuschalten, mache einen Menschen zum kaltblütigen Mörder.

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