Wieviele Menschen haben die Schweinegrippe?

Europäische Statistiken zur „Neuen Grippe“ vorsichtig interpretieren. Sind die Zahlen, die über die Fälle von Schweinegrippe in Europa veröffentlicht werden, zuverlässig? Zweifel sind berechtigt: Die Statistiken bedürfen der Deutung.

Während die Experten am Impfstoff gegen Schweinegrippe auf Hochtouren laborieren, die Europäische Union und die Weltgesundheitsorganisation WHO den unappetitlichen, aber längst etablierten Namen „Schweinegrippe“ fantasievoll in „Neue Grippe“ umbenannte und die Gesundheitsminister besonders betroffener Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen über eine Verlängerung der Sommerferien nachdachten, befällt der Virus H1N1 in Europa immer mehr Menschen. Wie viele eigentlich genau?

Seuchenkontrollbehörde zählt in Europa nicht mehr

Mitte August 2009 sind die Zahlen der Erkrankten unübersichtlich, sie werden von der europäischen Seuchenkontrollbehörde ECDC auf 35.000 geschätzt, wobei die Behörde ihre Zählweise zu diesem Zeitpunkt einstellte, weil die Meldungen aus den einzelnen EU-Ländern nicht mehr als zuverlässig gelten können.

Die meisten Grippekranken hat Großbritannien

Laut ECDC liegen im Staatenvergleich die wirtschaftlich und touristisch (ein)reisefreudigen Länder Großbritannien mit über 12.000 registrierten Erkrankten und an zweiter StelleDeutschland mit mehr als 11.000 Krankheitsfällen an der Spitze. Die Lektüre dieser Zahlen mag erschreckend wirken, vor allem, da große Touristenziele wie Italien, Spanien und Frankreich „nur“ ein gutes Zehntel davon gemeldet haben. Allerdings starben in Spanien laut Statistikliste bereits zehn Menschen an der neuen Seuche, in Großbritannien sogar 40 Personen und in Deutschland bislang niemand. Am Ende der nationalen Grippelisten stehen die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen mit zwei bis fünf Dutzend Erkrankten.

Zahlen ungesichert: Keine Labortests in vielen EU-Ländern

Viele dieser Zahlen sind aber als ungesichert zu betrachten und eignen sich nicht für Panikmache. In Spanien und Frankreich beispielsweise werden längst nicht alle Verdachtsfälle durch Labortests bestätigt, diese finden häufig gar nicht statt, worauf die ECDC ausdrücklich hinweist. Diese Einschränkung gilt auch für folgende EU-Länder (in alphabetischer Reihenfolge): Belgien, Dänemark, Finnland, Griechenland, Irland, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Schweden, Tschechien, Zypern.

Statistik enthält auch Genesene

Eine Begründung, warum reiche europäische Länder wie Norwegen und Österreich keine gesicherten Zahlen liefern können, während ein Land wie Rumänien dies offenbar kann, fehlt in dieser Liste. Allerdings zeigen folgende zusätzlichen Erklärungen, dass zumindest die statistische Seite der Pandemie-Bekämpfung ein knappes halbes Jahr nach Bekanntwerden der ersten Fälle in Mexiko leicht aus dem Ruder läuft, jedenfalls nicht übersichtlich koordinierbar ist:

  • Die ECDC bezieht ihre Zahlen vom Robert Koch-Institut (RKI). Dieses hat seine Zählweise verändert: Inzwischen werden alle Personen als infiziert registriert, die überhaupt Grippesymptome aufweisen und zuvor Kontakt mit sicher Infizierten hatten. Die Zahlen weisen im Übrigen nicht neue Erkrankungen aus, sondern nennen alle Fälle seit Beginn der Zählung, also auch Menschen, die längst wieder gesund sind.
  • Frankreich meldet auch Erkrankte aus den Überseegebieten, den sogenannten DOM-TOM (Départements und Territoires d’Outre-Mer) La Réunion, Mayotte, Antillen / Guyana, Französisch-Polynesien und Neukaledonien.Genauso sind in den Zahlen aus den Niederlanden auch diejenigen aus Aruba und den Niederländischen Antillen inbegriffen.

Schlussfolgerung – jedenfalls vorläufig: Zahlen mit Vorsicht lesen, Hintergrundinformationen einholen!

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