Wirkt Natrium chloratum in Kochsalz-Nasensprays gegen Schnupfen?

Apotheker empfehlen PTAs das Schüßler Salz Nr. 8 Natrium chloratum in isotonischer Kochsalzlösung aufzulösen. Wirken die wirkungslosen Mineralstoffe jetzt?

Kochsalz ist ein uraltes Heilmittel unserer Apotheker und Ärzte, so beschreibt zum Beispiel der Geheime Medicinal-Rath Professor Dr. Carl Gustav Mitscherlich die Verwendung des Chlornatriums im Jahre 1851 in seinem Lehrbuch der Arzneimittellehre: Als „Resolventia digestiva“ wurde normales Kochsalz, Küchensalz oder Meersalz früher in größeren Mengen als Abführmittel und zum Erbrechen eingenommen. Nimmt man Kochsalz in zu großen Mengen ein, treten allerdings auch manchmal Vergiftungen auf. So löste nach Prof. Dr. Mitscherlich einmal ein Mann ein Pfund Kochsalz in einer Pinte des obergärigen Biers Ale auf und trank es – der Mann „erbrach ein Mal während des Trinkens, hatte hinterher alle Symptome eines scharfen Giftes und starb innerhalb 24 Stunden; man fand bei der Section Magen und Darm entzündet.“ Nasensprays mit isotonischen oder physiologischen Kochsalz-Lösungen mischt man deshalb vielleicht besser nicht mit Bier, Nasensprays mit isotonischen Kochsalz-Lösungen sind glücklicherweise aber auch nicht so hoch konzentriert.

Apotheker empfehlen Natrium chloratum in Kochsalzlösung gegen Infektionen der Atemwege

Laut Approbationsordnung für Apotheker soll das Studium der Pharmazie in Deutschland den Apothekern Fähigkeiten und Methoden vermitteln, „dass sie zu wissenschaftlicher Arbeit“ und „zur kritischen Einordnung der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ befähigt werden. Als pharmazeutischer Laie bildet man sich deshalb mal gerne in Fortbildungsmagazinen für Pharmazeutisch wissenschaftliche Assistenten (PTA) fort. Gerade in „Die PTA in der Apotheke“ entstehen wohl die fähigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse – mehrfach wurde die Zeitschrift von der „Deutschen Fachpresse“ gekürt. Im Fach-Beitrag „Gesund durch den Winter“ empfiehlt zum Beispiel eine Apothekerin den PTAs gegen Husten, Grippe und Schnupfen drei Tabletten des „Kältemittels“ Natrium chloratum in „zehn Milliliter isotonischer Kochsalzlösung“ aufzulösen und in eine Nasensprühflasche zu füllen. Filtriere man zuvor die Hilfsstoffe der Globuli ab, „wird die befeuchtende Wirkung des Kochsalzes optimal unterstützt und man kann den Kunden empfehlen, dieses speziell angefertigte Spray während der gesamten Heizperiode zu verwenden.“

Natrium chloratum in Nasensprays mit Natriumchlorid

Die von Stiftung Warentest empfohlenen Nasensprays des letzten Medikamente-Tests mit isotonischer Kochsalzlösung kosten etwa 2,49 Euro pro 10 Milliliter, dagegen kosten Nasensprays mit dem Schüßler Salz Nr. 8 Natrium chloratum oder anderen Mineralstoffen nach Dr. Schüßler oft mehr als das Doppelte. Gerade pharmazeutische Laien erstaunt dies, da nach Anleitung der Apothekerin die PTAs Globuli mit Natriumchlorid (Natrium chloratum) in einer Natriumchlorid-Lösung (NaCl, Kochsalz) auflösen sollen. Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse der Pharmazie stecken wohl dahinter? Insbesondere, da Stiftung Warentest Nasensprays mit isotonischer Kochsalzlösung zur Behandlung von Schnupfen für geeignet hält, die Biochemie nach Schüßler aber allgemein zur Behandlung von Krankheiten als nicht geeignet einstuft.

Trotz kleiner Gaben ist die Biochemie nach Schüßler keine Homöopathie

Während im Lehrbuch der Arzneimittellehre von Prof. Dr. Mitscherlich Natriumchlorid in wirksamen bis tödlichen Dosierungen verwendet wird, verwendete der Arzt Wilhelm Heinrich Schüßler, der „Dr. med.“ ohne Doktorarbeit, Natriumchlorid in seiner Biochemie in unwirksamen Dosierungen – vermutlich hatte Schüßler schon einmal schlechte Erfahrungen mit Kochsalz im Bier gemacht. Jedenfalls schrieb Schüßler in seinem Werkchen namens Abgekürzte Therapie, dass „die Mittel in kleinen Gaben verabreicht werden“ müssen – das Schüßler Salz Nr. 8 Natrium chloratum zum Beispiel in der „6. Dezimal-Verreibung“. Über die Dezimal-Verreibung bemerkte Schüßler schon im Vorwort: „Wer von kleinen Gaben reden hört, denkt gewöhnlich sofort an Homöopathie; mein Heilverfahren ist aber kein homöopathisches“.

Erkenntnistheorie I – kleine Gabe plus große Gabe gleich doppelter Umsatz

Nach Professor Dr. med. R. Zander enthält eine 0,9-prozentige Kochsalz-Lösung 154 Millimol Natrium chloratum pro Liter, dies entspricht einer Menge von 9 Gramm Kochsalz pro Liter (Natrium chloratum – Molare Masse: 58,44 Gramm pro·mol). Dementsprechend ergeben dreihundert Tabletten Natrium chloratum in der 6. Dezimal-Verreibung stattliche 0,000075 Gramm Kochsalz (0,00000025 Gramm Natrium chloratum pro 0,250 Gramm Globuli). Statt 9 Gramm Kochsalz enthält die isotonische Kochsalzlösung des Nasensprays mit dem Schüßler Salz Nr. 8 Natrium chloratum nunmehr 9,000075 Gramm Kochsalz pro Liter.

Erkenntnistheorie II – Wer? Wie? Was? Wieso? Weshalb? Warum?

Als pharmazeutischer Laie muss man sich wundern: Welch pharmako-chemischer Konsens verbreitet wohl diesen biochemischen Nonsens? Vermutlich gerade wegen der goldrichtigen „Einordnung der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ kürte die Deutsche Fachpresse zum wiederholten Male „Die PTA in der Apotheke“ auch 2012 zum „Fachmedium des Jahres“ in der Kategorie „Medizin/Pharma/Gesundheit“ – nach Meinung der Jury als „ein hervorragendes Beispiel für journalistisch solide gemachten Fachjournalismus“. Die Marburger Erklärung zur Homöopathie bietet noch eine weitere Lesart der pharmazeutischen Erkenntnistheorie an: „Mit all diesen Methoden, deren Wirkprinzip die Täuschung ist, lassen sich nicht nur therapeutische Effekte, sondern auch beträchtliche Umsätze erzielen.“

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