Einen sechsten Sinn haben wird oft von Menschen gesagt, die etwas vorausahnen, ohne es bewusst mit den fünf Sinnen wahrzunehmen. Der Begriff „sechster Sinn“ wird immer häufiger auf Tiere angewendet, um damit elektrische und magnetische Sinne zu beschreiben, die ihnen anhaften. Mittlerweile konnten Wissenschaftler mittels Magnetresonanztomographie nachweisen, dass eine bestimmte Hirnregion, der sogenannte anteriore cinguläre Cortex, ein Frühwarnsystem darstellt, das bei drohender Gefahr aktiv wird. Es sieht demnach so aus, als empfänge diese Hirnregion Umgebungssignale, die auf mögliche Gefahren hin analysiert werden. Ist dies der Fall und sind Gefahren im Anmarsch, kann das Individuum, hier das Tier, sein gewohntes Verhalten ändern. Nur, wie zuverlässig ist ein solcher Katastrophensinn? Könnte er sich zu einem verlässlichen Frühwarnsignal entwickeln?
Seltsames Verhalten der Erdkröten in den Abruzzen
Als im Frühjahr 2009 die Erde bebte am Lago di San Ruffino, ging dem Tage zuvor etwas Seltsames voraus. Biologen beobachteten und zählten regelmäßig während der Laichzeit die Erdkröten, um deren Fortpflanzung unter die Lupe zu nehmen. Eigentlich sollten täglich mehr Kröten an den See kommen, um sich zu paaren und für Nachwuchs zu sorgen. Am 31. März 2009 wurden kaum noch Kröten gesichtet, auch die Tage danach nicht. Warum die Erdkröten ausblieben, erklärte sich am 6. April um genau 3.32 Uhr in aller Deutlichkeit: Ein Erdbeben der Stärke 6,3 wütete nicht weit vom See und legte die Stadt Aquila in Trümmer. Tage nach dem letzten starken Nachbeben tauchten am 16. April langsam die Erkröten wieder auf. Die Amphibien zogen sich von diesem gefährlichen Ort zurück, um nicht von Felsbrocken und Bäumen erschlagen zu werden. Es war also ihr „sechster Sinn“, der sie vor bevorstehendem Unheil gewarnt hatte.
Wie ahnen Tiere Naturkatastrophen?
Eine Theorie besagt, dass es vor Erdbeben zu Aufladungen in der Atmosphäre kommt, die unter anderem Wetterleuchten auslösen können und den Tieren eine Warnung sind. Manchmal tritt vor Erdbeben verstärkt Radon – ein Edelgas aus der Tiefe der Erde aus. Möglich ist weiter, dass Tiere elektrische Ladungen, die einem Erdbeben vorausgehen, spüren. Es könnte auch der Stand des Grundwassers, der Feuchtigkeit und Temperatur im Erdinnern sein, das sie empfindsam macht. Bekannt ist auch, dass positiv geladene Schwebeteilchen in der Luft im Gehirn der Tiere zur Ausschüttung von Serotonin führen können. Ein Botenstoff, der Angst auslöst, auch bei Tieren. Nur kann dies alles nicht die einzige Erklärung für die Aufruhr kurz vor einem Beben sein bei Tieren. Beim Tsunami Weihnachten 2004 in Südostasien lag das Epizentrum der Erschütterung in 40 km Tiefe des Erdinnern. Die Flutwelle rollte erst Stunden später über die Küsten hinweg. Naturwissenschaftler bewegen sich noch ziemlich im Dunkeln im Hinblick des tierischen Verhaltens.
Das Frühwarnsystem „Tiere“ ist nichts Neues
Die Geschichte zeigt, dass es tierische Prophezeiungen beinahe so lang gibt wie Erdbeben-Tragödien selber. Es lässt vermuten, dass Tiere nicht als zuverlässiges Beben-Warnsystem herangezogen werden können. Noch nicht, vielleicht aber in absehbarer Zeit. Auch Plinius dem Älteren (röm. Gelehrter) nutzte sein Wissen um die Vorzeichen am Ende wenig. Er starb im Jahr 79 in Pompeji, beim Ausbruch des Vesuvs. Für ein funktionierendes Frühwarnsystem müsste erst einmal das Zusammenspiel des sechsten Sinnes mit den anderen fünf Sinnen erforscht werden. So überzeugend Verhaltensweisen der Tiere immer wieder angeführt werden bei Naturkatastrophen, konnte das tierische Verhalten immer erst im Nachhinein mit der Katastrophe in Verbindung gebracht werden. Es existiert keinerlei Statistik etwa darüber, wie viele Tiere sich seltsam verhielten, ohne dass sich eine Naturkatastrophe ereignete. Sicher kann ein Frühwarnsystem, ausgelöst durch verändertes Verhalten bei Tieren, keine Schäden nach einem Beben verhindern, wohl aber Menschenleben retten.