Adipositas ist eine Krankheit!

Ralf Kopischke hat es mit ihr aufgenommen: Er wog fast 400 Kilo.

Seit 1999 hat der Ingolstädter sein Gewicht halbiert. Bis zum Ende des Jahres 2008 will er seine Vision umsetzen: „UHU“ sein und endlich wieder unter 100 Kilo wiegen.

Es gibt Momente, die sich tief einschneiden: In einer Agrarwaage für Kartoffeln gewogen zu werden, weil die handelsüblichen Personenwaagen nur bis 150 Kilo gehen, gehört für Ralf Kopischke dazu. „Da hört der Spaß definitiv auf“, sagt der 44-jährige Bayer und seine Stimme lässt erahnen, wie ernst es ihm ist.

Überall lauerten Risiken

Fast 400 Kilogramm wog er 1999, als er in die Schlemmer-Klinik am Tegernsee kam. Dort musste er eine Erklärung unterschreiben, dass er den Aufzug auf eigene Gefahr benutzt. Dieser war nämlich nur für ein Transportgewicht von maximal 300 Kilogramm zugelassen, Ralf Kopischke brachte damals allein 389 auf die Waage. Laufen und Treppensteigen waren für ihn unmöglich zu dieser Zeit, also unterschrieb er.

Auch eine wichtige Operation wurde wegen des Übergewichtes mehrmals verschoben. Einmal war dem Anästhesisten das Narkoserisiko zu hoch. Ein anderes Mal hielt einer der behandelnden Ärzte in einem Münchner Krankenhaus dem übergewichtigen Patienten wortlos eine Erklärung unter die Nase. „Ich sollte unterschreiben, dass ich den Operationstisch ersetze, falls er unter meinem Gewicht zusammenbricht. Damals habe ich diese Münchner Klinik fluchtartig verlassen. Der Umgang mit mir war so menschenunwürdig, dass ich jedes Vertrauen verlor.“ Auch dies: bitterer Ernst für den Ingolstädter.

„Therapie?! Für mich doch nicht!“

Rückschläge und Schocks gab es für Ralf Kopischke viele. Einer war heilsam für ihn: die Begegnung mit Dr. Franz Lettner. Während seiner ersten Visite sagte der ärztliche Direktor der Schlemmer-Klinik in Bad Wiessee: „Wenn Sie ins Gras beißen wollen, machen Sie so weiter!“ Konfrontation pur. Die beiden Männer wurden laut. Doch genau das habe ihn auf den richtigen Weg gebracht, sagt Ralf Kopischke heute. „Es dauerte, bis ich tatsächlich begriff, dass mein Übergewicht seelische Ursachen hat, dass es um weit mehr ging als ein paar Kilo zu verlieren. Ich war in Lebensgefahr.“ Das hatte er lange Zeit verdrängt. „Seelenklempner“ wollte Ralf Kopischke nicht an sich heranlassen. Erst nach der lautstarken Begegnung mit Dr. Lettner änderte er allmählich seine Einstellung. Mit Hilfe von Therapien und einer speziellen Ernährung verließ der damals 36-Jährige nach sieben Monaten die Klinik für Psychosomatik: 120 Kilo leichter. Das hatte er zur Verblüffung seiner Ärzte sogar ohne Magenoperation geschafft. Kopischkes Motto: „Zunehmen beginnt im Kopf, Abnehmen auch!“

Auf und ab

In den folgenden Jahren schwankte sein Gewicht, ging hoch und runter oder stagnierte. Im April 2007 war Ralf Kopischke wieder bei 300 Kilo. Familiäre Krisen hatten dazu geführt, dass er in sein altes Muster zurückfiel: Essen als Trost und Mittel zu Stressbewältigung. Er zog selbst die Notbremse, rief seine Ärzte an und nahm einen neuen Anlauf. Heute wiegt Ralf Kopischke 193 Kilo und will bis zum 31. Dezember 2008 mit viel Bewegung und einem strengen Ernährungsplan endlich wieder unter die 100-Marke kommen. Zuletzt hatte er als 17-Jähriger ein solches Gewicht.

Öffentliche Aufmerksamkeit

Ralf Kopischkes Schicksal und seine große Kraft, damit offen und konstruktiv umzugehen, haben auch die Öffentlichkeit aufmerksam gemacht. In Kooperation mit der Ingolstädter Klinik und dem Gesundheitsamt arbeitet er gerade an einem Konzept zur Nachsorge von Adipositas-Patienten. Er hält Vorträge und leitet ehrenamtlich zwei Selbsthilfegruppen in Ingolstadt. Der Fernsehsender SAT-1 begleitet den 44-Jährigen mit der Kamera bei seinem Prozess, auf gesunde Art Gewicht zu verlieren. Kopischke will damit vor allem anderen Menschen Mut machen. Die Art, wie er über seine Geschichte und sein Leben erzählt, zeigt, dass er hier viel zu geben hat. Auf die Frage, was er sich von der Gesellschaft im Umgang mit übergewichtigen Menschen wie ihm wünsche, kommt die Antwort blitzschnell: „Toleranz, viel, viel mehr Toleranz! Adipositas ist eine ernst zu nehmende und lebensbedrohliche Krankheit und keine Schwäche“.

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