ALS: Infektiöses Protein breitet sich prionähnlich aus

Die Erreger der Nervenkrankheit ALS sind entartete Proteine, die sich prionähnlich ausbreiten; sie führen zu Muskellähmung und schließlich zum Tod.

Auslöser für viele neuro-degenerative Krankheiten, wie Alzheimer, Parkinson und Creutzfeld-Jakob, sind spezielle Prionproteine, die aus einer vorher gutartigen in eine infektiöse Form übergehen. Diese weist meist eine charakteristische Struktur auf, die unter Wissenschaftlern als Kreuz-ß-Struktur bekannt ist. Doch entartete Proteine (Eiweiße) machen nicht nur selbst krank, sie können sogar gesunde Eiweiß-Moleküle dazu bringen, sich in die infektiöse Form umzuwandeln. Auf diese Weise breiten sich Prionerkrankungen mit erstaunlicher Effizienz aus. Degenerierte Proteine lagern sich in den Nervenzellen des Gehirns ab, was zum Absterben dieser Zellen und damit zum eigentlichen Krankheitsbild führt.

Entartete Enzyme lösen Muskelschwund aus

Superoxid Dismutase (SOD1) ist ein Enzym, das Superoxid-Anionen, eine schädliche Sauerstoff-Spezies, in Wasserstoffperoxid umwandelt. Diese Reaktion ist lebenswichtig für alle Sauerstoff-atmenden (aeroben) Organismen, da durch Superoxid-Anionen körpereigene Proteine und das Genom beschädigt werden können. Amyotrophe Lateralsklerose (ALS1) nennt der Mediziner eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems, die aus einem defekten SOD1-Gen resultiert. Die Krankheit tritt bei den Betroffenen erst im Erwachsenenalter auf und breitet sich dann sehr schnell aus. Symptome sind eine anfängliche Schwächung der Muskeln bis hin zur Lähmung, die schließlich zum Tod führt. Krankheitserreger sind die körpereigenen SOD1-Enzyme die aufgrund eines Gendefekts fehlerhaft strukturiert sind. Diese aggregieren und lagern sich in den Nervenzellen ab, was zu deren Absterben führt. Die beschädigten Nervenbahnen können die Befehle des Gehirns nicht mehr zu den Muskeln leiten, was die Lähmung bewirkt. Astrophysiker Stephen Hawking ist der wohl bekannteste ALS-Patient.

Forscher entschlüsseln die Verbreitungs-Strategie

Unbekannt war bisher der Mechanismus, der die schnelle Ausbreitung der Erreger-Proteine ermöglicht. Forscher der Universität Cambridge konnten nun zeigen, dass sich die entarteten Eiweiße ähnlich verhalten wie Prionen: Die Proteinaggregate gelangen über einen Vorgang, der Pinozytose genannt wird, in die Zellen. Pinozytose ist ein natürlicher Mechanismus, mit dem Zellen Moleküle und Wasser aufnehmen. Infektiöse Proteine kidnappen die Aufnahme-Maschinerie, um in Wirtszellen einzudringen. „Es sieht so aus, als ob sie dort wiederum SOD1-Moleküle zur Aggregation bewegen, sozusagen als Keim wirken“, so Wissenschaftler Christian Münch. Im Anschluss verlassen sie die Zelle und wandern durch das extra-zelluläre Medium zur Nächsten. So wird ein Lawinen-artiger Prozess in Gang gebracht, der sich selbständig fortsetzt. Die erstaunliche Effizienz, mit der die Protein-Klumpen von Zelle zu Zelle gelangen und dort das Verklumpen natürlicher Proteine initiieren, ermöglichte es den Forschern, den Prozess zu beobachten. Das gelang ihnen, indem sie SOD1 mit einem Farbstoff markierten, mit dem gefärbten Enzym eine Nerven-Zellkultur infizierten und mittels einer speziellen Mikroskopie-Methode die Ausbreitung der Proteinaggregate innerhalb der Kultur verfolgten. Der Gendefekt erwies sich dabei als Voraussetzung für die Krankheit: Nur bei fehlerhaften Enzymen konnte das Verklumpen ausgelöst werden.

Die Erkenntnisse zeigen nicht nur, dass die mutierten SOD1-Enzyme, die ALS auslösen, prionähnliches Verhalten an den Tag legen, sondern auch, wie die extrem effiziente Ausbreitung der Protein-Aggregate funktioniert.

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