Wie funktioniert Altern

Warum altern wir? Gerontologen haben zahlreiche Theorien aufgestellt. Noch konnte keine allgemeingültige Antwort auf diese Frage gefunden werden. Die Ursachen des Alterns.

Fast jedem Lebewesen steht nur eine begrenzte Lebensspanne zur Verfügung. Die individuelle Existenz wird unabänderlich vom Beginn des Lebens und von seinem Tod markiert. Ausnahmen von diesem biologischen Grundsatz stellen lediglich einzellige Lebewesen dar. Sie vermehren sich durch Teilung ihrer selbst und sind somit – zumindest potenziell – unsterblich. Doch selbst sie finden durch Fremdeinwirkung ein natürliches Ende.

Nach der Evolutionstheorie steht die Lebenskraft größtenteils im Dienst der Arterhaltung. Die meisten Arten investieren bereits in jungen Jahren ihre Energie in die Fortpflanzung. Ist die Nachkommenschaft gesichert, altern die Eltern und sterben. Mit Ihrem Tod verringert sich der Konkurrenzdruck zwischen den Generationen. Der Tod hat also – zumindest biologisch – einen Sinn.

Lebenserwartung und Altern

Heute ist die Lebenserwartung des Menschen kaum höher als in früheren Zeiten. Doch die modernen Lebensbedingungen erlauben es mehr Menschen, ein Alter von neunzig oder mehr Jahren zu erreichen. Dieses Privileg hat jedoch seinen Preis. Nach den Worten des Heidelberger Molekularbiologen Konrad Beyreuther ist das Altern „der Prozess, der gesunde, im biologischen Sinn fitte Erwachsene in gebrechliche Erwachsene verwandelt, deren Risiko für alterns-assoziierte Krankheiten, Verletzungen und Tod stetig ansteigt.“

Theorien über das Altern

Doch warum altern wir? Mit dem Phänomen des Alterns beschäftigt sich ein eigener Forschungszweig, die Gerontologie. Je nach Forschungsansatz geht man dabei von unterschiedlichen Prämissen aus. Rund dreihundert (!) Theorien über das Altern wurden bislang aufgestellt. Alle bisherigen Erklärungsversuche lassen sich zwei Hauptkategorien zuordnen: der Gruppe der Verschleiß-Theorien und den Theorien über die im Erbgut verankerten molekularen Mechanismen des Alterns (Programmtheorien).

1. Verschleißtheorien

Die bekannteste Verschleißtheorie ist die Theorie von den freien Radikalen. Zum ersten Mal vertreten wurde sie 1956 von dem amerikanischen Biogerontologen Denham Harman. Sie besagt, das Nebenprodukte des Zellstoffwechsels für den Alterungsprozess verantwortlich sein können. Diese Molekülfragmente besitzen freie Elektronen und werden als freie Radikale bezeichnet. Sie sind sehr kurzlebig, außerordentlich reaktiv und können mit allen organischen Substanzen in der Zelle Verbindungen eingehen. Chemische Reaktionen mit Radikalen führen jedoch zur Zerstörung von Proteinen, Fetten und der der Erbsubstanz (DNS). Das hat zur Folge, dass viele lebensnotwendige Prozesse im Körper nicht mehr stattfinden können. Folglich altern die Zellen und somit der ganze Organismus.

Harman fand zudem heraus, dass die Bildung freier Radikale durch äußere Einflüsse wie Nikotin, Ozon, Gammastrahlen, Mikrowellen und UV-Licht begünstigt wird. Seiner Ansicht nach sind es diese exogenen Faktoren, die durch die Bildung der freien Radikale den Verschleiß des Körpers hervorrufen. In Tierversuchen konnte Harman nachweisen, dass eine verringerte Nahrungsaufnahme (Diät) und Antioxidantien wie die Vitamine C und E sowie das Provitamin A (β-Carotin) eine 25-40% Lebensverlängerung bewirken.

2. Programmtheorien

Die Programmtheorien gehen davon aus, dass der Alterungsprozess genetische Ursachen hat. Das maximal erreichbare Alter des Menschen liegt schätzungsweise zwischen 120 und 130 Jahren. Es wird aber nur sehr selten erreicht. Neue Forschungen zeigen, dass die Wandlung vom jungen zum alternden Menschen von mehreren Genen kontrolliert wird. Einige dieser Gerontogene sind bereits identifiziert. Genetische Untersuchungen an Mäusen, Fruchtfliegen, Fadenwürmern und Hefen haben gezeigt, dass experimentell herbeigeführte Veränderungen (Mutationen) an den Gerontogenen das Altern beschleunigen können.

  • Reparaturmechanismen-Theorie

Zu den genetischen Ursachen zählen die DNS-Reparaturmechanismen (DNS = Desoxyribonukleinsäure). Die genetischen Informationen (Gene) werden im Zellkern als DNS gespeichert. Damit bei einer Zellteilung jede Tochterzelle einen identischen Datensatz erhält, muss die DNS der Mutterzelle zuvor kopiert werden (Replikation). Dabei können gelegentlich „Abschreibfehler“ unterlaufen, die zu einem schadhaften Gen und somit zu einer fehlerhaften Synthese des codierten Proteins führen. Die Aufgabe der Reparaturenzyme ist es, Schreibfehler während des Kopiervorganges zu korrigieren. Da sie ihrerseits mit Fehlern synthetisiert werden können, häufen sich in den betroffenen Zellen schadhafte Gene an, die an die Tochterzellen weitergegeben werden. Das forciert den Alterungsprozess und führt zur Entstehung von Alterskrankheiten.

  • Das Hayflick-Limit

Der amerikanische Gerontologe Leonard Hayflick fand anhand von tierischen Gewebezellen verschiedenen Alters heraus, dass junge Zellen sich öfter teilen als ältere. Er beobachtete ferner, dass die Zellen abstarben, sobald sie die maximale Zahl ihrer Verdopplungen erreicht hatten. Er postulierte daher 1961, dass das Altern etwas mit der begrenzten Anzahl von Zellverdoppelungen zu tun habe, die nicht überschritten werden könne. Der Alterungsgrad einer Körperzelle sei mit der Zahl der maximalen Zellteilungen („Hayflick-Zahl„) verbindlich festgelegt. Tatsächlich konnten die molekularen Mechanismen dieser Theorie aufgeklärt und Hayflicks Theorie bestätigt werden.

  • Die Theorie vom Telomer-Verlust

Die meiste Zeit liegen die Gene in einer sehr lockeren, fadenähnlichen Form in den Zellkernen vor. Erst vor einer Zellteilung zieht sich die DNS zu mikroskopisch sichtbaren, in etwa X-förmigen Chromosomen zusammen. Jedes Chromosom besitzt an seinen Enden so genannte Telomere, die aus den gleichen molekularen Bausteinen bestehen wie die DNS selbst. Sie enthalten jedoch keinerlei genetische Information. Diese Endabschnitte sorgen dafür, dass der bei jeder Zellteilung unvermeidlichen Verkürzung des Chromosoms nicht informationstragende DNS (Gene) zum Opfer fallen. Menschliche Telomere haben nach der Geburt eine Länge von ca. 10000 Basenpaaren (Basen sind die elementaren Bausteine, aus denen das DNS-Molekül aufgebaut ist). Erreicht ein Mensch ein Alter von 100 Jahren, sind diese „Schutzkappen“ nur noch halb so lang. Verkürzen sie sich weiter, verlieren die Zellen ihre Fähigkeit zur Teilung. In dieser Phase altern die Zellen und sterben den programmierten Zelltod (Apoptose).

Der Tod eines Menschen – sofern er nicht durch Unfall, Krankheit oder andere Ursachen ums Leben kommt – würde nach dieser Theorie dann eintreten, wenn eine kritische Anzahl von Körperzellen keine Zellteilungen mehr durchführen kann, da jede weitere Teilung zum Verlust genetischer Information führen würde. Manche Forscher sind der Meinung, dass dieses Limit nach 120 Lebensjahren erreicht ist, andere sehen die Grenze erst nach 200 Jahren erreicht.

  • Die Ausnahmen von der Regel: Samen-, Ei- und Krebszellen

Einzig die Keimzellen unterliegen dieser Einschränkung nicht. Anders wäre die Weitergabe von Erbinformationen auf die nächste Generation auch gar nicht möglich. Sie besitzen ein spezielles Enzym, die Telomerase, die molekulare Bausteine an die Telomere anknüpft, so dass sie auf konstanter Länge gehalten werden. Somit sind jene Zellen, die über die Telomerase verfügen, in der Lage, das Hayflick-Limit zu durchbrechen. Leider gehören auch Tumorzellen in diese Kategorie.

Heute ist die von Alexy Olovnikov 1973 aufgestellte und 1991 von Carl Harley experimentell untermauerte Telomerverlust-Theorie allgemein anerkannt. Zudem sind eine Reihe weiterer molekularer Mechanismen aufgedeckt worden, die für Alterungsvorgänge verantwortlich sind. Die Frage, ob eher die Programm- oder eher die Verschleißtheorie das Altern besser erklärt, muss allerdings offen bleiben. Sehr wahrscheinlich werden die Alterungsprozesse in unserem Körper von einem Netzwerk aus externen und internen Faktoren gesteuert.

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