Wie funktioniert der Golfstrom?

Kann der Golfstrom versiegen? Klimawandel und globale Erwärmung könnten für Europa dazu führen, dass es nicht wärmer wird, sondern eisig kalt. Der Golfstrom ist nicht immer geflossen. In den letzten Jahrhunderttausenden der Erdgeschichte ist er mehrfach versiegt und wieder angesprungen. Klare Antwort also: Ja, er kann.

Der Nordatlantikstrom, wie der Golfstrom richtig heißt, ist Europas Heizung. Er sorgt dafür, dass das golfstromumspülte Irland trotz seiner nördlichen Lage eine immergrüne Insel ist, auf der Chaos ausbricht, wenn Bodenfrost aufkommt oder zwei Zentimeter Schnee fallen. New York liegt südlicher als Porto, aber die Weintrauben sind hier deutlich besser. Frankfurt liegt auf der Höhe von Winnipeg und Labrador, aber dort haben die Hunde ein dickeres Fell. Norwegen liegt auf der gleichen Höhe wie Grönland, aber Norwegen ist eisfrei und grün, Grönland nicht. Und in Plockton in Nordschottland gedeiht der Cabbage Tree, eine Palmenart.

Ohne den Golfstrom wäre Europa nicht das, was es heute ist. Zeiten, in denen er versiegt war, kennen wir als Eiszeiten.

So funktioniert der Golfstrom?

Er kommt aus dem südlichen Atlantik, aus dem Golf von Mexiko, wie das warme Wasser einer Zentralheizung, und lässt Europa wärmer sein, als es seinen Breitengraden angemessen wäre. In diesen tropischen Breiten hat das Meereswasser sich aufgeheizt. Dann fließt es nach Norden. Arktische Luftströme auf ihrem Weg nach Europa müssen den Golfstrom überqueren und werden dabei warm und feucht. Das Wasser im Gegenzug verdunstet und kühlt ab. Je mehr Wasser verdunstet, desto mehr steigt der Salzgehalt; je höher der Salzgehalt, desto höher das Gewicht des Wassers. So kühlt das Wasser des Golfstroms aus auf seinem Weg nach Norden, wärmt Europa und wird dabei immer schwerer.

Und irgendwann, irgendwo südwestlich von Grönland, ist das Wasser so salzig und so schwer geworden, dass es absinkt in die Tiefen des Meeres, hinunterfällt wie ein gigantischer Unterwasser-Wasserfall. Der Sog dieses Wasserfalls ist es, der ständig neues tropisch warmes Wasser aus dem Golf von Mexiko anzieht auf seinem Weg nach Europa, und auf dem Meeresgrund fließt es dann wieder zurück. Ein Perpetuum Mobile, ein natürlicher Kreislauf ohne Anfang und Ende, den nichts und niemand stoppen kann?

Klimawandel, Erderwärmung und Nordatlantikstrom

In der Geschichte war der Golfstrom mehrmals versiegt. Gründe dafür waren Eisabrutschungen gewesen oder der Einstrom von Schmelzwasser – eher plötzliche, katastrophale Ereignisse also. Nun wird befürchtet, dass eine globale Erwärmung den Golfstrom zwar nicht zum Versiegen bringen, aber doch spürbar abschwächen könnte. Folgende Mechanismen könnten dazu führen:

  1. Das Wasser könnte sich durch die Erwärmung ausdehnen, und
  2. Schmelzwasser von Gletschern könnte es verdünnen.

In beiden Fällen wäre der Gewichtsunterschied zwischen salzigem Golfstromwasser und dem normalen Meereswasser nicht mehr so groß, dass das Golfstromwasser vor Grönland in die Tiefe sinken würde – zumindest nicht so schnell wie bisher. Zum Ausgleich, wird angeführt, würde eine höhere Durchschnittstemperatur auch zu einer stärkeren Verdunstung des Wassers führen. Die beiden Effekte könnten einander ausgleichen.

Ein anderes Szenario wäre, dass sich das süße Wasser der abtauenden Grönlandgletscher ausbreitet und – weil es leichter ist – als dünne Schicht über das Salzwasser des Golfstroms legt. Dann könnte das Golfstromwasser nicht mehr weiter verdunsten. Auch das würde das Gefälle abschwächen. Und im Winter könnte dieses Süßwasser gefrieren, eine Eisdecke über dem Salzwasser bilden, und die arktischen Winde Richtung Europa wären nicht mehr warm und feucht, sondern trocken und kalt.

Eiskalte Winter durch einen schwächeren Golfstrom?

Dass die Explosion der Ölbohrinsel Deep Water Horizon und die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko den Golfstrom abgeschwächt hätten, befürchtet das Zentrum für Umwelt und geophysikalische Prozesse in Moskau. Sein Leiter Igor Janizki sagte deshalb im Herbst für den europäischen Teil Russlands einen besonders kalten Winter 2010/2011 voraus. Auch die staatliche Wetterbehörde meint, Minustemperaturen um die 30 Grad werde man in diesem Winter häufiger antreffen. Es werde für Obdachlose besondere Vorsorge getroffen.

Tatsächlich wurde am 19. Mai 2010 berichtet, dass die Ölpest den Golfstrom erreicht hat. Aber hat sie dazu beigetragen, dass deutlich weniger Wasser verdunstet ist? Deutsche Experten halten die Prognose für voreilig. Hauptsächlich allerdings deshalb, weil langfristige Prognosen generell unsicher seien. Und damit haben sie nur gesagt, dass sie nichts dazu sagen wollen.

Azorenhoch und Islandtief: die Nordatlantische Oszillation

Der Winter in Deutschland ist abhängig vom Luftdruck über Island und über den Azoren und dessen Schwankungen. Was hier schwankt, die sogenannte Nordatlantische Oszillation (NAO), das bestimmt unser Wetter. Ein kräftiges Tief vor Nordeuropa, ein kräftiges Hoch vor Südeuropa, und zwischen beiden strömt Wind zum Festland, der vom Atlantik kommt und warm ist. Ist der Luftdruck an beiden Orten relativ ähnlich, kommt kein Westwind zu uns. Kalte Luft aus dem Osten hat freie Bahn, und Westeuropa bibbert.

Der Golfstrom soll dazu beitragen, diese Luftdruckschwankungen zu bilden. Ohne ihn könnten sie also schwächer ausfallen oder sich woanders befinden. Was ebenfalls mit dem Golfstrom zu tun hat, ist die Temperatur des Westwindes, den sie zu uns schicken. Dass er so warm ist, hat er ja nur der Tatsache zu verdanken, dass er übers warme Meer zu uns kam. Würde der Golfstrom versiegen, würde nach wie vor Westwind die Kälte aus dem Osten in Schach halten, aber es wäre ein sehr viel kälterer und trockenerer Westwind als heute.

Auch während vergangener Eiszeiten hat es Hochs über den Azoren gegeben und Tiefs über Island und Westwinde. Und gleichzeitig Mammuts und hunderte von Metern dicke Gletscher in Mitteleuropa. Aber keinen Golfstrom.

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