Angst vor Schmerzen zerstört Effekt von Remifentanil-Medikamenten

DFG-Placebo-Forschung: Die Erwartung des Patienten an die medikamentöse Schmerztherapie entscheidet über die Wirkung von Opioid-Schmerzmitteln wie Ultiva.

Viele Patienten mit Hüft-Arthrose oder Knie-Arthrose nehmen Nahrungsergänzungsmittel wie Glucosamin-Hydrochlorid und Chondroitin-Sulfat, die beiden Scheinmedikamente reduzieren als Placebo-Medikament bei über der Hälfte aller Patienten den Arthroseschmerz; auch in der Homöopathie wirken bei chronischen Gelenksentzündungen nicht die homöopathischen Medikamente, sondern die Homöopathen durch die Arzt-Patienten-Beziehung – sogar bei stark wirksamen opioidhaltigen Schmerzmitteln wirkt die Erwartung des Patienten an die Schmerztherapie auf den schmerzlindernden Effekt: „Jetzt wissen wir, dass auch die negativen Erwartungen an die Therapie deren Erfolg beeinträchtigen und die Wirkung von eigentlich potenten Schmerzmitteln ungünstig beeinflussen kann“, berichtet Privat-Dozentin Dr. Ulrike Bingel am 16. Februar 2011 – PD Dr. Bingel ist Erstautorin einer wissenschaftlichen Studie in der Zeitschrift Science Translational Medicine.

DFG-Projekt FOR 1328 erforscht Placebo-Reaktionen bei akuten und chronischen Schmerzen

PD Dr. Bingel arbeitet am Institut für Systemische Neurowissenschaften der Klinik für Neurologie im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UHE), sie ist stellvertretende Sprecherin des DFG-Forschungsprojekts „Erwartungen und Konditionierung als Basisprozesse der Placebo- und Nocebo-Reaktion“, hier erforscht man die Wirksamkeit von Medikamenten und Scheinmedikamenten bei akuten und chronischen Schmerzpatienten. Die neue Studie zeigt, dass eine Schmerzbehandlung deutlich besser wirkt, wenn die Schmerzpatienten sich viel von der Therapie versprechen. Erwarten die Patienten dagegen keinen oder gar einen negativen Effekt der Schmerztherapie, wird der Schmerz durch wirksame Opioid-Schmerzmittel nur wenig bis gar nicht gelindert.

22 gesunde Versuchskaninchen erlitten starke Schmerzen

Bei der wissenschaftlichen Schmerz-Studie erlitten 22 gesunde Versuchspersonen zwischen 20 und 40 Jahren mehrfach für einige Sekunden einen kontrollierten Hitzereiz, der Schmerzreiz führte auf einer Schmerzskala von 0 bis 100 zu einem mittleren bis starken Schmerz von etwa 70. Die Probanden erhielten während des Schmerzversuchs mittels Infusion unter drei verschiedenen Versuchsbedingungen ein stark schmerzlinderndes opioidhaltiges Schmerzmittel (μ-Opioid Remifentanil, Analgetikum-Handelsname Ultiva): Erfolgte die Verabreichung des Schmerzmittels mittels einer „verdeckten“ Infusion, rechneten die Versuchspersonen nicht mit der schmerzlindernden Wirkung des Medikaments – in dieser Versuchsanordnung sank die Schmerzintensität wie erwartet auf etwa 60 von 100.

Ach Schmerz, lass‘ nach – positive Erwartung verdoppelt schmerzlindernden Effekt

In der zweiten Versuchsanordnung rechneten die Probanden dagegen mit der schmerzlindernden Wirkung des μ-Opioids Remifentanil während der Einwirkung des Schmerzreizes: „Wenn wir den Probanden dann in der zweiten Bedingung mitteilten, dass ihnen jetzt das Medikament verabreicht wird, verdoppelte sich der schmerzlindernde Effekt der identischen Medikamentendosierung“, erläutert Dr. Ulrike Bingel – unter diesen Versuchsbedingungen sank die Schmerzintensität durch die Erwartung einer schmerzlindernden Behandlung nicht unerwartet auf unter 50 von 100. Während des Versuchs untersuchten die Wissenschaftler zeitgleich mittels funktioneller Magnet-Resonanz-Tomographie (fMRT) die Schmerzverarbeitung im Gehirn: Hier zeigen der Thalamus, die Insel und der somatosensorische Cortex als wichtige Schaltstellen, ob die Versuchsperson gerade viel oder wenig Schmerz erleidet. Glaubten die Probanden an die Wirkung der Schmerztherapie, aktivierte sich zusätzlich das körpereigene schmerzhemmende System und verstärkte die schmerzlindernde Wirkung des Analgetikums.

Hilft eh nichts – negative Erwartung macht schmerzlindernde Effekte zunichte

In der dritten Versuchsanordnung wurde den Versuchspersonen mitgeteilt, dass sie keine Schmerztherapie mehr gegen den Schmerzreiz erhielten und es vermutlich gleich stärker schmerzen könnte – tatsächlich erhielten die menschlichen Versuchskaninchen aber ohne ihr Wissen weiter das μ-Opioid-Analgetikum während des Schmerzreizes: „Die negative Erwartung und die Angst vor dem Schmerz haben den Effekt des Medikament vollständig zerstört. Der Schmerz war bei den Probanden genauso stark, als hätten sie überhaupt kein Medikament bekommen“, erklärt PD Dr. Bingel – die Schmerzintensität erreichte auf der Schmerzskala von 0 bis 100 wieder den Ausgangswert eines mittleren bis starken Schmerzes von etwa 70.

Wichtige Erkenntnisse für chronische Schmerzpatienten

Gerade für die Schmerztherapie chronischer Schmerzpatienten sind die neuen Forschungsergebnisse wichtig: „Vielen von ihnen konnte über Jahre nicht geholfen werden; sie sind verzweifelt und ängstlich, haben kein Vertrauen mehr in die Medizin“, resümiert die Neurologin, deshalb kann hier eine einfühlsame Arzt-Patienten-Beziehung wahre Wunder wirken: „Hierbei kann es schon helfen, Patienten intensiver und gezielter über ihre Erkrankung und Behandlungen aufzuklären, um positive Erwartungen zu wecken und negative zu vermeiden.“

Weitere Informationen: Die kurze Inhaltsangabe der englischen Originalarbeit können Sie auf der Homepage der Zeitschrift Science Translational Medicine kostenlos ansehen, lesen und als pdf-Dokument herunterladen – U. Bingel, V. Wanigasekera, K. Wiech, R. Ni Mhuircheartaigh, M. C. Lee, M. Ploner, I. Tracey (2011): „The Effect of Treatment Expectation on Drug Efficacy: Imaging the Analgesic Benefit of the Opioid Remifentanil“. Sci. Transl. Med. 3, 70ra14.

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