Bernoullis Strömungen – eigensinnig und paradox

Filtertüten für Kaffee benehmen sich manchmal sonderbar! Legen Sie eine Filtertüte in den dazugehörigen Kaffeefilter oder einen etwa gleichgroßen Trichter und blasen Sie von der anderen Seite wie in eine Trompete kräftig hinein. Wider Erwarten fliegt die Papiertüte jedoch nicht in hohem Bogen heraus, sondern verharrt im Filter, so kräftig Sie auch blasen. Möglicherweise ist noch ein knatterndes Geräusch zu hören. Ist das nicht eine Situation, die so unerwartet ist, dass man sie als paradox empfindet? Das eigensinnige Experiment widerspricht jeder Intuition: Man bläst etwas weg und trotzdem haftet es, fast wie angeklebt.

Strömungen – die Kontinuitätsgleichung

Luft- oder Flüssigkeitsströmungen sind etwas Kontinuierliches. Sie tragen im Fall von Wasser Blätter und kleine Holzstückchen mit sich fort, die unsichtbaren Linien im Wasser zu folgen scheinen. Wenn die Strömung nicht abreißt und keine Verwirbelungen ausbildet, muss in einer bestimmten Zeit in ein kleines gedachtes Volumen genauso viel hineinströmen wie heraus. Dieser Sachverhalt ist in der Physik als Kontinuitätsgleichung bekannt. Erreicht die Strömung eine Engstelle, so hat sie dort weniger Platz zur Verfügung. Um den Durchfluss konstant zu halten, muss sie dort schneller strömen. Jeder, der schon einmal mit einem kleinen Boot auf einem Fluss unterwegs war, weiß das. Zwischen Brückenpfeilern zum Beispiel wird das Flusswasser zusammengedrängt und schneller. An solchen Stellen nehmen Boote und Treibgut rasante Fahrt auf. Verbreitert sich das Flussbett, fließt das Wasser wieder gemächlicher dahin.

Strömungen erzeugen (oftmals) Unterdruck

Mit Strömungen beschäftigte sich der Naturwissenschaftler Daniel Bernoulli, der Anfang des 18. Jahrhunderts ein Bewässerungsproblem lösen sollte. Bernoulli fand heraus, dass der Druck in einer Gas- oder Flüssigkeitsströmung abnimmt, wenn die Geschwindigkeit der Strömung zunimmt, und umgekehrt. Strömt beispielsweise Luft durch die Röhre, so stellt sich im Bereich der Röhrenverengung – dort strömt die Luft schneller – ein deutlich niedrigerer Druck ein. Die Flüssigkeitssäulen in den aufgesetzten Röhrchen dienen dabei als Druckmesser. Schnell strömende Luft kann also einen Unterdruck erzeugen! Dieser Zusammenhang wird auch als Bernoulli-Effekt oder hydrodynamisches Paradoxon bezeichnet.

Wenn Sie in den Trichter blasen, gelangt der Luftstrom in den engen Spalt zwischen Trichter und Filtertüte und strömt dort mit großer Geschwindigkeit. Nach Bernoullis Gesetz führt dies zu einer Druckminderung. Auf der Außenseite der Filtertüte ist der Luftdruck jedoch höher als der Druck im engen Spalt und presst die Papiertüte fest in den Trichter hinein, statt sie wegzublasen. Interessant ist allerdings noch das knatternde Geräusch. Zunächst wird durch den höheren Außendruck die Filtertüte fest an den Trichter gepresst. In diesem Augenblick schließt sich jedoch der schmale Spalt, die Strömung reißt ab. Dadurch löst sich das Papier wieder etwas vom Trichter, die Strömung kann sich „erholen“ und das Spiel beginnt von vorn.

Bernoulli-Effekt und hydrodynamisches Paradoxon – allgegenwärtig

Der Bernoulli-Effekt ist allgegenwärtig! Umfangreiche Lehrbuchkapitel führen endlose Beispiele für ihn an; besonders wenn ein alltägliches Phänomen Überraschendes birgt, ist oft der Bernoulli-Effekt im Spiel. So lassen sich zwei aneinander haftende Buchseiten nicht durch direktes Blasen zwischen die Seiten trennen. Der entstehende Unterdruck führt zu einem noch stärkeren Hafteffekt. Biegen Sie die widerspenstigen Seiten leicht und versuchen Sie es das nächste Mal durch leichtes Blasen an der Wölbung vorbei. Wenn zwei Schiffe dicht aneinander vorbeifahren, würde man eigentlich erwarten, dass sie von dem zusammen gedrückten Wasser zwischen ihnen auseinander gedrängt werden sollten. Tatsächlich jedoch entsteht – der Intuition widersprechend – ein Sog, der die Schiffe zueinander zieht, übrigens eine häufige Ursache für Bootskollisionen unerfahrener Freizeitkapitäne, da auch an der Kaimauer befestigte Boote betroffen sind.

Entlüfter, Präriehunde und Raumkühlung

Ein großer Anwendungsbereich des Bernoulli-Effekts betrifft das „Mitreißen“ von Flüssigkeiten oder Gasen. Schiffsventilatoren zum Beispiel bestehen häufig aus einem kegelförmigen Körper, der so ausgerichtet ist, dass er vom Fahrtwind von hinten her umströmt wird. Die Geschwindigkeit der Luft erhöht sich bei dieser Umströmung, es bildet sich nach Bernoulli ein Unterdruck aus. Die Luft aus dem Inneren des Entlüfters wird in diese Bereiche verminderten Drucks hineingesaugt. Diese Saugwirkung ist nicht unbekannt: Bei starkem Sturm empfindet man häufig Atemnot, weil die den Kopf umströmende Luft einen Unterdruck erzeugt, bei dem Mund und Nase dann wie ein Entlüfter wirken. Das Prinzip nutzen auch amerikanische Präriehunde zur Belüftung ihrer Wohnhöhlen. Die Eingänge zu diesen unterirdischen Höhlen sind von hohen konischen Wällen umgeben. Das vollautomatische und zudem kostenlose System wird auch in vielen Kulturen zur Belüftung von Bauwerken oder Wohnungen genutzt. In der altiranischen Architektur wurden beispielsweise Windtürme und spezielle Kuppeldächer zur Zisternen- und Raumkühlung eingesetzt.

Auch Zerstäuber folgen Bernoullis Gleichung: Die Flüssigkeitsteilchen aus einem kleinen Steigröhrchen werden von einer schnellen Luftströmung aus einer Düse eingesogen, mit dem Luftstrom vermischt und dann als Wolke in die Umgebung gesprüht. Im einfachsten Fall lässt sich die Luftströmung mit einem kleinen Gummiball erzeugen, die Mutter der Autorin besaß einen derartigen Parfum-Zerstäuber. Im Bunsenbrenner, ein in vielen chemischen Laboren genutzter Gasbrenner, saugt der Unterdruck des aus der Düse mit großer Geschwindigkeit ausströmenden Gases selbst die zur Verbrennung benötigte Luft durch eine regulierbare Öffnung im Kamin des Brenners an. Die Flammen erreichen so Temperaturen um 1.600° C.

Blick über den Tellerrand: Verblüffende Spielereien

Zahllose Spiel basieren auf dem Bernoulli. Da gibt es leichte Bälle, die scheinbar schwerelos in Gebläseströmungen tanzen. Steinchen balancieren auf starken Wasserfontänen und Eier werden von Wasserstrahlen aus Gefäßen angezogen. Der Autorin hat es jedoch ein kleines Spielzeug angetan, das unter dem Namen „Blowpipe“ bekannt ist: Es besteht aus nicht viel mehr als einem abgeknickten Röhrchen, auf dem ein kleines Körbchen sitzt. Durch leichtes Anblasen wird ein kleines Bällchen nicht weggeblasen, wie man auch hier vermutet, sondern zum Schweben gebracht. Die vertikale Stabilität wird durch ein Gleichgewicht zwischen Erdanziehung und dem Druck unter dem Ball erreicht. Die horizontale Stabilität – auf diese kommt es nämlich an, sonst könnte der Ball ja seitlich wegflitzen – rührt vom Bernoulli-Effekt her. Der bei der Umströmung entstehende Unterdruck zentriert den Ball immer wieder.

Etwas Geschick benötigt man dagegen für eine interessante Weiterentwicklung: Ziel ist es, den Ball durch Blasen so anzuheben, bis er die obere Rohröffnung erreicht, in die er mühelos hineinschlüpft und in seine Ausgangslage zurück saust. Die geblasene Luft erzeugt – außer der Stabilisierung des Bällchens -, eine Strömung von der oberen zu der unteren Öffnung. Sobald der Ball in die Nähe der oberen Öffnung kommt, wird er durch den Unterdruck in das Röhrchen gezogen. Wie viele Runden schaffen Sie mit einem Atemzug?

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