Der Tod im Blick des Sterbenden

Trauer und Einsamkeit der Angehörigen sind im Anblick des Todes ein ständiges Thema. Wie sehen es die Sterbenden? Wie wünschen sie sich ihre letzte Zeit?

Obwohl das Sterben bekanntermaßen zum Leben dazu gehört, ist es immer noch ein Tabuthema. Der eigene Tod und auch der von Angehörigen wird in Gesprächen selten thematisiert. Doch irgendwann kommt unausweichlich der Moment, in dem der Tod sehr nah vor der Tür steht – unausweichlich. Stirbt ein Mensch nicht gerade plötzlich durch Unfall, Herzinfarkt oder unerwartet während einer Operation, ist der Zeitpunkt gekommen, sich dem Thema Tod zu stellen. Liebenden Angehörigen und Freunden fällt dies unglaublich schwer. Sich aktuell damit zu befassen bedeutet, den baldigen Tod eines Menschen anzunehmen und zu akzeptieren. Das Wissen, diesen Menschen nie mehr wieder zu sehen, sprechen und berühren zu können, ist für die meisten eine absolute Überforderung. Doch was bedeutet es für die Sterbenden? Gehen sie, so weit sie den eigenen Tod verstandesmäßig erfassen können, anders damit um? Mit ihnen, sozusagen den Hauptdarstellern im letzten Akt des Lebens, wird am wenigsten darüber gesprochen.

Patientenverfügung und Medizintechnik

Die heutige Medizintechnik ist in der Lage, Leben scheinbar unendlich zu verlängern. Künstliche Ernährung und Beatmung sowie entsprechende Medikamente erreichen, was gewünscht zu sein scheint. Bei Sterbenden, die im Koma liegen oder durch Demenz oder Hirnschädigungen nicht in der Lage sind, ihre Wünsche hinsichtlich leben oder sterben zu äußern, liegen diese lebensverlängernden Maßnahmen im Ermessen der Ärzte und Angehörigen. Wer keine Patientenverfügung gemacht hat, muss sich dem fügen. Anders sieht es aus, wenn der Sterbende bei vollem Verstand ist oder eben eine Patientenverfügung rechtzeitig erstellt hat. Wenn der rechtliche Weg auch schwierig ist, besteht dennoch die Möglichkeit, den Zeitpunkt des Todes mit zu bestimmen, beziehungsweise der Natur ihren Lauf zu lassen. Beide Wege bergen jedoch häufig Diskrepanzen zwischen den Wünschen der Angehörigen und der Sterbenden. Diese entstehen durch Sprachlosigkeit, die der nahende Tod mit sich bringt. Eines der größten Tabuthemen offen zu besprechen und Entscheidungen zu fällen, ist nicht leicht, aber hilfreich.

Loslassen lernen

Die bekannte Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross hat in ihrem Buch „Interviews mit Sterbenden“ ein schwieriges Thema einfühlsam erarbeitet. Dies konnte sie jedoch nur, weil sie den Mut aufbrachte, eben mit denen zu sprechen, die an der letzten Station angelangt waren.

In einer Phase, in der Sterbende bereit sind, den eigenen nahenden Tod anzunehmen, wird Dankbarkeit deutlich, darüber auch reden zu dürfen. Sterbende machen im Angesicht des Todes oft nichts anderes, als was sie ihr Leben lang gewohnt waren – nämlich Rücksicht auf ihre Angehörigen zu nehmen. Diese Rücksicht beinhaltet in der Regel, nicht über das Sterben zu sprechen. Genau hier kann jedoch angesetzt werden, sich über das auszutauschen, was wirklich wichtig geworden ist. Das Loslassenkönnen ist auf beiden Seiten das zentrale Thema. Es auszusprechen kann eine enorme Erleichterung bedeuten. Für alle Beteiligten besteht kaum die Möglichkeit, es zu erlernen und es bleibt immer die Angst, etwas falsch zu machen.

Besuch im Hospiz

Für nahezu alle Lebensbereiche gibt es Kurse und Schulungen. Diese beginnen bereits vor der Geburt, weitere begleiten die Menschen fast ein Leben lang. Doch was steht am Ende des Lebensweges? Ist es möglich, das Sterben zu lernen? Eine wertvolle Hilfe kann ein Besuch in einem Hospiz sein. Die Teilnahme an einem Hospizhelferkurs eröffnet eine Welt, die den meisten verborgen bleibt und kann den Umgang mit Sterbenden, aber auch das Nachdenken über den eigenen Tod nachhaltig beeinflussen. Zu lernen, dass Sterben nicht unbedingt schrecklich sein muss, ist an keinen Zeitpunkt gebunden. Im Gegenteil, je eher dieses Thema Einzug ins Leben findet, desto leichter fällt es, darüber zu reden und viele Missverständnisse zu vermeiden. Selbstverständlich leben auch in den Hospizen Menschen, die nicht reden können oder wollen. Das ist unbedingt zu akzeptieren. Doch die anderen, die reden möchten, können im Sinne von Elisabeth Kübler-Ross Lehrer der Endstationen des Lebens sein.

Wünsche von Sterbenden

Die Wünsche von Sterbenden unterscheiden sich häufig extrem von dem, was Angehörige denken. Die Angehörigen möchten alles tun, um dem Sterbenden die letzte Zeit zu erleichtern oder angenehm zu gestalten. Ohne darüber zu reden, kann aus einem lieb gemeinten Gedanken jedoch genau das Falsche entstehen. So möchte ein Sterbender oft keine Geschenke mehr erhalten, keine Blumen, Bilder oder sinnlose Zeitschriften. Vielleicht möchte er auch keine Besuche von bestimmten Personen. Mit Rücksicht auf eben diese Personen spricht er diese Wünsche eventuell nicht aus. Tatsächlich ist es so, dass Sterbende sehr rücksichtsvolle Menschen sein können. Aber es entspricht nicht unbedingt dem, was sie wirklich wollen. Da hilft nur eines – offen reden, beziehungsweise offen fragen. Außerdem ist absolut alles erlaubt, was gewünscht wird. Um nur ein Beispiel zu nennen: Warum sollte man einem an Lungenkrebs erkrankten Menschen, dessen Sterben unausweichlich bevorsteht, das Rauchen verbieten? Es schadet ihm gewiss nicht mehr.

Der Tod

In den letzten Tagen oder Stunden sind meist nur die allernächsten Angehörigen anwesend – in der Regel ist dies der Lebenspartner, eventuell noch die Kinder. Diese Menschen wechseln sich am Bett des Sterbenden ab, um ihn im Moment des Todes nicht allein zu lassen. Wissenschaftlich nicht ergründet, aber dennoch sehr oft eintretend ist der Tod gerade in dem Moment, in dem ein Angehöriger beispielsweise zur Toilette muss oder aus einem anderen Grund kurz den Raum verlässt. Tritt in diesen Minuten der Tod ein, machen sich die meisten Vorwürfe, warum sie gerade nun nicht anwesend waren. Doch oft ist es der letzte Wunsch, den sich ein Sterbender selbst erfüllt. Er möchte diesen letzten Weg allein gehen. Wenn die Angehörigen es schaffen, anzuerkennen, dass sie, unbewusst, den allerletzten Wunsch erfüllt haben, haben sie auch die Kraft, den Tod als solchen besser anzunehmen und zu akzeptieren.

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