Des Spukens tieferer Sinn

Aus dem Leben eines Profi-Ghostbusters.  Walter von Lucadou leitet in Freiburg eine Parapsychologische Beratungsstelle. Der zweimal promovierte Physiker und Psychologe hat viel zu tun.

Eine Familie zieht in ein altes Haus. Als sie eines Tages am Esstisch sitzen, sagt die kleine Tochter: „Mama, da ist ein alter Mann mit Hosenträgern.“ Für die erschrockenen Eltern bleibt der Gast aber unsichtbar. Ob man nun an Psi-Phänomene glaubt oder nicht: Manche Menschen, die sonst ihre fünf Sinne beieinander haben – Manager und Hausfrauen, Achtklässler und Großmütter – fühlen sich bedrängt von Geistern, Hexen, Heilern.

Gut für die Geplagten, dass es die Parapsychologische Beratungsstelle in Freiburg gibt: Sie ist Anlaufstelle für über 3.000 Menschen jährlich, von denen sich viele auch nur fragen, wie man sich zurechtfindet im Supermarkt moderner Esoterik-Angebote, woran man also seriöse „Wahrsager“ oder „Medien“ erkennt und wie man Scharlatane entlarvt.

Der Leiter der Beratungsstelle, Walter von Lucadou, hat die Institution ins Leben gerufen, weil deutsche Universitäten sich mit der Erforschung des „Unerklärlichen“ so schwer tun.

Von einem, der auszog, das Fürchten auszutreiben

Lucadou war es früh klar: Erkenntnisse etwa der Wahrnehmungslehre, Quantenphysik oder Chaosforschung können viele Merkwürdigkeiten dingfest machen, also hat er zweimal promoviert, in Psychologie und Physik.

Der 61-Jährige ist oft der erste, der zu Unrecht Verlachte ernst nimmt. Jede Geschichte hört er sich unvoreingenommen an („die Haltung eines guten Wissenschaftlers“), dann fahndet er nach einer logischen Erklärung für sprechende Teekessel, teuflische Anrufe oder Messer, die Köpfe nur knapp verfehlten.

Kinder sehen oft Gespenster

Die Anti-Panik-Erklärung ist manchmal schnell gefunden. Kinder zum Beispiel sehen eben Gespenster. „Das Ich-Bewusstsein ist noch nicht so ausgeprägt wie bei Erwachsenen“, sagt von Lucadou. Vor dem sechsten Lebensjahr verschwimmen Fantasie und Realität. Daher sehen die Kleinen oft Traumgestalten, sprechen mit unsichtbaren Spielkameraden.

Auch jene Frau, die ihren Gatten noch nach seiner Beerdigung im Fernsehsessel sitzen sah, leidet keineswegs unter einer Psychose und sie wurde auch nicht von einem Verblichenen besucht. Ihr Fall zeigt vielmehr, was der Kopf alles kann: Zum Beispiel fehlende Informationen im bekannten Zusammenhang ersetzen. Das Bild vom Mann im Sessel hat sich jahrzehntelang bei der Frau eingebrannt – schließlich addierte das Gehirn spontan den Ehemann, die fehlende Information. „Ein Geist ist ein Etikett. Wir kleben es einer Sache auf, die uns momentan unklar ist“, sagt Lucadou, der von der Polizei zu dem Fall hinzugezogen wurde. Die hatte überlegt, die Frau in die Psychiatrie zu bringen. Um sicher zu gehen, wollte man vorher aber noch einen Experten einschalten.

An den Grenzen des Wissens

Manche Rätsel aber bleiben X-Akten. Wenn jenseits „massiver Schwindelei“ die Teller fliegen und das Nackenfell des Haushunds sich scheinbar grundlos sträubt, steht für Lucadou nur eines fest: „Jeder Spuk hat einen Sinn.“ Ist das versteckte Problem benannt, verschwinden die „Poltergeister“, mit denen sich der Parapsychologe etwa alle zwei Monate herumschlagen muss.

In der Wohnung einer süditalienischen Familie zum Beispiel flogen unmotiviert Pflastersteine umher und zertrümmerten die Einrichtung. Der Vater verdächtigte böse Geister, hielt gar mit der Axt Wache. Als sich die Jugendfürsorge der 14-jährigen Tochter annahm, fand der Spuk ein jähes Ende. Zuvor hatte das geistig behinderte Mädchen die Küche putzen müssen, während die Geschwister zur Schule gingen; in ihrem Zimmerchen war kaum Platz für eine Matratze.

Lucadou hat schon viele Profi-Trickser enttarnt. Doch das Aschenputtel aus Kalabrien und seine Familie gehören gewiss nicht dazu. Unbewusst habe das Mädchen den Tumult ausgelöst, davon geht er aus und erklärt sich den Steinregen als eine Art psychosomatischer Reaktion: „Nur manifestieren sich bei der Psychokinese seelische Spannungen nicht wie etwa ein Kopfschmerz im eigenen Körper, sondern in der Umgebung.“ Die Probleme mancher Leute sollen Tassen fliegen lassen? Einen Jenseitigen hat der Empiriker noch nie gesehen, daher ist ein „hochkomplexer psycho-physikalischer Vorgang“ für ihn die nahe liegendste Erklärung.

Wie der exakt vor sich geht, weiß er aber noch nicht. Klar ist nur, hier passiert etwas, es „spinnt die Physik“, die einschlägigen Phänomene verweigerten sich ja schon immer Tonbändern und Kameras. Was nicht heißen muss, dass es sie nicht trotzdem gibt. Dennoch wird von Lucadou, der mit seinen Thesen auf den Schultern der traditionellen Naturwissenschaft balanciert, gerne belächelt. Dabei können auch „seriöse“ Fachkollegen das Unerklärliche nicht erklären.

Eine eigenartige „Nichtlokalität“

„Viele andere Mechanismen sind doch ebenso wenig berechenbar“, sagt von Lucadou. Die revolutionäre Quantenphysik zum Beispiel stellt unsere klassische Physik auf den Kopf. So kann man in der verblüffenden Welt der kleinsten Teilchen eine eigenartige „Nichtlokalität“ nachweisen: Messungen an einem Partikel können ein zweites, Lichtjahre entferntes Teilchen beeinflussen – ohne, dass es zu einer physikalischen Wechselwirkung käme. Beide Teile scheinen trotz ihrer Trennung noch immer ein Ganzes zu bilden.

Wenn Psychokinese, Telepathie („Gedankenübertragung“) oder Präkognition („Hellsehen“) an die Grenzen des Wissens stoßen, folgen sie dann vielleicht noch nicht beschriebenen Regeln? Der weltweit angesehene Forscher geht davon aus, hält „psychologische Quanteneffekte“ für möglich, eine noch nicht belegte Einwirkung des menschlichen Bewusstseins auf die Welt der Atome. Beim Ehestreit zerspringt plötzlich die Vase, ein Hochzeitsgeschenk. Der Vater stirbt und im gleichen Moment fällt hundert Kilometer entfernt bei Verwandten sein Bild von der Wand, mindestens eine solche Geschichte hat jeder schon gehört. Alle Kulturen berichten zu allen Zeiten über diese „sonderbaren Effekte“. Nur Zufall? Die „überproportionale Häufung“ solcher Ereignisse spricht für Lucadou dagegen.

Wer „Übersinnliches“ erlebt, dem empfiehlt der Physiker, erst einmal Ruhe zu bewahren („kein Prozess spielt sich außerhalb der natürlichen Ordnung ab!“). Selbst wenn die Parapsychologie eines Tages als großer Wissenschaftsirrtum in die Geschichte eingehen sollte, geholfen hat der Profi-Ghostbuster schon vielen. Eine repräsentative Umfrage des Allensbacher Instituts hat ergeben, dass 73 Prozent der Deutschen schon mindestens ein „subjektiv paranormales Erlebnis“ hatten. Wer unbedingt Hellseher und Geistheiler konsultieren will, dem rät der Okkult-Experte, wenigstens Anbietern aus dem Weg zu gehen, die viel Geld verlangen. Das Kultusministerium Baden-Württemberg bescheinigt ihm „wertvolle Arbeit im Kampf gegen Sekten und Psychogruppen“.

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